Süddeutsche Zeitung

Golf von Mexiko:Leere Netze nach der Ölpest

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Dort, wo nach der Explosion der Bohrinsel "Deepwater Horizon" drei Monate lang etwa 780 Millionen Liter Öl ins Meer geflossen sind, erkranken nun Fische und Garnelen. Ein Zusammenhang scheint offensichtlich. Doch beweisen lässt er sich kaum.

Hubertus Breuer

Jeden Morgen fahren an der Küste Louisianas Trawler mit Schleppnetzen aus, um im Golf von Mexiko Garnelen zu fangen. Die Saison begann bereits Ende August und dauert bis Ende des Jahres. Es gibt derzeit nur ein Problem: Brachten die Krabbenfischer früher regelmäßig mehrere Tonnen Shrimps von einer Ausfahrt nach Hause, kommen sie heute oft mit fast leeren Booten zurück.

Die Sprecherin der Umweltbehörde des Staates Louisiana, Olivia Watkins, betont, dass endgültige Fangzahlen noch nicht vorliegen - und will sich deshalb nicht weiter äußern. Doch Clint Guidry, Präsident der Louisiana Shrimp Association, berichtet, die Fangmengen seien vielerorts um 80 Prozent gefallen.

Auch der Meeresbiologe James Cowan von der Louisiana State University sagt, der Einbruch der Garnelenfischerei sei unübersehbar. Fischer und fischverarbeitende Firmen stellen bereits Mitarbeiter frei, Großeinkäufer decken ihren Garnelenbedarf nicht mehr in Louisiana, sondern in Bundesstaaten wie Georgia, South oder North Carolina.

Viele Fischer geben der Explosion der Bohrinsel Deepwater Horizon des britischen Energiekonzerns BP im April vergangenen Jahres die Schuld an dieser Malaise. Damals quollen drei Monate lang geschätzte 780 Millionen Liter Öl ins Meer. Flugzeuge versprühten mehrere Millionen Liter des Lösungsmittels Corexit, um den riesigen Ölteppich zu bekämpfen.

Und während die unmittelbaren Konsequenzen unübersehbar waren - mehr als 6000 tote Vögel, Seeschildkröten, Delphine und Wale, absterbende Korallen und von Ölschlick verschmutzte Strände und Sümpfe -, ist es erheblich schwieriger, die langfristigen ökologischen Schäden abzuschätzen.

Im September erschien im Fachjournal PNAS eine Studie einer Forschergruppe um Andrew Whitehead von der Louisiana State University. Sie stellte bei den Killifischen in den Überlaufkanälen und den Bayous biologische Veränderungen fest, die sich eindeutig auf das Unglück zurückführen ließen.

Zwar reichern sich die im Rohöl vorkommenden toxischen Kohlenwasserstoffe kaum im Gewebe an. Doch offensichtlich haben die Substanzen das Immunsystem der Fische geschwächt, ihren Fortpflanzungserfolg reduziert, die Embryonalentwicklung gestört und bei vielen erwachsenen Tieren zu verkleinerten Kiemen geführt.

Verantwortlich dafür sei nicht zuletzt die nach wie vor extrem hohe Konzentration von Kohlenwasserstoffen in den Sedimenten. Dem Fachjournal Nature gegenüber zog Whitehead eine Parallele zu der Exxon-Valdez-Ölpest im Prince William Sound 1989: "Die besten Indikatoren der ökologischen Konsequenzen waren auch dort nicht tote Tiere im Wasser, sondern subletale Effekte."

Auch der Meeresbiologe James Cowan berichtet Beunruhigendes. Er konzentriert sich vor allem auf Fische in küstennahen Gewässern wie dem Roten Schnapper. "Die Zahl der Infektionen ist stark gestiegen. Während wir in der Regel nur rund 0,1 Prozent infizierter Fische beobachten, sind es neuerdings zwei bis fünf Prozent, in einigen Brennpunkten sogar die Hälfte."

Gerade diese lokal konzentrierten Krankheitsherde, mutmaßt Cowan, könnten im Zusammenhang mit der Ölpest stehen: "Auch das Rohöl am Meeresboden ist ungleichmäßig verteilt."

Der Krebstier-Experte Darryl Felder von der University of Louisiana entdeckte in der Tiefsee um die versiegelte Ölquelle außerdem einen Rückgang an Seetang und vermehrt beschädigte Schalen bei Krebstieren. Zudem zählte unter anderem Cowans Mitarbeiter Joris van der Ham im vergangenen Winter deutlich mehr junge Garnelen als üblich - gerade in den von Öl verschmutzten Flussmündungen.

"Es ist möglich", spekuliert er, "dass diese Garnelen durch toxische Stoffe an ihrem Wachstum gehindert wurden und sich deshalb nicht in den Golf von Mexiko ausbreiten und dort laichen konnten." All diese Befunde könnten erklären, wieso die Garnelenfangquoten vor allem in jenen Regionen gesunken sind, die am stärksten von der Ölpest betroffen waren.

Dennoch zögern die Forscher, einen direkten Zusammenhang zwischen der größten Ölpest der Geschichte und ihren Beobachtungen herzustellen. "Obwohl diese Garnelen zu unseren wichtigsten Speisekrebsen gehören, sind sie kaum untersucht", sagt Felder. "Wir wissen zu wenig über ihre Physiologie und Lebensweise."

Außerdem wurde Louisiana im vergangenen Jahr vom größten Flusshochwasser seit mehr als 80 Jahren heimgesucht. Der Mississippi spülte gigantische Mengen an Frischwasser und Sedimenten ins Meer, die womöglich ebenfalls die Ökologie gestört haben.

Bis das Ausmaß der Schäden im vollen Umfang erkennbar ist, werden Jahre vergehen - und vieles wird für immer im Dunkeln bleiben. Denn die meisten Studien haben Forscher erst Mitte dieses Jahres begonnen, für viele Meerestierarten fehlen Basisdaten über die Bestände vor der Katastrophe. "Oft werden wir nicht viel mehr sagen können, als dass die Ölpest und der Niedergang einer Art im Golf von Mexiko zwei zeitlich nah beieinander liegende Ereignisse waren", sagt Feld.

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SZ vom 03.11.2011
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