Süddeutsche Zeitung

Gesundheitstechnik:Energiequelle Blut

Wissenschaftler versuchen, mit Blutzucker im Körper technische Geräte wie Herzschrittmacher anzutreiben. Schließlich ist Glukose eine äußerst nachhaltige Energiequelle, die auch Gehirn und Muskeln mit Energie versorgt.

Von Oliver Prien

Jeder Mensch trägt eine Energiequelle mit sich herum, wie es sie nachhaltiger kaum gibt. Dass sie mal versiegen könnte, ist höchst unwahrscheinlich, denn gespeist wird sie von jedem Stück Schokolade, jeder Scheibe Brot und jeder Nudel, die der Mensch isst. Diese Energiequelle ist der Blutzucker.

Vorrangig versorgt die Glukose im Blut zum Beispiel Gehirn, Muskeln und rote Blutkörperchen mit Energie. Doch das muss noch nicht alles sein - dachten sich Wissenschaftler vor fast einem halben Jahrhundert.

Könnte der Blutzucker nicht auch dazu genutzt werden, technische Geräte mit Energie zu versorgen, Implantate wie Herzschrittmacher zum Beispiel? Würde dies gelingen, könnte Patienten vermutlich manche Operation zwecks Batteriewechsel erspart bleiben.

Die Idee von der Energiewende im menschlichen Körper ist alt, einfach und einleuchtend - und dennoch in der Praxis bislang nicht umsetzbar. Eines der Hauptprobleme liegt darin, dass die auf Blutzucker basierenden Brennstoffzellen unter Bedingungen, wie sie im Körper herrschen, höchstens einige Tage lang arbeiten. Das ist viel zu kurz, um sie in einem Implantat einzusetzen.

Immerhin funktioniert das Prinzip im Labor. Sven Kerzenmacher vom Institut für Mikrosystemtechnik der Universität Freiburg etwa nutzt eine Blutzucker-Brennstoffzelle, um einen Herzschrittmacher unter physiologischen Bedingungen anzutreiben.

Am besten funktioniert das, wenn die Brennstoffzellen den Implantaten als dünne Schicht aufgeklebt sind - der Strom also dort produziert wird, wo man ihn auch braucht.

Grundsätzlich biokompatibel

Noch eignet sich diese Methode auch im Labor nur für sparsame Geräte. Den Anforderungen der aktuellen Generation von Herzschrittmachern genügte sie jedoch bereits, sagt Kerzenmacher. Zudem legen Tierversuche nahe, dass diese Mini-Kraftwerke grundsätzlich biokompatibel sind.

Die Glukose-Brennstoffzellen aus Freiburg basieren unter anderem auf einer Platin-Elektrode - und die ist offenbar der Knackpunkt für die Frage der Langlebigkeit. Sie funktioniert unter Laborbedingungen zwar dauerhaft stabil. Unter Bedingungen, wie sie im Körper herrschen, verschmutzt die Elektrode allerdings schnell und funktioniert dann nicht mehr.

Das Problem liegt darin, dass der Schmutz kein Dreck im gewöhnlichen Sinn ist. Stattdessen handelt es sich um Aminosäuren - lebenswichtige Bausteine des Körpers, die sich ebenfalls im Blut befinden. "Die Aminosäuren setzen sich auf der Platin-Elektrode ab und verringern so ihre Lebensdauer", sagt Kerzenmacher. Er versucht nun, die Elektroden so zu verändern, dass sie für die Aminosäure weniger attraktiv und dadurch haltbarer werden.

Oder ist es sinnvoller, auf etwas ganz anderes als Platin-Elektroden zu setzen? Auf Enzyme zum Beispiel? Das sind Eiweiß-Moleküle im Körper, die wie ein Katalysator im Auto chemische Reaktionen erleichtern. Verschmutzte Elektroden sind bei dieser Methode kein Problem - dafür tauchen andere Schwierigkeiten auf.

Einige Wissenschaftler gehen dennoch in diese Richtung. Forscher der Universität Joseph Fourier Grenoble implantierten Ratten bereits erfolgreich Glukose-Brennstoffzellen.

Diese nutzten zwar auch Elektroden, aber keine aus Platin, sondern mit Enzymen beschichtete. Diese Moleküle dienen der Reaktion zwischen Glukose und Sauerstoff als Katalysator. Im Lauf der Zeit aber verändert sich die Struktur der Enzyme. Das ist ihr biochemisches Todesurteil. Die Substanzen können meist nur in einer ganz spezifischen Form als Katalysator dienen. Ändert sich die dreidimensionale Struktur, verlieren Enzyme ihre Wirkung.

Trotz der prinzipiell kürzeren Lebensdauer wissen Forscher um einen Vorteil dieser Methode. Sie erzeugt eine relativ große Leistung und ist daher für einen begrenzten Zeitraum geeignet, in dem mehr Energie benötigt wird, zum Beispiel für Sensoren zur Messung des Hirninnendrucks nach einem Unfall. Zusätzliche Energie könnte dann dafür genutzt werden, dass die Sensoren ihre Daten via Funk nach außen senden.

Doch egal, wie und wo sie später einmal zum Einsatz kommen soll: Ehe ein Mensch eine Bio-Brennstoffzellen eingesetzt bekommt, fehlt noch ein entscheidender Schritt. Verträgt der Körper die Technik überhaupt, ist sie sicher? Bis zum Herzschrittmacher mit Biostrom dauert es schon aufgrund der medizinischen Tests noch eine Zeit.

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Quelle:
SZ vom 09.07.2013/mcs
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