Geschichte - Dresden:Historiker: Opfer-Mythos von Dresden wandelt sich

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Dresden (dpa/sn) - Das Gedenken an die Zerstörung Dresdens im Zweiten Weltkrieg ist nach Ansicht eines Historikers im Wandel. Lange Zeit habe ein Opfer-Mythos die differenzierte Sicht auf diese Tragödie erschwert, sagte der Wissenschaftler Johannes Schütz von der Technischen Universität Dresden. "Dresden wurde als unschuldige Kulturstadt, als schönste Stadt Deutschlands stilisiert und damit zum Symbol für die deutschen Opfer schlechthin."

Dresdens Innenstadt war am 13. Februar 1945 und in den Tagen danach bei Luftangriffen britischer und amerikanischer Bomber zerstört worden. Bis zu 25 000 Menschen starben. Jedes Jahr erinnern die Einwohner der Stadt am 13. Februar an das Schicksal ihrer Stadt.

Nach der Wende wurde das Dresden-Gedenken immer mehr von Rechtsextremen vereinnahmt. Sie sehen in den Luftangriffen ein Kriegsverbrechen der Alliierten, ohne die Schuld Deutschlands am Zweiten Weltkrieg zu benennen. Zeitweilig gab es zum Jahrestag der Zerstörung Dresdens hier die europaweit größte Demonstration von Neonazis mit mehreren tausend Teilnehmern.

Mittlerweile habe sich der Diskurs verändert, sagte Historiker Schütz. "Heute ist es schon mehr Konsens als zuvor, diesen Tag im Kontext des Zweiten Weltkrieges zu betrachten und als Folge eines deutschen Angriffskrieges zu verstehen. Den Dresdnern ist bewusst, dass ihre Stadt Teil des nationalsozialistischen Reiches war." Der Mythos von der "unschuldigen Stadt" zerbröckele mehr und mehr.

Nach den Worten von Schütz begann die Vereinnahmung des Datums schon während des Krieges. Die deutsche Propaganda habe die Opferzahlen noch im Frühjahr 1945 hochgerechnet und damit Kriegsbereitschaft mobilisieren wollen. Nach dem Kriegsende habe die DDR-Führung die Bombardierung Dresdens als Beweis für "anglo-amerikanischen Terror" benutzt und damit auf das Wesen des Imperialismus hinweisen wollen.

Erst in den 1980er Jahren sei die Betrachtung differenzierter geworden. Partei- und Staatschef Erich Honecker sagte am 13. Februar 1985 zur Wiedereröffnung der im Krieg zerstörten Semperoper, dass der Krieg, der von Berlin ausging, seinerzeit nach Dresden zurückkehrte.

75 Jahre nach Kriegsende sieht Schütz Handlungsbedarf mit Blick auf Geschichtsrevisionismus: "Rechte stellen Geschichte in Frage, leugnen Tatsachen. Man muss den Boden für die Verbreitung rechter Ideologien austrocknen." Allerdings reiche dafür nicht nur Aufklärung über den Verlauf und die Folgen des Zweiten Weltkrieges. "Durch die Ereignisse der vergangenen Jahre mit einer zunehmenden Polarisierung der Gesellschaft verspüren Rechtsextreme wieder Aufwind und werden das auch am 13. Februar deutlich machen."

Schütz erwartet, dass sich neben dem Gedenken auch die Debatte um den 13. Februar selbst verändern wird. Dadurch, dass weniger Zeitzeugen zu dem Ereignis sprechen können, werde die Bombardierung mit weniger starker Emotionalität verknüpft sein: "Das eröffnet die Möglichkeit für eine differenziertere Betrachtung." Dennoch werde das Datum für immer im Gedächtnis der Stadt verankert bleiben.

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