In anderen Versuchen sollten die Seher militärisch interessante Punkte auf einer Karte markieren - Armeestützpunkte, Aufenthaltsorte von Terroristen, Waffenlager. Auch Libyens damaliger Diktator Muammar al-Gaddafi sollte 1986 vor der Bombardierung des Landes fernerspürt werden.
Rund 20 Millionen US-Dollar gab die Regierung wohl für den mehr als zwei Jahrzehnte dauernden Nonsens aus. Zum Höhepunkt Mitte der 1980er beschäftigten die Geheimdienste sieben Vollzeit-Seher auf Kosten der Steuerzahler, dazu Interviewer, Forscher, Verwaltungsangestellte. Codenamen und Zuständigkeiten wechselten häufig - vom Auslandsgeheimdienst CIA zu einer Stabsstelle beim Militär, zum Militärgeheimdienst DIA, und wieder zurück zur CIA. Zahlreiche Senatoren unterstützten die schließlich unter dem Namen "Star Gate" zusammengefassten Projekte.
Auszüge aus Protokollen des Projekts "Grill Flame": "Was sagt Gott? Was will Gott?"
(Foto: CIA / US Gov.)Erst 1995 zog die CIA die Reißleine. Eine unabhängige Kommission durfte die Dokumente nun überprüfen (hier finden Sie das Originaldokument der Prüfer). Die vermeintlichen Erfolge zerrissen sie in der Luft. "Fernwahrnehmung ist darin gescheitert, brauchbare Aufklärung zu produzieren", schlossen die Analysten. "In keinem einzigen Fall" hätten die Informationen bei Einsätzen tatsächlich weitergeholfen.
Große Mängel der Studien
Ebenso zweifelhaft wie der Nutzen waren die Grundlagen des Forschungsfeldes, also diejenigen Experimente, die paranormale Sinneswahrnehmung wissenschaftlich belegen sollten. Diese liefen so ab: Ein Seher saß isoliert in einem Raum mit einem Beobachter. An einem anderen Ort zeigte man einem anderen Medium, dem "Sender", Bilder von Orten oder Gegenständen: Brücken, Kräne, Züge, meist aus Zeitschriften. Der Seher versuchte dann, vom Sender Wahrnehmungen zu empfangen und beschrieb das Empfangene oder zeichnete es auf. Anschließend wurden die Beschreibungen des Mediums zusammen mit fünf Bildern - eines davon die Vorlage des Senders - einem unabhängigen "Richter" vorgelegt. Entschied er, dass die Beschreibung des Sehers am besten zum Original passte, zählte man dies als "Treffer" und Beleg für die Existenz außersensorischer Wahrnehmung.
Auf dem Papier lag die Trefferquote zwar zunächst hoch. Doch die Studien hatten eklatante Mängel, wie einer der unabhängigen Prüfer später bemerkte. Über die meisten dieser Experimente wachte eine einzige Person, der Studienleiter Ed May. Über die Zeit sei dieser Beobachter immer mehr mit den Antworten der Seher vertraut geworden. "Wenn ein Teilnehmer etwa Brücken beschrieb, könnte May durch seine Vertrautheit mit dem Seher annehmen, dass dieser sich auf irgendein Objekt auf Wasser bezieht. Er könnte dann diese Antwort entsprechend in einen Treffer umdeuten." So schufen sich Probanden und Forscher nach und nach ihre eigene, in sich konsistente Wirklichkeit.
Die CIA stampfte Projekt "Star Gate" nach Empfehlung der Prüfer ein. Warum die Geheimdienste mehr als 20 Jahre benötigten, um Fernwahrnehmung als Pseudowissenschaft zu durchschauen, erscheint mehr als rätselhaft. "Im Kalten Krieg hat man nach jedem Strohhalm gegriffen, der einen Vorteil bringen könnte", mutmaßt Martin Mahner, der sich in der Skeptikerorganisation GWUP mit Parawissenschaften auseinandersetzt. "Wenn es ein paar Leute gibt, die fest daran glauben, kann sich so ein Humbug durchsetzen." Selbst im Weißen Haus glaubte man in den 80ern an das Übernatürliche. Von Präsident Ronald Reagan ist überliefert, dass er seinen Dienstplan erst nach Konsultation einer Astrologin absegnete - wohl unter dem Einfluss seiner abergläubigen Frau Nancy. "Politik nach Horoskop" titelte der Spiegel 1988, als bekannt wurde, dass die Sterne über die Termine des Präsidenten mitbestimmten.
Auch die Geheimdienste verfielen wohl dem Zeitgeist der Spiritualität. In den 1960ern und 1970er war Parapsychologie in Mode, selbst Eliteunis wie Princeton beschäftigten sich mit dem Übersinnlichen. Einstmals angesehene Psychologen wie Timothy Leary zogen, vernebelt von LSD, los, um höhere Bewusstseinszustände herbeizuführen.
Harold Puthoff, der heute 77-jährige Mitbegründer der Hellseher-Programme, ist bis heute überzeugt vom Erfolg von "Star Gate". "Wenn die bösen Jungs wüssten, wie gut Fernwahrnehmung ist", sagte er in einem Vortrag 2008, "wäre das wirklich ein Problem."
Das ist der erste Teil der SZ.de-Serie "Gescheiterte Wissenschaft". Lesen Sie demnächst: Die geheime Laserkampfstation der Russen. Die Antwort auf Ronald Reagans "Star Wars"-Programm.