Die einen nennen die Entscheidung einen Kniefall vor der Agarindustrie. Die anderen hätten sich mehr als fünf weitere Jahre mit Glyphosat gewünscht: Was bedeutet die Neuzulassung des weit verbreiteten Herbizids? Ein Gespräch mit dem Biodiversitäts-Experten Horst-Henning Steinmann von der Universität Göttingen.
SZ: Herr Steinmann, wie bewerten Sie die Entscheidung der EU, Glyphosat für weitere fünf Jahre zuzulassen?
Horst-Henning Steinmann: Abgesehen von den atemberaubenden politischen Umständen finde ich die Entscheidung im Moment richtig. Einerseits erlaubt sie, dass Glyphosat in einem überschaubaren Zeitraum weiter genutzt wird. Andererseits ermöglicht sie ernsthafte Einschränkungen, die zu einem reduzierten Einsatz von Glyphosat führen werden.
Warum halten Sie eine Reduzierung für nötig?
Glyphosat ist weltweit das am umfangreichsten genutzte Herbizid. Der Anteil, der auf Europa und Deutschland entfällt, ist im internationalen Vergleich zwar klein. Gleichwohl bleibt Glyphosat in Deutschland der meistverwendete Pflanzenschutzwirkstoff. Und man hat fast den Eindruck, dass sich die Landwirte hier auf den niedrigen Preis und die unbegrenzte Verfügbarkeit dieses Totalherbizids eingerichtet haben. In den vergangenen 15 Jahren haben wir einen massiven Anstieg des Glyphosat-Einsatzes gesehen, der mit echter Notwendigkeit nicht immer zu erklären ist. Es gibt Betriebe, die zum Beispiel ihre mechanische Bodenbearbeitung mithilfe von Glyphosat extrem verschlankt und ökonomisiert haben. Um diesen Trend abzuschwächen und nach Möglichkeit umzukehren, setzen sich Experten schon seit Jahren für eine Reduktion ein, und für den Versuch, Glyphosat durch andere praktikable Ackerbaumethoden zumindest teilweise zu ersetzen.
In welchen Bereichen wäre das möglich?
Glyphosat wird als Totalherbizid nicht auf der wachsenden Kulturpflanze eingesetzt. Es wird zum Teil vor der Aussaat angewendet und in großem Umfang nach der Ernte, zur Stoppelbehandlung. Bis vor einigen Jahren wurde es auch zur sogenannten Sikkation eingesetzt, um störende Unkräuter vor der Ernte zu entfernen. Die Sikkation wird in Deutschland aber nur noch in Einzelfällen erlaubt.
Welche Rolle spielt die eingesetzte Menge?
Einige Befürworter sagen tatsächlich: Wenn es einen Nutzen gibt, sollte man ihn eher ausdehnen. Auf der anderen Seite wissen wir aber: Wenn man auf große Mengen eines einzigen Herbizid setzt, führt das zur Selektion von Resistenzen und im Randbereich der Felder zum Kontakt mit Oberflächengewässern. Durch die aktuellen Anwendungsbestimmungen ist zwar vorgeschrieben, gewisse Abstände einzuhalten, aber beim Einsatz großer Tonnagen bleiben diese Wirkstoffe nun mal irgendwo. Insofern ist eine Beschränkung immer geboten und immer gut.
Wann und wo ist Glyphosat überhaupt sinnvoll?
Glyphosat erspart vielen Bauern die mechanische Bodenbearbeitung, und damit Geld und Diesel. Hinzu kommt der Erosionsschutz. An Hängen, wo der Boden durch das Wasser sehr stark abgetragen werden kann, gibt es große Vorteile, wenn man die reduzierte Bodenbearbeitung mit Herbiziden unterstützt. Dort ist der Einsatz von Glyphosat insofern gerechtfertigt, weil er hilft, nachteilige Folgen der Landwirtschaft zu verhindern.
Nicht jeder Acker liegt an einem Hang.
Auf anderen Flächen kann man mehr grubbern und pflügen. Außerdem kann die Wahl der Fruchtfolgen und des Aussaattermines Effekte erzielen. Aber die Bodenbearbeitung steht im Vordergrund. Dort muss man nicht immer mit dem Pflug daherkommen. Es hat in den vergangenen Jahren Weiterentwicklungen in der Bestellung der Felder gegeben, mit neuen Maschinen, oder mit dem Anbau von Zwischenfrüchten, die das Unkraut unterdrücken, ohne dass man die Bodenbearbeitung intensiviert.
Was sind das für Früchte?
Da gibt es eine Vielzahl von Pflanzen, Kleesorten oder Lupinen zum Beispiel, aber auch Mischungen mit Sonnenblumen oder Phacelia. Die Auswahl hängt von den jeweiligen Bedürfnissen ab und muss in die Fruchtfolge eingepasst werden. Manchmal ist es wichtig, dass die Zwischenfrüchte über den Winter abfrieren. Manchmal sollen sie Stickstoff fixieren. All diesen Früchten ist aber gemein, dass sie wieder von der Fläche verschwinden müssen, wobei auch dafür in der Vergangenheit oft Glyphosat eingesetzt wurde.
Warum haben die Landwirte nicht wenigstens in diesen Fällen Alternativen genutzt?
Man muss hier erneut kritisieren, dass Glyphosat bisher sehr billig und stets verfügbar war. Es fehlte der Anreiz für etwas anderes. Jede Vermeidungsstrategie kostet Geld. Es kostet Geld, sie zu entwickeln und es kostet die Landwirte Geld, entsprechende Maschinen anzuschaffen und sich damit auf Jahre festzulegen. Wenn jetzt die Verfügbarkeit von Glyphosat eingeschränkt wird, muss auch die Entwicklung von Glyphosat-Vermeidungstechniken stärker gefördert werden. Was sonst passieren kann, ist, dass Landwirte einfach andere Herbizide einsetzen. Es gibt ja zahlreiche weitere Wirkstoffe, die zugelassen sind. Wenn es aber das Ziel ist, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln grundsätzlich zu verringern, wäre nichts gewonnen. Die Chance für die Umwelt und die biologische Vielfalt würde nicht genutzt.