Geschichte - Demmin:Massensuizid zu Kriegsende: Trauertuch zur Erinnerung genäht

Demmin
Im Altarraum der St. Bartholomaei-Kirche hängt ein Riesen-Trauertuch. Foto: Bernd Wüstneck/dpa-Zentralbild/dpa (Foto: dpa)

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Demmin (dpa/mv) - 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erinnert jetzt ein überdimensionales Trauertuch an die Opfer des Massensuizids 1945 in der Kleinstadt Demmin (Mecklenburgische Seenplatte). Das zwölf Meter lange Tuch besteht aus vielen quadratischen Teilen mit unterschiedlichen Kreuzen, an denen Menschen aus Deutschland und Dänemark über Monate hinweg genäht haben. "Uns haben viele Briefe erreicht, in denen Menschen ihre Empfindungen zu den Ereignissen in den letzten Kriegstagen schildern", sagte am Donnerstag Pastor Karsten Wolkenhauer, einer der Initiatoren der Aktion. Damit habe man vor allem in der Region die Trauerarbeit anstoßen können, die in der DDR-Zeit in Ostdeutschland untersagt war. Auch Schüler hätten sich an der Näh-Aktion beteiligt.

Das riesige Tuch besteht aus vielen 20 mal 20 Zentimeter großen Stücken. Das Gros wurde von Demminer Frauen angefertigt. Als die Idee publik wurde, beteiligten sich spontan etwa Frauen im dänischen Ribe. Auch Menschen aus den "Nagelkreuzgemeinden", die sich der Versöhnung verschrieben haben, machten mit. "Manche haben ein Stück Stoff aus dem Soldatenmantel ihren Großvaters oder auch aus dem Trauerkleid ihrer Oma verarbeitet", erläuterte der 53-jährige Wolkenhauer. Das Tuch hat nun mehr als 1000 Kreuze, wurde in Demmin zusammengefügt und am Donnerstag im Altarraum der St. Bartholomaei-Kirche installiert. "Wir können es auch noch erweitern", erklärte Wolkenhauer. Das Trauertuch soll auch generell an das Leid der Kriegsopfer erinnern.

In und um Demmin gab es Historikern zufolge vom 30. April bis 3. Mai 1945 einen der größten Massensuizide in Deutschland. Damals hatte die Rote Armee den Ort besetzt. Deutsche Soldaten hatten Brücken über Flüsse gesprengt, so dass die Panzertruppen der Rotarmisten festsaßen und nicht nach Rostock vorzustoßen konnten. Es kam zu Vergewaltigungen und gewalttätigen Auseinandersetzungen. Etwa 1000 Menschen wurden getötet wurden oder brachten sich und ihre Kinder aus Angst vor der Rache selbst um.

Überlebende mussten in der DDR über die Zeit schweigen. Seit Jahren protestierte immer am 8. Mai ein Aktionsbündnis aus Parteien, Vereinen und Gewerkschaften dagegen, dass die rechtsextreme NPD diesen Gedenktag für einen Fackelzug durch Demmin nutzt. Im Vorjahr standen sich rund 600 NPD-Gegner und 200 Rechtsextreme gegenüber. Die Polizei musste die Beteiligten mit einem Großaufgebot immer wieder voneinander trennen. In diesem Jahr hat die Versammlungsbehörde strikte Auflagen wegen der Corona-Pandemie erlassen, so dass keine Aufzüge möglich wären. Die NPD hat ihren abendlichen "Fackelmarsch" kurzfristig abgesagt.

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