Geschichte des Bieres:Wie die Germanen zu Biertrinkern wurden

"Die Hermannsschlacht", 1922 Germanen Stummfilm

So oder so ähnlich sahen die biertrinkenden Germanen aus: Darstelller einer Szene aus dem Stummfilm "Die Hermannsschlacht" von 1922

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Biochemiker Franz Meußdoerffer schildert, wie Gerstensaft die Menschen seit Jahrtausenden begleitet - und was Münchner Bier mit Industriespionage zu tun hat.

Interview von Oliver Das Gupta

Der Biochemiker Franz Meußdoerffer entstammt einer Familie, die seit Generationen mit Bier zu tun hat. Der Kulmbacher führt nebenher eine Mälzerei, die sein Ururgroßvater gegründet hat. Meußdoerffer leitet die Arbeitsgruppe Bioanalytik an der Universität Bayreuth. Zusammen mit Martin Zarnkow, der an der Technischen Universität München in Weihenstephan forscht, hat Meußdoerffer das Buch "Das Bier: Eine Geschichte von Hopfen und Malz" (C.H.Beck, 2014) verfasst.

SZ: Herr Meußdoerffer, das Münchner Oktoberfest geht an diesem Wochenende zu Ende. Bayern gilt heute als besondere Heimstatt des Gerstensafts schlechthin. Seit wann war Bayern tatsächlich ein Bierland?

Franz Meußdoerffer: Das ist noch nicht so lange her. Aventinus, der erste Chronist Bayerns, schrieb, dass die Bayernmänner Tag und Nacht bei Wein zusammensäßen. Sogar um Freising wurde viel Wein angebaut. Bis vor 500 Jahren war Bayern ein Weinland.

Welche Gründe gab es für den Umschwung?

Klimatische Veränderungen, aber auch gesellschaftliche Umwälzungen. Da es um das Jahr 1500 herum kälter wurde, ging der Weinanbau zurück. Bis dahin hatten die bayerischen Herzöge mitunter das Bierbrauen verboten, weil zu wenig Getreide vorhanden war. Das war natürlich nicht mehr möglich, wenn Bier zum Hauptgetränk der Untertanten avanciert. Damals war Hopfenbier bald weit verbreitet und man begann, untergärig zu brauen - im Gegensatz zu den Norddeutschen. So wurde Bayern schnell zum Bierland. Es gab drei brauende Stände: Den Adel, den Klerus und die Bürger der Städte. Im übrigen Deutschland waren es vor allem die Städter, die Bier produzierten. Nach dem Niedergang des städtischen Brauwesens im Norden trank man dort mehr Schnaps, weil da die weniger Wohlhabenden mehr Alkohol für weniger Geld bekommen.

Wann wurde das Bier überhaupt erfunden?

So genau lässt sich das nicht feststellen.Die Idee, aus Getreide ein alkoholisches Lebensmittel zu machen, entstand schon in der Steinzeit.

Wer war der Urheber der Idee?

Belegbar sind schriftliche Nachweise aus Mesopotamien, einem Gebiet, das sich im heutigen Irak und teilweise Syrien befand, in dem Moment, wo die ersten Schriftzeichen entstehen. Auch unter den ersten Hieroglyphen in Ägypten finden sich Zeichen für Bier. Das war etwa vor 5000 bis 6000 Jahren. In Nordeuropa kann man die Kelten als Erfinder des Bierbrauens bezeichnen.

Warum wurde so früh über Bier geschrieben?

Weil Bier wichtig war und festgelegt werden musste, welcher Gruppe wie viel zustand: für die Priesterschaft, staatliche Funktionsträger und die Arbeiter. Die Schrift wurde ja zuerst nicht für kulturelle Zwecke, sondern als Hilfsmittel der Verwaltungen entwickelt. Die Herstellung von Brot und Bier, also der Grundnahrungsmittel, war in der Frühantike eng miteinander verbunden. Man hat damals eine Art Bierbrot hergestellt. Teig wurde nur leicht angebacken, damit die Hefen nicht verloren gehen. Dieses Brot wurde auch Reisenden oft mitgegeben, die es dann vor dem Verzehr in Wasser gegeben haben.

Wurde die "Cervisia" im Römerreich wirklich lauwarm getrunken, wie es in den Asterix-Comics heißt?

Natürlich - Kühlung für Getränke gab es nur bei der Oberschicht; die Mehrheit der Bevölkerung - und das waren die Biertrinker - tranken ihr Bier ungekühlt. Die lauwarme Cervisia bei Asterix ist aber eine Anspielung auf die noch heute praktizierte englische Trinkweise. In der Antike - wie eigentlich bis in die Neuzeit ist Bier das Getränk von Gesellschaften, die Getreideüberschüsse produzieren. Das Pharaonenreich produzierte viel Getreide, und Rom war zum Beispiel von dessen Getreideexporten abhängig. Als großes Agrarland stellten die Ägypter in der frühen Antike das beste Bier her. Andere Zivilisationen wie das Römerreich oder die Griechen, wo Getreide Mangelware war, mochten Bier nicht - auch aus ideologischen Gründen.

Was für Vorbehalte waren das?

Römer und Griechen tranken lieber Wein und exportierten ihn sogar bis nach Indien. Bier war ihnen suspekt, weil es in den anderen, mitunter verfeindeten Ländern getrunken wurde und weil Gärung mit Verfall und Fäulnis gleichgesetzt wurde. Das änderte sich im Laufe der Zeit, als die Römer auch andere Volksgruppen einbanden. Mit den "Barbaren" kam das Bier nach Rom, wobei man hier unterscheiden muss: Es gab das ägyptische Bier, das kurz fermentiert war und schnell getrunken wurde. Und die keltische Variante: die Cervisia. Die Kelten haben Malz mit heißen Rauchgasen getrocknet. Der Kelten galten als außerordentliche Biertrinker, nicht zuletzt deshalb findet man Braukessel in zahlreichen Fürstengräbern.

Römer und Germanen verdrängten die Kelten aus Mitteleuropa.

Aber das Bier scheinen sie übernommen zu haben. Cäsar schreibt, die Germanen würden nur Milchwirtschaft betreiben. 100 Jahre später berichtet Tacitus vom Bierkonsum der Germanen.

Brot in Bier und und Butter drauf

Gäste im Münchner Hofbräuhaus, 1930

Brezn und Bier: Gäste im Münchner Hofbräuhaus im Jahre 1930.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Gab es bestimmte Biertrinker-Zielgruppen in der antiken Gesellschaft?

Bier wurde bei religiösen Zeremonien verwendet, denn die Götter sollten ja genauso gut wie die Menschen mit Lebensmitteln versorgt werden. Vor allem aber fand es in urbanen Gegenden Verbreitung. Die Wasserqualität in Städten war seit der Antike bis vor hundert Jahren schlecht, weshalb dort viel Bier getrunken wurde. Denn es war ja nicht nur Flüssigkeit, sondern gleichzeitig nahrhaft. Für die armen Leute gab es ein dünnes Bier. Für die reicheren Menschen, den Export und die Seefahrt wurde hochwertigeres Bier hergestellt.

Waren die Städter demnach ständig latent betrunken?

Ganz so krass darf man sich das nicht vorstellen. Durch die relativ kurze Vergärung war der Alkoholgehalt der frühen Biere relativ gering. Man schätzt zwischen 0,7 und 1,5 Prozent. Zum Sattwerden gab es als Alternative zu Bier übrigens die typischen germanischen Getreidebreie. Denn Brot, wie es die Römer herstellten, war hierzulande sehr lange unbekannt. Erst im 14., 15. Jahrhundert wurde Sauerteigbrot populär. Das wurde im ausgehenden Mittelalter übrigens in Bier gebrockt, dann wurde Butter drauf gegeben.

Seit wann wird das Bier, wie wir es heute kennen, gebraut?

Das hat sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelt. Durch die Napoleonischen Kriege war das alte Zunftwesen beendet worden, nun konnten wesentlich mehr Leute Bier brauen. Die Hauptbraunation war um das Jahr 1800 Jahr England. Damals reisten zwei junge Brauer dorthin: Gabriel Sedlmayr von der Münchner Spatenbrauerei und sein Spezi Anton Dreher aus Wien von der Schwechater Brauerei. Sie waren ungefähr gleich alt, verstanden sich gut und reisten zum Lernen nach England.

Klingt nach Wirtschaftsspionage.

In der Tat. Sie hatten beispielsweise hohle Wanderstecken, in denen sie Glasbehälter mit Bier- und Malzproben verstecken konnten. Eines der großen Probleme damals war, dass man nicht genau wusste, was beim Brauprozess passiert. Durch technische Neuerungen und Erfindungen - zum Beispiel Thermometer - waren die Engländer da schon weiter.

Trinken die Menschen auf dem Münchner Oktoberfest also eigentlich englisches Bier?

Nein, denn die Münchner haben ihre eigene Variante entwickelt, die auf dem traditionellen bayerischen Brauverfahren fußte. Die Engländer brauten obergärig. In Bayern braute man untergärig und das eignete sich hervorragend für eine industrielle Herstellung - wenn man das Bier kühlen kann, denn untergäriges Bier war im 19. Jahrhundert wesentlich haltbarer als obergäriges. Durch die niedrigeren Gärtemperaturen war auch das Infektionsrisiko etwas geringer. Darum lagerte man es zuerst im Keller, später kühlte man es mit Natureis.

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