Golf von Mexiko:Der Rest der Ölpest

Etwa 800 Millionen Liter Rohöl strömten nach der Explosion der von BP gecharterten Bohrplattform "Deepwater Horizon" ins Meer. Wird die Säuberung des Golfs von Mexiko zur Schlammschlacht?

Christopher Schrader

Im Nachhinein betrachtet", sagt Jane Lubchenco, "hätte man ein Desaster dieser Art erwarten müssen." Doch trotz dieser späten Einsicht waren weder sie, die Chefin der amerikanischen Wetter- und Ozeanbehörde Noaa, noch die Leiter anderer US-Ämter und Organisationen auf das vorbereitet, was vor sechs Monaten begann: die größte Ölpest der Geschichte.

Golf von Mexiko: Mit Öl verunreinigtes Wasser schwappt an den Strand von Orange Beach, Alabama, USA. Das Öl könnte noch Jahrzehnte in manchen Nischen des Ökosystems bleiben, fürchten Wissenschaftler.

Mit Öl verunreinigtes Wasser schwappt an den Strand von Orange Beach, Alabama, USA. Das Öl könnte noch Jahrzehnte in manchen Nischen des Ökosystems bleiben, fürchten Wissenschaftler.

(Foto: AP)

Am 20. April war die vom Ölkonzern BP gecharterte Bohrplattform Deepwater Horizon explodiert und zwei Tage später gesunken. Etwa 800 Millionen Liter Rohöl strömten in knapp drei Monaten aus der offenen Macondo-Bohrung in gut 1500 Metern Tiefe ins Meer. Tausende Schiffe und Zehntausende Helfer waren und sind am Golf im Einsatz, um die Folgen der Katastrophe einzudämmen.

Jane Lubchenco hat ihre Verantwortung inzwischen weitgehend abgegeben. Nach dem Noteinsatz, an dem ihre Behörde beteiligt war, hat auf Weisung von Präsident Barack Obama vor zwei Wochen die Wiederherstellung der Golfküste begonnen; die Leitung haben die Umweltbehörde EPA und deren Chefin Lisa Jackson.

Lubchenco kann sich also eigentlich nun auf das konzentrieren, was sie auf einer Tagung von Umweltjournalisten in Missoula, Montana, als ersten Punkt auf einer Aufgabenliste mit fünf Einträgen vorstellte: Forschung betreiben und die Ergebnisse mit anderen Experten austauschen.

Die Regierung hält Daten zurück

Doch die Forschung, beklagen Experten, komme nach dem Desaster am Golf von Mexiko zu kurz. Das liegt zum einen an der Wahrnehmung der Bürger und Politiker, dass die Katastrophe vorbei sei. Dies bestreitet indes eine Gruppe von gut zwei Dutzend Umweltforschern um Andrew Whitehead von der Louisiana State University in Baton Rouge. "Es ist noch viel Öl in der Umwelt, das Lebewesen an der Küste über lange Zeit in geringer Konzentration belasten könnte."

Dem stimmt Steve Pennings von der University of Houston zu: "Das Öl wird voraussichtlich noch Jahrzehnte in manchen Nischen des Ökosystems bleiben."

Zum anderen ist anzunehmen, dass die Regierung viele im Prinzip verfügbare Daten zurückhält, um sie im Prozess gegen BP zu verwenden. Nach amerikanischem Recht dürfen Behörden dem Umweltsünder die Kosten für die Wiederherstellung von Ökosystemen in Rechnung stellen. Im Fall Deepwater Horizon ist daher ein Mega-Prozess so gut wie sicher, schließlich geht es um Milliarden Dollar.

"Keine Seite möchte ihr Blatt vor dem Verfahren offenlegen", sagt Chris D'Elia von der Louisiana State University, "deswegen bleiben die Daten unter Verschluss." Jane Lubchenco bestätigt das: Ihre Behörde könne nur Ergebnisse aus einer ersten vorläufigen Bestandsaufnahme veröffentlichen, aber nicht weitergehende Erkenntnisse, um den Ausgang des Prozesses nicht zu gefährden.

Wissenschaftler fürchten also, dass zum Beispiel die Daten einer detaillierten Überwachung der Tiefsee, welche die Noaa begonnen hat, unter Verschluss bleiben. Viele der Experten fragen sich unterdessen, was eigentlich aus den enormen Mengen Öl verbunden mit dem vielen Lösungsmittel wird, das sich lange Zeit in Schwaden in der Tiefsee verbreitete.

Die Chemikalie mit Namen Corexit wurde nicht nur auf der Meeresoberfläche, sondern auch direkt neben dem austretenden Öl in der Tiefe versprüht. Es sollte die Tröpfchengröße verringern und so den Abbau durch Bakterien fördern. Ob das geklappt hat, weiß kein Mensch.

Tatsächlich hat die Umweltbehörde EPA dem Einsatz dieser Chemikalie zugestimmt, obwohl sie nur wenig wusste. Erst im August, als das Leck schon provisorisch gestopft war, veröffentlichte das Amt hektisch erstellte Labordaten, wonach das Lösungsmittel allein weniger giftig sei als in der Mischung mit Öl und diese wiederum weniger giftig als das Öl an sich.

In einem Vergleich von sieben weiteren Substanzen mit Corexit hatten alle ähnliche Eigenschaften bewiesen; die Chemikalie der Wahl hatte sich also wenigstens im Nachhinein nicht als spektakulärer Fehlgriff erwiesen.

Trotzdem weiß niemand, ob die drei Millionen Liter Corexit, die im Meerwasser verteilt wurden, ihren Zweck erfüllt haben. "Es gibt Berichte, dass sich das Lösungsmittel nicht besonders gut mit dem Öl vermischt hat", sagt Chris D'Elia. Daher gebe es wahrscheinlich immer noch Schwaden der Chemikalie, von Öl und von der Mischung.

"Nahezu blind geflogen"

"Mit dem heutigen Wissen würde ich sagen, es war keine gute Entscheidung, das Lösungsmittel gegen das Öl einzusetzen", ergänzt Claire Paris-Limouzy von der University of Miami und widerspricht damit dem Report der Umweltbehörde EPA. "Beide zusammen sind schlimmer für das Ökosystem als jedes für sich."

In ihrem und vielen anderen Laboren laufen allerdings noch Experimente, um die Auswirkungen der Stoffe zum Beispiel auf Hummerlarven zu erkunden. Auch die Belastung für das Erbgut des Meeresgetiers werde untersucht, das auf diese Weise Schäden an kommende Generationen weitergeben könnte. "Das alles zeigt uns nur, wie wenig wir noch über den Ozean wissen", klagt Paris-Limouzy.

Viele Auswirkungen der Ölpest werden die Forscher ohnehin kaum nachweisen können, weil Basisdaten aus der Zeit vor der Katastrophe über Organismen in der Tiefsee fehlen. "Alle Beteiligten haben mit dem, was sie zur Verfügung hatten, tolle Arbeit geleistet. Aber der Mangel an Wissen hat dazu geführt, dass alle nahezu blind geflogen sind", fasst Doug Rader von der Umweltgruppe Environmental Defense Fund zusammen.

Ob die USA allerdings darüber erschrocken sind und aus dem Unglück lernen, ist zweifelhaft. Eine ernsthafte Debatte über den Umgang mit Energie und dem Rohstoff Erdöl ist jedenfalls ausgeblieben und vielen Politikern jetzt im Wahlkampf ohnehin zu riskant.

In der Tiefsee bohren dürfen die Ölfirmen auch bald wieder, wenn auch unter verschärften Sicherheitsauflagen. Innenminister Ken Salazar hat diese vor einer guten Woche verkündet und damit einen zeitweiligen Bohrstopp der Regierung aufgehoben. Er stützte sich dabei auf den Bericht einer neu formierten Behörde für Energie aus dem Ozean. Sie hat nebenbei enthüllt, dass auch bei einer der Entlastungsbohrungen an der leckgeschlagenen Ölquelle genau das Ventil am Meeresgrund defekt war, das auch an der Macondo-Bohrung versagt hatte.

Am Ende ist es gut möglich, dass die US-Regierung aus einem Prozess mit BP nicht so siegreich hervorgehen wird, wie sie es annimmt. Der Ölkonzern könnte nämlich ein schlagendes Argument anführen, sagt Mark Schleifstein, Umwelt-Reporter von der Times-Picayune, der Zeitung aus New Orleans.

"Bei den Hurrikanen Katrina und Rita sind 2005 viele Millionen Gallonen Öl von sehr ähnlichem Typ in die Marschen an der Mississippi-Mündung geflossen." Die Bestandsaufnahme jener Schäden sei noch nicht abgeschlossen. "BP könnte daher bestreiten, dass wirklich das Öl aus seiner Quelle für die Umweltschäden verantwortlich war."

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