Süddeutsche Zeitung

Giftiges Jakobskreuzkraut:Die Gefahr wuchert

Es sieht schön aus, doch essen sollte man es auf gar keinen Fall: Das giftige Jakobskreuzkraut breitet sich in Deutschland aus - damit wächst auch das Risiko, dass es in Nahrungsmittel gelangt.

Hanno Charisius

Manche Probleme wachsen in Deutschland am Straßenrand. Eines von ihnen heißt Jakobskreuzkraut, manche kennen es als Greiskraut. Das Gewächs wird bis zu einen Meter hoch und trägt von Juni an zahlreiche quietschgelbe Blüten. Essen sollte man es auf keinen Fall.

Bauern kennen das giftige Unkraut seit Jahrhunderten. Immer wieder sterben Pferde und Rinder, weil sie Jakobskreuzkraut mit Heu oder Silage vermengt fressen. Neuerdings breitet sich das Kraut allerdings rasant aus - entlang Straßen und Bahngeleisen und auf Ackerbrachen wuchert es allenthalben.

In Niedersachsen und Hessen habe er bereits Rinder "bis zum Bauch im Greiskraut" stehen sehen, berichtet Helmut Wiedenfeld vom Pharmazeutischen Institut der Universität Bonn. "Damit wächst die Gefahr, dass die Giftstoffe der Pflanzen in die Nahrungskette gelangen und schließlich auch Menschen gefährden."

Bereits in den 1970er Jahren wurde in Fütterungsversuchen das Gift der Pflanze in Kuhmilch nachgewiesen. Wiedenfeld arbeitet derzeit an neuen Untersuchungen. Das Gift des Jakobskrauts ist Pharmazeuten und Sicherheitsbehörden wohlbekannt.

Sie fassen eine Gruppe von Substanzen, mit der sich die Pflanze vor Fraßfeinden schützt, als Pyrrolizidinalkaloide zusammen, kurz: PA. Für Tiere und Menschen sind nicht diese Alkaloide an sich gefährlich, sondern ihre Abbauprodukte. Enzyme in der Leber verwandeln das PA in Gifte, die das Organ allmählich zerstören, auch Krebs können sie auslösen.

Gift im Kräutertee

Viele Pflanzen bilden Pyrrolizidinalkaloide, einige von ihnen sind in der Volksmedizin als Heilkräuter bekannt. Huflattich etwa, Beinwell oder Pestwurz. Von Huflattich und Pestwurz gibt es mittlerweile nahezu PA-freie Züchtungen, die zu pflanzlichen Arzneimitteln verarbeitet werden dürfen.

Maximal ein Mikrogramm dieser Giftstoffe darf ein Mensch über Arzneimittel und Kräutertees am Tag zu sich nehmen, schreibt der Gesetzgeber vor. Außerdem sollte die Anwendung nicht länger als vier bis sechs Wochen pro Jahr dauern.

Schwangere und stillende Frauen sollten deutlich unter diesem Wert bleiben. Erst vor kurzem sei ein Säugling wenige Tage nach der Entbindung an Leberversagen gestorben, berichtet Wiedenfeld. Als Ursache machten die Mediziner PA-Abbauprodukte aus, es zeigte sich, dass die Mutter während der Schwangerschaft regelmäßig Kräutertee getrunken hatte, der giftige Pflanzen enthielt.

Laut Produktbeschreibung sollte der Aufguss die Immunabwehr stärken. Die Giftmenge war nicht hoch genug, um die Leber der Mutter zu zerstören, doch das Organ eines Fötus reagiert empfindlich. Das sei kein Einzelfall, sagt Wiedenfeld. "Ich schaue mich gelegentlich auf Kräutermärkten um, da werden die wildesten Mischungen verkauft, ohne dass die Leute eine Ahnung davon haben."

Auch Lebensmittel werden mitunter kontaminiert. Vor drei Jahren berichtete das Berliner Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) von Salatmischungen aus Supermärkten, die PA-haltiges Grünzeug enthielten. Zwischen Radicchio-, Frisee- und Feldsalat entdeckten Lebensmittelkontrolleure Blüten und Blätter des Gemeinen Greiskrautes, einer von fast 20 in Deutschland heimischen Verwandten des Jakobskreuzkrauts und nicht minder giftig.

Erklärungen für den aktuellen Eroberungszug des Jakobskreuzkrauts gibt es viele. "Landwirtschaftliche und klimatische Bedingungen fördern diese Entwicklung", sagt Monika Lahrssen-Wiederholt vom BfR. Weiden würden ungenügend gepflegt, ergänzt Sabine Aboling, Botanikerin der tierärztlichen Hochschule Hannover.

Dadurch entstehen offene Flächen, auf denen sich die Greiskrautsamen ansiedeln können. "Auf einer gut gepflegten Kuhweide mit geschlossener Grasnarbe hätte das Kraut keine Chance. Es ist genügsam, aber nicht besonders durchsetzungsfähig." Das wärmere Klima der vergangenen Jahre könnte die Pflanze zudem begünstigt haben.

Fatalerweise seien Greiskrautsamen jahrelang in Saatgut zur Begrünung von Straßenrändern, Bahngleisen und Brachflächen eingebracht worden, sagt Helmut Wiedenfeld, "wegen des hübschen Aussehens". Doch eine Meldepflicht wie in England oder der Schweiz, wo das Kraut wächst, gibt es in Deutschland nicht.

Die tödliche Dosis

Reichlich Forschungsbedarf sieht Petra Wolf, Expertin für Tierernährung von der tierärztlichen Hochschule in Hannover. So gebe es zum Beispiel keine gesicherten Angaben darüber, wie viele Tiere jährlich an einer Vergiftung mit Jakobskreuzkraut sterben und ob die Zahl steigt.

In Internetforen wird kolportiert, Bauern hätten bereits ganze Tierherden verloren. Solche Berichte will Wolf aber nicht bestätigen: "Massenvergiftungsfälle sind uns bislang nicht bekannt", sagt die Botanikerin.

Während man von Rindern und Pferden inzwischen weiß, welche Giftmenge tödlich wirkt, ist das beim Menschen noch unklar. Sicher sei jedoch, dass schon kleine Mengen der Leber schaden, sagt Pflanzenchemiker Wiedenfeld. So summieren sich harmlose Mengen womöglich zur tödlichen Dosis. Deshalb sei es jetzt wichtig herauszufinden, wie viel Pyrrolizidinalkaloide der Mensch mit seiner Nahrung aufnehme.

Bislang seien pflanzliche Nahrungsmittel die größte PA-Quelle für den Menschen, sagt Monika Lahrssen-Wiederholt vom BfR. Eine Belastung in Fleisch sei bislang nicht nachgewiesen worden. Doch auch in Bienenhonig fand man bereits das Gift.

Am BfR in Berlin entwickelt derzeit eine Forschungsgruppe eine routinetaugliche Messmethode zur Erfassung von PA in Milch und Milchprodukten. Eine andere untersucht, ob Pyrrolizidinalkaloide in die Milch von Ziegen übergehen. Bislang sei nichts gefunden worden, sagt ein Mitarbeiter. Vielleicht seien aber auch zu geringe Mengen Jakobskreuzkraut verfüttert worden, man habe den Tieren nicht schaden wollen.

Ungebremst ins Viehfutter

Petra Wolf kritisiert unterdessen die Versuche: "Ziegen und Schafe haben einen viel besseren Entgiftungsmechanismus für diese Stoffe als Rinder." Deshalb hält sie die Ziege in diesem Fall für "kein gutes Modelltier". Ob das BfR seine Versuche an Rindern wiederholen wird, ist noch offen.

Bislang hält Helmut Wiedenfeld die Gefahr durch Milch für gering, "wegen des Verdünnungseffektes". Selbst wenn einzelne Kühe einer Herde zu viel Jakobskreuzkraut mit der Nahrung aufnähmen, würden die Giftmengen in der Molkerei auf homöopathische Dosen verdünnt.

Wenn Jakobskreuzkraut ungebremst ins Viehfutter gelange, könnte sich das jedoch ändern. Kleinere Betriebe mit Hofverkauf könnten bereits problematische Milch produzieren. Mit der Ausbreitung der Pflanze wachse die Gefahr, sagt Wiedenfeld. "Eigentlich wächst sie nicht, sie wuchert."

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SZ vom 23.05.2009/gal
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