Golf von Mexiko:Öl bedroht den Nordatlantik

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Der Golfstrom wird das Öl aus dem Golf von Mexiko in den Atlantik transportieren. Zwar besteht kaum Gefahr für Europas Küsten. Doch was das Umweltgift auf hoher See anrichten wird, ist unklar.

Markus C. Schulte von Drach

Als die Galeonen der spanischen Gold- und Silberflotte im 17. Jahrhundert aus Süd- und Mittelamerika nach Europa zurückkehrten, nutzten sie die Meeresströmung. Die Schiffe versammelten sich in Havanna, segelten dann nach Norden in Richtung Florida und nutzten schließlich den Golfstrom, der ihnen von dort aus zurück in die Heimat half. Genau diese Strömung wird in den nächsten Wochen und Monaten wieder Gold in Richtung Europa befördert - schwarzes Gold.

Mit Hilfe eines Computermodells haben US-Forscher vom National Center for Atmospheric Research (NCAR) die Ausbreitung des Öls im Golf von Mexiko bis in den Atlantik simuliert. (Foto: online.sdewissen)

Bislang leiden bereits die Küsten der US-Bundesstaaten Louisiana und Alabama unter dem Öl aus dem Bohrloch von BP im Golf von Mexiko. Doch voraussichtlich wird es bald schon durch die enge Meeresstraße zwischen Kuba, den Bahamas und Florida strömen und die Atlantikküste möglicherweise bis North Carolina hinauf verschmutzen. Von dort aus dürften sich Ölschwaden voraussichtlich spätestens im Juli über den Golfstrom Richtung Nordosten und Osten weit in den Atlantik ausbreiten. Das zeigen Berechnungen amerikanischer Wissenschaftler.

Die Forscher des amerikanischen National Center for Atmospheric Research (NCAR) in Boulder, USA haben mehrere hochauflösende Modelle über die Ausbreitung des Öls erstellt. Die Ergebnisse bestätigen Modellrechnungen deutscher Experten des Leibniz-Instituts für Meereswissenschaften (IFM-GEOMAR) in Kiel.

Szenarien, keine Vorhersagen

Der Golfstrom, so erklären die deutschen Forscher, transportiert die verschmutzten Wassermassen mit großer Geschwindigkeit in den Atlantik hinein. "Die Geschwindigkeit der Strömung liegt bei bis zu 150 Kilometern am Tag", sagt Claus Böning vom IFM-GEOMAR.

Dass das Öl dementsprechend schnell Europas Küsten erreicht, ist allerdings ausgeschlossen. Auf der Strecke von etwa 6000 Kilometern zwischen den USA und Europa wird das Öl verwirbelt und dürfte sich über große Flächen des Nordatlantiks verteilen, so dass die Konzentration abnimmt.

Möglicherweise werden die zu erwartenden Hurrikans vor der US-Küste ihren Teil dazu beitragen. Flüchtige Teile verdunsten, schwere Teile werden von Sonnenstrahlen oxidiert und sinken auf den Meeresboden ab. Darüber hinaus werden Bestandteile biologisch abgebaut. Für Europas Küsten geben die Fachleute in Kiel deshalb Entwarnung. Sie halten für möglich, dass dort langfristig höchstens harmlose Ölkonzentrationen auftreten könnten.

Bislang zeigte nur ein an den Golf-Küste gestrandeter Delphin äußerliche Spuren von Öl. US-Wissenschaftler gehen aber davon aus, dass auch etliche der übrigen bislang angespülten Meeressäuger wegen der Verschmutzung gestorben sind. (Foto: AP)

Doch vorsichtig, wie sie sind, sprechen die Meereswissenschaftler von "Szenarien", nicht von Vorhersagen. Und sie fügen zu ihren Einschätzungen das Wort "vorerst" hinzu. "Wenn das Öl bis zum August weiter ungemindert ausströmt, müssen wir möglicherweise unsere momentane Abschätzung revidieren", warnt Martin Visbeck vom IFM-GEOMAR.

Wie das Öl sich tatsächlich ausbreitet und welche Auswirkungen es auf die Umwelt hat, lässt sich kaum bestimmen. Die sichtbare Verschmutzung - also der Ölteppich auf dem Meer, die betroffenen Strände von Louisiana und Alabama und die verschmutzten Vögel, Reptilien, Fische und Meeressäuger stellen möglicherweise nur die Spitze des Eisbergs dar. Kaum jemand weiß, was unter Wasser geschieht, wo ebenfalls Ölschwaden und Chemikalien zur Bekämpfung des Minerals treiben.

So wurden zwischen dem 30. April und dem 5. Juni mehr als 240 tote Meeresschildkröten an der Küste von Louisiana bis Florida gezählt. Die Zahl liegt erheblich über den Daten der vergangenen Jahre. Von den Tieren zeigten jedoch lediglich 31 Schildkröten eine sichtbare Verschmutzung mit Öl.

Vielleicht werden Kadaver häufiger gemeldet, weil mehr auf mögliche Opfer der Ölpest geachtet wird. Das allein, so stellen Wissenschaftler der amerikanischen Wetter- und Ozeanografiebehörde (NOAA) fest, kann den Anstieg jedoch nicht erklären.

Ähnlich verhält es sich mit den 33 Delphinen, die im selben Zeitraum tot oder sterbend gestrandet sind. Die Zahl liegt weit über derjenigen der Vorjahre. Und nur einer der Meeressäuger zeigte äußerliche Ölspuren.

Schwieriger Nachweis von Öl als Todesursache

Die gefährliche Wirkung von Öl auf den Organismus ist häufig kaum nachzuweisen. Selbst wenn die Schleimhäute und Organe möglicherweise betroffener Tiere Hinweise auf die Wirkung von polyzyklischer aromatischer Kohlenwasserstoffe zeigen - einem der giftigsten Bestandteile von Rohöl - könnten die Spuren im Gewebe auch von Krankheiten oder Nahrungsmangel verursacht worden sei, erklärte Michael Ziccardi von der University of California, Davis im Fachmagazin Science.

Auch könnten Tiere durch das Öl geschwächt werden und an anderen Krankheiten sterben, so Gregory Bossart vom Georgia Aquarium in Atlanta. Um festzustellen, wie viele der an der Golfküste gestrandeten Tiere tatsächlich am Öl gestorben sind, wollen die NOAA-Experten Gewebeproben untersuchen lassen. Mit Ergebnissen rechnen sie allerdings erst in Wochen oder Monaten.

Darüber stellt es eine ganz neue Herausforderung für die Wissenschaftler dar, die Wirkung der Millionen Liter von Chemikalien zu studieren, die im Kampf gegen das Öl eingesetzt wurden.

Selbst wenn das Öl, das der Golfstrom mitnehmen wird, auf hoher See nur noch eine geringe Konzentration haben dürfte - die Folgen für die Umwelt werden sich wohl niemals wirklich feststellen lassen. Denn im Gegensatz zu den Tieren vor der Küste Amerikas lassen sich die Opfer im Atlantik nicht zählen und untersuchen.

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