Gesundheit:Das Mysterium Schnupfen

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Die Menschheit mag die Pest besiegt haben und die Pocken. Von der banalen Erkältung aber lässt sie sich immer noch quälen. Und das Einzige, was offenbar hilft, sind alte Hausmittel.

Von Christina Berndt

Dieser Feind ist noch fast ein Unbekannter. Die Menschen unterschätzen ihn, weil er nur selten tötet. Deshalb haben sie bislang kaum etwas über ihn herausgefunden. Und so kann er sie quälen - jedes Jahr aufs Neue.

Sieben Tage dauert eine Erkältung ohne Arzt, mit Arzt eine Woche. So ist das und so war das. (Foto: Foto: AP)

Der Feind ist winzig, gewiss. Aber er kommt in vielen Hundertschaften. Und wenn er jemanden anfällt, merkt der Attackierte das sehr bald - meist schon einen Tag danach. Dann fängt der Hals an zu kratzen. Ein bis zwei Tage später ist die Nase verstopft, und der Kopf schmerzt. Und zum Schluss, wenn das Opfer gerade denkt, jetzt habe sich der Körper erfolgreich gewehrt, muss es auch noch kräftig husten.

Die Menschheit mag die Pest besiegt haben und die Pocken. Von der banalen Erkältung aber lässt sie sich immer noch quälen. Zwei bis vier Schnupfen fängt sich jeder Erwachsene pro Jahr ein, Kinder sogar vier bis acht. Und so kommt es, dass ein Mensch, wenn er 75Jahre alt geworden ist, zusammengenommen zwei bis drei Jahre seines Lebens mit Schniefen und Husten verbracht hat.

Schlachtfeld Schleimhaut

Darunter leidet auch die Wirtschaft. Ständig hängen Leute schlapp im Büro herum oder bleiben ganz zu Hause. Aber ein Mittel oder gar einen Impfstoff gibt es nicht. Sieben Tage dauert eine Erkältung ohne Arzt, mit Arzt eine Woche. So ist das und so war das.

Die Entschuldigung der Ärzte: Sie haben es nicht mit nur einem Feind zu tun. Mehr als 200 verschiedene Erreger lösen Erkältungen aus. Sie gehören zu den Rhinoviren, ebenso wie zu den Adenoviren und auch zu den Coronaviren, die wegen Sars Berühmtheit erlangt haben.

Allein von den Rhinoviren gibt es wiederum mehr als hundert verschiedene genetische Varianten. So sucht den menschlichen Körper jedesmal ein neuer, ungebetener Gast heim und bereitet den Boden gleich für ein paar weitere Gäste. Denn die Schleimhäute sehen "nach einer Viren-Attacke aus wie ein Schlachtfeld", sagt der Virologe Alexander Kekulé.

"Jeglichen menschlichen Kontakt vermeiden" - dieser traurige Rat ist alles, was David Tyrell nach einer langen Karriere als Erkältungsforscher zur Prophylaxe empfehlen kann. Tyrell hat mehr als 30Jahre lang die Common Cold Research Unit in Salisbury geleitet, das britische Erkältungsforschungszentrum - bis es 1990 geschlossen wurde. Trotz oder wegen der vielen offenen Fragen.

Dabei haben sich Wissenschaftler in aller Welt redlich bemüht, etwas über die häufigste aller Erkrankungen herauszufinden. Vor allem haben sie allerlei wirklich unangenehme Versuche gestartet, um zu ergründen, wie die vermaledeiten Viren von einem Menschen zum anderen gelangen.

Das Niesen sei schuld, glaubten sie lange. Schließlich schweben die kleinen Flüssigkeitströpfchen, die dabei mit 150 Stundenkilometern aus Mund und Nase geschossen kommen, stundenlang in der Luft.

Aber die Ansteckung scheint gar nicht so feucht abzulaufen, wie Forscher von der Universität Wisconsin 1984 in einem Experiment herausfanden: Sie infizierten ein paar Testpersonen mit Schnupfenviren und sperrten sie, als die Ärmsten sich richtig krank fühlten, für mehrere Stunden mit Gesunden in einen ungelüfteten Raum.

Nach Herzenslust wurde geniest und geschnieft. Das frappierende Ergebnis: Keiner der Eingesperrten wurde krank.

Da ergriffen die Forscher drastischere Methoden: Die Gesunden mussten die Kranken küssen. Immerhin, sie durften sich die "ihnen genehmste Kusstechnik" aussuchen. Pflicht beim Küssen aber war: auf den Mund, und zwar mindestens eine Minute.

Am Ende staunten die Forscher nicht schlecht. Nur einer von 13Probanden bezahlte den leidenschaftlichen Versuch mit körperlichem Leid.

Dennoch wurde kurz darauf erneut klar: Menschen mit Erkältungen sind wandelnde Virenschleudern. Denn als die Probanden nach Hause entlassen waren, steckten sie in Windeseile ihre Familien an. Wer verschnieft ist, zieht bis zu drei Viertel seiner Kontaktpersonen mit ins Verderben, lautet die Regel.

Sollten somit für den Gesunden vielleicht doch Türklinken und Telefonhörer gefährlicher sein als ein feuchter Redeschwall? Schließlich fassen sich auch Erwachsene ständig an die Nase und in die Augen - mehrmals pro Stunde, wie einmal eine geheime Untersuchung an den Teilnehmern eines Medizinerkongresses ergab.

Womöglich also geben Kranke ihre Viren über verseuchte Alltagsgegenstände weiter, dachten sich die Forscher aus Wisconsin.

Ein legendäres Poker-Experiment sollte eine Antwort darauf geben: Dabei mussten Gesunde mit niesenden Maladen stundenlang Karten spielen - wobei jeder zweite Gesunde eine ein Meter breite Halskrause aus Plastik trug.

Die sollte verhindern, dass die Testpersonen ihre Augen, Nasen oder Münder berührten, weil ihre Hände über die Spielkarten wahrscheinlich mit Viren kontaminiert waren. Die übrigen Gesunden dagegen durften an sich herumfingern, wie sie das immer taten.

Wie wandern Viren?

Und tatsächlich: Jeder zweite von ihnen bekam einen Schnupfen. Allerdings traf es auch jeden Zweiten mit Halskrause. Das stoische Aussitzen juckender Augen und kitzelnder Nasen - es hatte sich nicht gelohnt.

Wie also wandern die Viren vom einen zum andern? Und wen trifft die Erkältung? Eine definitive Antwort gibt es nicht. Menschen bieten offenbar nicht nur durch ungewaschene Hände und gemeinsam verwendete Handtücher eine große Angriffsfläche.

Auch gute Erziehung könnte das Problem vergrößern: Wer sich beim Niesen die Hand vor Mund und Nase hält, ist wahrscheinlich unsozialer als der ungehemmte Sprüher.

Dabei ist Schnupfen offenbar auch eine Typfrage: In Tests reagierte etwa jeder Zehnte überhaupt nicht, wenn er auf den Jahrmarkt der Viren geriet. Und jeder Vierte infizierte sich zwar, entwickelte aber keinerlei Symptome.

Solche Zeitgenossen sind die ärgerlichsten: Sie fühlen sich prima und tragen die Erreger ungehemmt durch die Welt. Ihr Geheimnis ist bis heute nicht entschlüsselt. Ohnehin wissen Wissenschaftler kaum etwas darüber, wer zu welchem Zeitpunkt besonders anfällig für eine Erkältung ist.

Versuch in nassen Socken

Nicht einmal klar ist, ob eine "Erkältung" wirklich etwas mit "Kälte" zu tun hat. Gemeine Experimente dazu haben die Briten in Salisbury unter ihrem ersten Chef Sir Christopher Andrews bereits vor einem halben Jahrhundert ersonnen: Ihre Probanden mussten eine halbe Stunde lang klatschnass in einem zugigen Durchgang herumsitzen und nach dem Anziehen auch noch nasse Socken tragen, während andere Freiwillige es wohlig warm hatten.

Dann wurden ihnen Schnupfenviren in die Nase getropft. Doch die Nass-Bestrumpften wurden gar nicht häufiger krank als die anderen.

Die Kälte in Schutz nehmen will Alexander Kekulé trotzdem nicht. "Es sind nicht besonders viele Erhebungen zu diesem Thema gemacht worden", sagt der Virologe von der Universität Halle-Wittenberg. "Ich würde Kälte nicht als Grund für Schnupfen ausschließen."

Auffällig sei ja auch, dass man vor allem im Winter unter Erkältungen leide. Sollte man sich vielleicht besser auf sein Gefühl und die Ratschläge der Großmutter verlassen?

Immerhin: Manche Alltagsweisheit hat sich durchaus bestätigt. So scheinen regelmäßige Saunagänger weniger anfällig für die Viren-Attacken zu sein, womöglich, weil ihr Körper daran gewöhnt ist, seinen Wärmehaushalt zu regulieren.

Und wer sein Immunsystem schwächt, weil er zu viel Stress hat und zu wenig schläft, fängt sich leichter eine Erkältung ein als ausgeruhte Zeitgenossen.

Auch bei der Behandlung hat eher die Großmutter Recht. Denn was lässt sich schon tun gegen die lästigen Angreifer? Antibiotika helfen nur gegen Bakterien, aber nicht gegen Erkältungsviren.

Vitamin C? Wirkt bestenfalls, bevor man krank wird.

Aspirin? Kann das Fieber senken, aber australischen Forschern zufolge lässt es die Nase noch mehr triefen.

Echinacea? Taugt nichts, wie Studien zeigen.

Das In-Mittel Umckaloabo? Wirkung nie bewiesen.

Zink? Geschenkt.

Großmutters Hausmittel sind dagegen durchaus eine Hilfe: Ein Vollbad nehmen, inhalieren, warme und kalte Wickel, heiße Tees und all das, was man schon als Kind kannte.

Zwar sei die Wirksamkeit der meisten Hausmittel nicht bewiesen, folgert die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Aber sie trügen zum Wohlbefinden bei und seien billig.

"Im Grunde genommen", lautet das niederschmetternde Fazit des Schnupfenforschers David Hilding im Ear, Nose and Throat Journal, "hat es im vergangenen Jahrhundert wenig oder keinen Fortschritt bei der Behandlung von Erkältungskrankheiten gegeben."

© SZ vom 17.2.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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