Süddeutsche Zeitung

Gesundheit:Krebs oder nicht Krebs?

Der Streit um Glyphosat ist festgefahren, aber auf Schwarz-Weiß-Malerei sollte in der Diskussion verzichtet werden.

Von Kathrin Zinkant

Wissenschaft soll vor allem eines: die Wahrheit rausfinden. Was aber tut man, wenn es zwei Wahrheiten gibt? Im Fall des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat ist genau das die Lage. Seit die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation, IARC, das Herbizid 2015 als "wahrscheinlich krebserregend" eingestuft hat, streiten Experten über Aussage und Grundlage dieser Bewertung. Die einen sagen: es stimmt. Wer das bezweifelt, hat sich die falschen Studien ausgesucht. Die anderen sagen: es stimmt nicht. Wer das bezweifelt, hat sich die falschen Studien ausgesucht.

Fakt ist, dass niemand derzeit sicher sagen kann, ob Glyphosat für Menschen krebserregend ist oder nicht. Doch die Frage, inwieweit der Durchschnittsbürger mit dem dubiosen Ackergift in Berührung kommt, hat die Verunsicherung in den vergangenen Monaten kaum vermindert. Kurz vor der Debatte in Brüssel stellte eine Bürgerinitiative in Berlin die "weltweit umfangreichste" Untersuchung zu Glyphosat im menschlichen Urin vor. Obwohl die Stichprobe groß, aber weder repräsentativ noch erhellend hinsichtlich der Folgen war: Die Tatsache, dass fast jeder Mensch das Gift stetig durch seinen Körper schleust, erzeugt keine guten Gefühle. Wie aber geht man jetzt damit um? Sind die niedrigen Konzentrationen gefährlich? Wie hoch ist das Risiko?

Wer das wissen will, schlittert schon in den nächsten Streit hinein. Umweltverbände, Grüne und das Hamburger Pesticide Action Network sagen: Wenn Glyphosat krebserregend ist, spielt die Dosis keine Rolle. Es gibt aber Toxikologen, die das bezweifeln. Dieter Schrenk von der Technischen Universität in Kaiserslautern weist auf eine Voraussetzung hin: Genotoxizität. So wird die Eigenschaft eines Stoffes bezeichnet, das Erbgut von Zellen direkt zu schädigen. Nicht jeder krebserregende Stoff wirkt auf diese Weise. "Aber nur eine krebserregende Substanz, die genotoxisch wirkt, ist in jeder Konzentration schädlich", erklärt Schrenk. "Und Glyphosat ist nach derzeitigem Kenntnisstand nicht genotoxisch." Deshalb gebe es Werte, die man als unbedenklich bezeichnen könne. Nun wäre dies wohl eine echte Beruhigung für die Öffentlichkeit - wenn nicht auch um die Genotoxizität gestritten würde. So sagt Kurt Straif, der Leiter des IARC-Prüfungsgremiums, es gebe Hinweise auf eine Genotoxizität des Unkrautkillers. Wieder steht Aussage gegen Aussage. Was stimmt, bleibt unklar. Doch selbst Schrenk, der nach eigener Aussage nie Verbindungen zu Pestizidherstellern hatte, könnte mit seiner Einschätzung in die Industrieschublade geraten. Weil Monsanto eine Genotoxizität von Glyphosat ebenfalls ausschließt.

Entscheidend ist, bei dieser Schwarz-Weiß-Malerei nicht mitzumachen - und genauso wenig in Panik zu geraten. Denn ob Krebs oder nicht Krebs: Es ist klar, dass Pestizide Gifte sind. Jetzt gilt es, ihren Verbrauch endlich und so weit wie möglich zu reduzieren.

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Quelle:
SZ vom 07.03.2016
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