Süddeutsche Zeitung

Glaube und Religion:Der Gott der kleinen grünen Männchen

Geraten die Religionen in eine Glaubenskrise, wenn auf einem der vielen Exoplaneten außerirdisches Leben entdeckt wird?

Alexander Stirn

Man kann der Menschheit vieles vorwerfen - aber sicherlich nicht, dass sie zu bescheiden ist. Besonders in der westlichen Welt bezeichnen sich die Menschen gerne als Krone der Schöpfung. Sie sind stolz darauf, sich die Erde untertan gemacht zu haben. Sie haben Wertesysteme und Weltanschauungen rund um ihre vermeintliche Sonderstellung im Universum entwickelt.

Ganz langsam jedoch gerät der Thron ins Wanken. Die Menschen müssen sich darauf einstellen, ihre Krone künftig mit anderen Geschöpfen zu teilen - mit Wesen, die nicht von dieser Welt sind: "Nachdem mittlerweile mehr als 500 Planeten in fremden Sonnensystemen entdeckt worden sind, gehört die Existenz anderer Welten und vielleicht sogar anderer Erden längst nicht mehr in den Bereich der Science Fiction", sagt Jennifer Wiseman, Astrophysikerin bei der US-Weltraumbehörde Nasa.

Wiseman ist aber nicht nur Wissenschaftlerin, sie ist auch bekennende Christin. Sie sucht nicht nur nach Exoplaneten, sie geht im Auftrag des amerikanischen Forscherverbandes AAAS auch der Frage nach, wie die Menschheit auf außerirdisches Leben reagieren wird. Und Wiseman ist überzeugt: "Sobald wir beginnen, andere Welten zu untersuchen, wird die Frage nach der Bedeutung und der Einzigartigkeit des irdischen Lebens wie nie zuvor Religion und Gesellschaft erschüttern."

Übertriebene Ängste

Lange dürfte das nicht mehr dauern. Allein das US-Weltraumteleskop Kepler überprüft derzeit 1235 mögliche Exoplaneten, darunter auch 54 erdähnliche Kandidaten. Noch in diesem Jahr rechnen Astronomen damit, in den Tiefen des Alls eine zweite Erde zu entdecken. Sollten in ihrem Licht Hinweise auf Sauerstoff zu finden sein, wäre das ein deutlicher Fingerzeig für außerirdisches Leben.

Ob es sich dabei um intelligente Zivilisationen handeln wird, lässt sich mit Weltraumteleskopen allerdings nicht feststellen. Die Astronomen verfolgen daher noch einen zweiten Weg: Das Seti-Projekt (Search for Extraterrestrial Intelligence) sucht nach Licht- und Radiosignalen aus fernen Planetensystemen und damit nach Spuren hochentwickelter Gesellschaften. "In den nächsten zwei Dutzend Jahren werden wir E.T. ganz sicher gefunden haben", sagt Seti-Astronom Seth Shostak. "Falls nicht, zahle ich jedem einen Kaffee."

Ganz egal, was auf Setis Kaffeekasse zukommen wird - sowohl Wissenschaft als auch Religion wollen vorbereitet sein. Bei der Nasa beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe damit, welche Befindlichkeiten bei einem Alien-Fund berücksichtigt werden müssen. Nach Angaben der Washington Post wird sogar schon an einer Strategie für eine möglichst sensible Verlautbarung gearbeitet.

Der Vatikan hat seinerseits im November 2009 führende Astrobiologen nach Rom eingeladen, um sich auf den aktuellen Stand der Exoplanetenforschung bringen zu lassen. Nachdem sich die Kirche bei Galileo und Kopernikus komplett getäuscht hatte, will sie sich nicht noch einmal eine wissenschaftliche Blöße geben - zumal die Befürchtungen groß sind, dass die Entdeckung außerirdischer Intelligenz eine globale Glaubenskrise hervorrufen wird.

Ted Peters, Professor am Pacific Lutheran Theological Seminary im kalifornischen Berkeley, hält solche Ängste für übertrieben. "Es sind vor allem nicht-religiöse Menschen, die von einem Kollaps der Weltreligionen ausgehen", sagt Peters. 1325 Anhänger verschiedener Glaubensrichtungen hatte der Theologe vor drei Jahren nach ihrer Reaktion auf eine mögliche Entdeckung außerirdischer Intelligenz gefragt. Die Sorgen waren gering, am größten fielen sie noch bei den Juden aus: Elf Prozent befürchteten eine private Glaubenskrise, gefolgt von acht Prozent der Katholiken. Buddhisten ließen sich hingegen nicht aus der Ruhe bringen; kein einziger sah Auswirkungen auf seinen Glauben.

Etwas anders fielen die Antworten auf die Frage aus, ob die Weltreligionen als Ganzes in eine Krise gestürzt würden. Quer durch alle Glaubensgruppen lag die Zustimmung zwischen 30 und 40 Prozent. Unter den nicht-religiösen Teilnehmern der Umfrage rechneten sogar 69 Prozent mit einem Notstand. "Offensichtlich hegen diese Menschen das Vorurteil, dass Religionen besonders zerbrechliche Gebilde sind", glaubt Peters.

"So einfach ist das nicht", warnt hingegen Jennifer Wiseman. Vor allem das Christentum könne große Probleme mit Aliens bekommen. Zu den christlichen Grundprinzipien gehört es, dass die Menschen gesündigt haben. Gott muss sie erlösen und schickt dazu seinen Sohn Jesus Christus auf die Erde, der für die Menschheit am Kreuz stirbt.

Nur: Gilt diese Erlösung auch für intelligente Lebensformen auf anderen Planeten? Sind Aliens eingeschlossen, wenn es im ersten Johannesbrief heißt, Jesus Christus sei die Sühne "nicht nur für unsere Sünden, sondern auch für die der ganzen Welt?". Oder hat sich Gott auf Exoplaneten bereits in anderer Form offenbart? Für gläubige Katholiken wäre das ein häretischer Gedanke.

"Die möglichen Herausforderungen für das Christentum werden von der religiösen Führung heruntergespielt", kritisiert der britische Physiker Paul Davies in seinem Buch "The Eerie Silence", in dem er eine verstärkte Suche nach extraterrestrischem Leben fordert. Neben einer zweiten Schöpfung bereite der Kirche vor allem eine zweite Erlösung große Schwierigkeiten. "Christen stecken in einem Dilemma", sagt Davies, ein bekennender Agnostiker. "Ihr Gott hat lediglich die Menschheit erlöst, nicht Delfine oder Schimpansen oder kleine grüne Männchen auf fremden Planeten."

Andere Religionen tun sich da leichter. Der Islam kennt weder die Ursünde noch die Menschwerdung. Jeder Gläubige, egal auf welchem Planeten, ist selbst für seine Erlösung verantwortlich. "Im Koran lassen sich sogar Stellen finden, die in Richtung außerirdischen Lebens interpretiert werden können", sagt Nidhal Guessoum, Astrophysiker an der Amerikanischen Universität von Sharjah in den Vereinigten Arabischen Emiraten.

So werde Allah oft als "Gott der Welten" bezeichnet, an anderer Stelle sei davon die Rede, dass lebende Kreaturen "über den Himmel und die Erde" verteilt seien. "Natürlich ist es allzu simpel, einfach nach passenden Koranversen zu suchen", sagt Guessoum, "aber das ist nun mal die Charakteristik des islamischen Gedankenguts."

Auch in den relevanten Schriften des Judentums lassen sich entsprechende Passagen finden, sagt Howard Smith, Astrophysiker im amerikanischen Cambridge und orthodoxer Jude. So spricht der Rabbiner Raschi, ein einflussreicher Talmud-Kommentator aus dem Mittelalter, ausdrücklich von möglichem Leben in der Umgebung anderer Sterne. "Genauso wenig Probleme gibt es mit der Erlösung", sagt Smith. "Diese steht im Judentum allen Kreaturen mit moralischem Gewissen offen."

Die Mormonen gehen in ihren Schriften sogar explizit von anderen Lebensformen aus. Sie bekämen ein Problem, wenn Kepler & Co. keine lebensfreundlichen Exoplaneten finden würden. Und fernöstliche Glaubensrichtungen, die traditionell nicht so stark auf die Erde ausgerichtet sind, stehen Aliens ebenfalls gelassen gegenüber.

Trotz aller Unterschiede: Wenn eines Tages die Nachricht von den ersten außerirdischen Signalen kommt, werden Menschen aller Glaubensrichtungen aufhorchen. Und dann? Bricht auf der Erde das Chaos aus wie 1938, als Orson Welles' fiktives Hörspiel vom "Krieg der Welten" aus dem Radio schepperte? "Das kann man nicht vergleichen", sagt Seti-Astronom Shostak. "Damals sollten die Aliens in New Jersey gelandet sein, wir dagegen werden allenfalls ein Radiosignal auffangen." Und selbst dann würden höchstens langfristige Überzeugungen der Menschen in Frage gestellt, kurzfristig werde es aber kaum Aufregung geben.

Ein Drittel der Amerikaner glaubt an Außerirdische

Shostak, ein Schnellsprecher mit einer feinen Prise Humor, muss es wissen. Schließlich hat er schon einmal außerirdische Intelligenz entdeckt - zumindest für ein paar Stunden: Am 24. Juni 1997, gegen vier Uhr nachts, tauchte auf den Seti-Schirmen plötzlich ein Signal auf, das wie ein interstellares "Hallo" aussah. Euphorisch verschickten die Forscher E-Mails an ihre Freunde, Geheimhaltung gab und gibt es bei Seti nicht. Trotzdem dauerte es fünfeinhalb Stunden, bis schließlich ein Redakteur der New York Times anrief.

Das war es dann aber auch. Keine Panik, kaum Interesse. "Diese gleichgültige Reaktion war für uns sehr aufschlussreich", sagt Shostak - zumal sich erst im Laufe des Tages herausstellte, dass es sich bei den außerirdischen Signalen um ein Piepsen des Sonnensatelliten Soho handelte, das versehentlich durch die automatischen Seti-Filter gerutscht war.

Heute, im Zeitalter von Twitter und Facebook, dürften die Reaktionen weniger gelassen ausfallen. Shostak rechnet dennoch nicht mit dem ganz großen Aufruhr, und er hat auch ein paar Zahlen, um das zu unterfüttern: Schon jetzt glauben 80 Prozent der Amerikaner, die Regierung würde Informationen über Aliens unter Verschluss halten. Ein Drittel sei sogar überzeugt, dass die Außerirdischen bereits unter uns weilten. "Und trotzdem", so Shostak, "gibt es keine Randale auf den Straßen."

Die Welt wird also nicht durchdrehen? Shostak schüttelt den Kopf. Er schmunzelt. Schließlich sagt er: "Das würde ja voraussetzen, dass sie nicht schon durchgeknallt ist."

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Quelle:
SZ vom 26.03.2011/mcs
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