Geschichte - Niesgrau:Taucher bergen Enigma-Chiffriermaschine vom Grund der Ostsee

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Die Enigma-Chiffriermaschine aus dem 2. Weltkrieg auf dem Grund der Ostsee. Foto: Florian Huber/submaris/dpa (Foto: dpa)

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Kiel (dpa) - Seine Rolle des Alan Turing im Kinofilm "The Imitation Game" brachte Schauspieler Benedict Cumberbatch eine Oscar-Nominierung als bester Hauptdarsteller. Der britische Mathematiker Turing trug während des Zweiten Weltkriegs maßgeblich dazu bei, den Enigma-Code zu knacken. Dies hatte erheblichen Einfluss auf den U-Boot-Krieg im Atlantik. Fortan konnten die Briten die verschlüsselten Funk-Codes an deutsche Boote "mitlesen" - unbemerkt vom Kriegsgegner. Nun haben Forschungstaucher eine solche Chiffriermaschine zufällig auf dem Grund der Ostsee gefunden - sie hatte sich in einem Geisternetz verfangen.

"Ein Kollege tauchte auf und sagte: Da liegt ein Netz, es hängt aber eine alte Schreibmaschine drin", sagt Unterwasser-Archäologe Florian Huber. Der 45-Jährige war im November mit einem Kollegen im Auftrag der Umweltschutzorganisation WWF in der Geltinger Bucht auf der Suche nach Geisternetzen. Das sind laut WWF "herrenlose Fischernetze, die eine tödliche Falle für Fische, Meeressäuger und Seevögel darstellen und als Plastikmüll die Meere belasten".

Sofort habe er vermutet, dass es sich um eine Enigma handeln könnte, sagt Huber. "Denn wer schmeißt schon eine alte Schreibmaschine irgendwo mitten in die Ostsee." Zwei Wochen später kehrte der Forschungstaucher aus Kiel mit seinem Kollegen wieder an die Stelle zurück, um die Maschine zu bergen. Gewissheit habe es erst an Deck gegeben. Sie hätten sich entsprechend gefreut, "weil wir eben wussten, dass macht man genau einmal". Die Enigma sei sagenumwoben. "Die Technik, die dahinter steckt, ist wahnsinnig faszinierend."

Bei der Enigma handelt es sich um eine für damalige Verhältnisse komplexe Maschine. Benannt nach dem griechischen Wort für Rätsel hatte sie 26 Buchstaben-Tasten und ebenso viele Leuchtfelder mit jenen Buchstaben, die den verschlüsselten Text bildeten. Im Inneren durchlief der Strom auf dem Weg vom Tastendruck an Bord des U-Boots zur Lampe oberhalb der Tastatur mehrere rotierende Walzen. Die Reihenfolge der Walzen und die sich daraus ergebenden Buchstaben-Paare änderten sich täglich.

Heute sind die Maschinen selten. 2015 wechselte eine Enigma im Londoner Auktionshaus Sotheby's für 149 000 Pfund (umgerechnet damals 210 000 Euro) den Besitzer. "Ich habe noch keine Angebote bekommen", sagt Huber. Die Taucher meldeten ihren Fund dem Landesamt für Archäologie. Dort soll die Enigma näher untersucht werden. "Sie wird dem Land Schleswig-Holstein gehören." In Wien wird am Donnerstag eine Enigma versteigert, das Startgebot liegt bei 30 000 Euro.

Huber hat bereits einen Verdacht, woher die Enigma aus der Geltinger Bucht stammt. In dem Seegebiet südlich der Flensburger Förde hatte die deutsche Kriegsmarine im Mai 1945 Dutzende U-Boote versenkt. "Wir vermuten, dass unsere Enigma im Zuge dieses Ereignisses über Bord gegangen ist", sagt Huber.

Gegen Kriegsende seien bei der Operation Regenbogen etwa 50 U-Boote versenkt worden, bestätigt der Marinehistoriker Jann M. Witt vom Deutschen Marinebund. "Das ist ein wirklich aufregender Fund." Er mache dem griechischen Namen der Maschine alle Ehre. "Denn wie kommt er dahin?"

Der Experte hat eine Theorie. "Die Enigma muss von einem deutschen Kriegsschiff stammen." Denn auf U-Booten seien nur sogenannte M4 mit vier Walzen eingesetzt worden. Bei dem gefundenen Exemplar handele es sich jedoch um eine M3 mit drei Walzen, wie eine Röntgenaufnahme belege. "Ich gehe davon aus, dass sie gegen Kriegsende über Bord geworfen wurde, damit sie nicht in Feindeshand fällt."

"Denn die Enigma war das entscheidende Führungsmittel für die deutschen U-Boote", sagt Witt. U-Boot-Kommandanten hätten damit Positionen feindlicher Konvois verschlüsselt ans Hauptquartier verschickt. Dort seien die Taktiken für die folgenden Rudel-Angriffe mehrerer U-Boote entstanden. "Die Enigma ist ein Symbol dafür, welche Gefahren darin liegen, blind in Technik zu vertrauen." Trotz Zweifeln einiger sei die Kriegsmarine bis zuletzt von der Sicherheit der Technik überzeugt gewesen.

Von welchem Schiff die Enigma stammt, ist unbekannt. Das Typenschild ist noch nicht entziffert. "Da wird aber nicht draufstehen: Schnellboot XY", sagt Huber. Er möchte, dass die Enigma aus der Ostsee eines Tages in einem Museum zu sehen sein wird.

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