Süddeutsche Zeitung

Gesundheitsvorsorge:Unverantwortliche Impf-Mythen

Lesezeit: 2 min

Das hartnäckige Gerücht, Nebenwirkungen von Impfungen seien für Kinder meist schädlicher als die Krankheit selbst, führt zu Unsinn wie "Maser-Partys" - und gefährdet auch Dritte.

Werner Bartens

Mythen rund um die Masern lassen sich in Deutschland offenbar genauso schwer ausrotten wie die Krankheit selbst:

Manche Eltern und fahrlässige Kinderärzte glauben, es sei besser, die Krankheit "durchzumachen" als geimpft zu werden.

Um in den vermeintlichen Nutzen einer Infektion zu kommen, veranstalten sie "Masern-Partys".

Ein anderer Irrglaube besteht darin, dass die Krankheit harmlos sei. Impfungen werden hingegen schreckliche Komplikationen nachgesagt.

So hält sich hartnäckig das Gerücht, neben anderen Nebenwirkungen würden geimpfte Kinder Schwangere anstecken und später häufiger an Autismus oder der Darmentzündung Morbus Crohn erkranken.

Diese vermeintlichen Alltagsweisheiten haben gemeinsam, dass sie falsch sind und auf fehlerhaften Untersuchungen beruhen oder frei erfunden sind.

"Selbstverständlich möchten Eltern ihre Kinder am Anfang schützen", sagt Bernd Belohradzky, Professor für Infektionsimmunologie am von Haunerschen Kinderspital der LMU München. "Da sind sie wohl besonders empfänglich für schlechte Nachrichten über Impfschäden."

Doch die Impfung ist ungleich harmloser als die Erkrankung. Früher konnte es nach etwa jeder 100.000 Impfung zu einer Hirnentzündung kommen. Seit einigen Jahren wird jedoch ein neuer Impfstoff in Deutschland verwendet.

Übertriebene Panikmache

"Theoretisch besteht das äußerst geringe Risiko zwar noch, dass es nach einer Impfung zur Enzephalitis kommt", sagt Belohradzky. "Aber praktisch ist in Deutschland bisher kein einziger Fall bekannt geworden."

Als übertriebene Panikmache entpuppte sich auch die Behauptung, die Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln könne Autismus oder Morbus Crohn auslösen. Vergangenes Jahr konnte in einer großen Übersichtsarbeit gezeigt werden, dass hier keinerlei Zusammenhang besteht.

Die Studie, in der dies 1998 suggeriert wurde, war methodisch unzureichend und beruhte auf der Untersuchung von nur zwölf Kindern. Dass Masern keine harmlose Kinderkrankheit sind, hat sich leider immer wieder bestätigt. Ein fünfjähriger Junge aus Bielefeld, der als Kleinkind Masern hatte, erkrankte 2004 an der gefährlichen Spätkomplikation SSPE.

Maserninfektion mit Todesfolge

Die Abkürzung steht für Subakute sklerosierende Panenzephalitis und bedeutet so viel wie Entzündung des gesamten Gehirns. Die SSPE tritt fünf bis zehn Jahre nach einer Maserninfektion auf. Sie kommt zwar in Deutschland nur fünf- bis zehnmal im Jahr vor, aber sie verläuft immer tödlich.

Zuerst sind die Kinder verhaltensauffällig und ihre Leistungen lassen nach. Dann werden sie von epileptischen Anfällen und Muskelkrämpfen geschüttelt, bis sie ins Koma fallen, aus dem sie nicht mehr erwachen.

Andere Komplikationen der Masern sind weitaus häufiger. Bei jeder 500. bis jeder 2000. Infektion tritt schon nach wenigen Wochen eine Enzephalitis auf. Diese Form der Hirnentzündung verläuft zu 30 Prozent tödlich, 20 Prozent der Betroffenen müssen mit bleibenden Schäden rechnen. Noch häufiger sind Lungenentzündungen und Mittelohrentzündungen, die auf eine Masernerkrankung folgen können.

Die jüngste Epidemie in Nordrhein-Westfalen bestätigt die Statistik: Wöchentlich kommen hier 120 bis 140 neue Fälle hinzu. Trotzdem weigern sich Eltern, ihre Kinder impfen zu lassen.

Dabei wird das Immunsystem durch Impfungen genauso trainiert wie durch eine Erkrankung. "Dass man die Krankheit durchgemacht hat, können nur die sagen, die ohne Schaden davongekommen sind", sagt Reinhard Berner, Leitender Oberarzt der Universitätskinderklinik Freiburg.

Masern-Partys sind "fast kriminell"

Masern-Partys findet Detlef Kunze, Vorsitzender des Ärztlichen Kreis- und Bezirksverbandes München, fast kriminell: "Ärzte, die Eltern dazu raten, machen Kunstfehler."

Im Jahr 2002 wurden um Coburg 1166 Masernfälle gemeldet. In NRW ist es nur eine Frage von Tagen, bis diese Zahl überschritten wird. Durch die fahrlässigen Impflücken werden auch Säuglinge gefährdet, die im ersten Lebensjahr nicht geschützt werden können, da die Impfung erst ab dem elften Monat wirkt.

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Quelle:
SZ vom 15.5.2006
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