Gescheiterte Wissenschaft:Als die CIA übernatürliche Fähigkeiten erforschte

Star Gate

Auf Karten wie diesen sollten Hellseher Geiseln und Terroristen über Telepathie finden

(Foto: CIA / US Gov.)

"Begabte Individuen" trugen Codenamen wie "Sun Streak", "Grill Flame" und "Star Gate". In millionenschweren Projekten erforschte die CIA im Kalten Krieg paranormale Fähigkeiten. Eine Truppe von Hellsehern sollte die Sowjets das Fürchten lehren - und erntete am Ende Spott.

Von Christoph Behrens

079 war am 1. Februar 1988 wohl besonders empfänglich. Der Gefangene Terry Waite sei in gutem Zustand, aber "gelangweilt, traurig und hungrig". Er starre nur an Wände und sitze in einer Ecke. Mit ihm im Raum sei noch eine andere Geisel, drei uniformierte Männer hielten Wache. Im Nebenraum ein Koch in einer schmutzigen Küche. So geht es munter weiter in Dokument 0000139451 im CIA-Archiv. Detail um Detail vom Kerker des im Libanon entführten Amerikaners Terry Waite packt 079 darin aus. Ein Agentenbericht, könnte man meinen, unter großen Gefahren in feindlichem Gebiet gewonnen. Doch 079 ist kein Agent, er ist nicht einmal im Libanon. Er ist Hellseher im Dienste der US-Armee, ein "Remote Viewer", ein Orakel. 079 sitzt in einem fensterlosen Raum in Amerika und meint, Dinge sehen zu können, die in 11.000 Kilometern Entfernung passieren.

Und seine Vorgesetzten glauben ebenfalls daran. Das Dokument ist ein winziger Ausschnitt eines großangelegten Forschungsprogramms der USA im Kalten Krieg. Mithilfe übersinnlicher Fähigkeiten wollte die Supermacht ihre Gegner ausspionieren. Die heute zugänglichen Papiere geben Einblick in eine Überdrehung des Konflikts zweier Supermächte ins Reich des Phantastischen, Obskuren.

Auslöser für die Geheimprojekte war die Paranoia vor der Sowjetunion: Anfang der 1970er kamen US-Geheimdienste zu dem Schluss, die Sowjets würden 60 Millionen Rubel für "psychotronische" Forschung ausgeben. Man vermutete, die Russen setzten Hellseher ein, um geheime Dokumente auszuspähen und Truppenbewegungen vorherzusagen. Wie das gehen sollte, wusste keiner so genau. Aber man vermutete große Durchbrüche der Moskauer Hellseher.

Ausflug zum Jupiter

Ein eigenes Programm zu übernatürlichen Fähigkeiten musste her. Die geeigneten Mitarbeiter fand die CIA schnell: Der Parapsychologe Russell Targ und der Scientologe Harold Puthoff begannen 1972 im angesehenen Stanford Research Institute, "begabte Individuen" zu untersuchen. Darunter war etwa der New Yorker Künstler Ingo Swann (Level-7-Scientologe), der sich selbst als "Medium" bezeichnete. Swan war überzeugt, er könne selbst sehr weit entfernte Dinge wahrnehmen. In einer Sitzung 1973 unternahm sein Geist eine Reise zum Jupiter:

"Hoch in der Atmosphäre gibt es Kristalle ... sie glitzern. Vielleicht sind die Streifen aus Kristallen, wie die Ringe des Saturn ... aber sehr nah an der Atmosphäre. (...) Dann schwebte ich durch die Wolkendecke. Die Oberfläche - wie Sanddünen. Sie sind aus großen Kristallen, sie rutschen."

Aus diesen konfusen Sitzungen entwickelten Targ und Puthoff die Theorie der "Fernwahrnehmung" und machten sie zum Fundament ihrer Arbeit. Geheimdienstkreise beeindruckte der Quatsch, den die beiden in Kalifornien trieben, zutiefst. Die US-Armee weitete das Projekt in den Folgejahren zügig aus; unter Codenamen wie "Gondola Wish" und "Grill Flame" sollten jetzt Individuen ihre vermeintlich übersinnlichen Talente für die "psychische Kriegsführung" trainieren - das neue Ziel war also, eine Offensivtruppe aus Hellsehern auszubilden.

Hunderte Sitzungen fanden statt. In einer Mischung aus Befragung, Trance und "automatischem Schreiben" gaben die Seher ihre Eindrücke wider. Die Experimentatoren hatten ganz genaue Vorstellungen: "Finden Sie heraus, ob Soldat Higgins noch am Leben ist. Stellen Sie seinen physischen und psychischen Zustand fest", lauteten die Anweisungen für den Versuch, einen entführten US-Soldaten telepathisch zu finden. "Er ist sehr lebendig", orakelte das Medium zurück. "Eine exzessive Hitzewelle" werde die Entführer ablenken und zu seiner Befreiung beitragen. (Higgins starb in Gefangenschaft.) Manchmal enthielten die Protokolle auch bloß Gekritzel ohne jeden Sinn, so als wollten die Seher ihre Führungsoffiziere veralbern.

Gescheiterte Wissenschaft: Auszüge aus Protokollen des Projekts "Grill Flame"

Auszüge aus Protokollen des Projekts "Grill Flame"

(Foto: CIA / US Gov.)

In einer Sitzung versuchten die Amerikaner auch, auf paranormalem Wege etwas über einen Deutschen zu erfahren: den 1987 in Beirut von der Hisbollah entführten Hoechst-Manager Rudolf Cordes. Cordes könne "viele Einsichten der Aktualitäten und Realitäten liefern", formulierte das Medium wolkig. Außerdem sei er ein "schöner Mann".

"Darin gescheitert, brauchbare Aufklärung zu produzieren"

In anderen Versuchen sollten die Seher militärisch interessante Punkte auf einer Karte markieren - Armeestützpunkte, Aufenthaltsorte von Terroristen, Waffenlager. Auch Libyens damaliger Diktator Muammar al-Gaddafi sollte 1986 vor der Bombardierung des Landes fernerspürt werden.

Rund 20 Millionen US-Dollar gab die Regierung wohl für den mehr als zwei Jahrzehnte dauernden Nonsens aus. Zum Höhepunkt Mitte der 1980er beschäftigten die Geheimdienste sieben Vollzeit-Seher auf Kosten der Steuerzahler, dazu Interviewer, Forscher, Verwaltungsangestellte. Codenamen und Zuständigkeiten wechselten häufig - vom Auslandsgeheimdienst CIA zu einer Stabsstelle beim Militär, zum Militärgeheimdienst DIA, und wieder zurück zur CIA. Zahlreiche Senatoren unterstützten die schließlich unter dem Namen "Star Gate" zusammengefassten Projekte.

Gescheiterte Wissenschaft: Auszüge aus Protokollen des Projekts "Grill Flame": "Was sagt Gott? Was will Gott?"

Auszüge aus Protokollen des Projekts "Grill Flame": "Was sagt Gott? Was will Gott?"

(Foto: CIA / US Gov.)

Erst 1995 zog die CIA die Reißleine. Eine unabhängige Kommission durfte die Dokumente nun überprüfen (hier finden Sie das Originaldokument der Prüfer). Die vermeintlichen Erfolge zerrissen sie in der Luft. "Fernwahrnehmung ist darin gescheitert, brauchbare Aufklärung zu produzieren", schlossen die Analysten. "In keinem einzigen Fall" hätten die Informationen bei Einsätzen tatsächlich weitergeholfen.

Große Mängel der Studien

Ebenso zweifelhaft wie der Nutzen waren die Grundlagen des Forschungsfeldes, also diejenigen Experimente, die paranormale Sinneswahrnehmung wissenschaftlich belegen sollten. Diese liefen so ab: Ein Seher saß isoliert in einem Raum mit einem Beobachter. An einem anderen Ort zeigte man einem anderen Medium, dem "Sender", Bilder von Orten oder Gegenständen: Brücken, Kräne, Züge, meist aus Zeitschriften. Der Seher versuchte dann, vom Sender Wahrnehmungen zu empfangen und beschrieb das Empfangene oder zeichnete es auf. Anschließend wurden die Beschreibungen des Mediums zusammen mit fünf Bildern - eines davon die Vorlage des Senders - einem unabhängigen "Richter" vorgelegt. Entschied er, dass die Beschreibung des Sehers am besten zum Original passte, zählte man dies als "Treffer" und Beleg für die Existenz außersensorischer Wahrnehmung.

Auf dem Papier lag die Trefferquote zwar zunächst hoch. Doch die Studien hatten eklatante Mängel, wie einer der unabhängigen Prüfer später bemerkte. Über die meisten dieser Experimente wachte eine einzige Person, der Studienleiter Ed May. Über die Zeit sei dieser Beobachter immer mehr mit den Antworten der Seher vertraut geworden. "Wenn ein Teilnehmer etwa Brücken beschrieb, könnte May durch seine Vertrautheit mit dem Seher annehmen, dass dieser sich auf irgendein Objekt auf Wasser bezieht. Er könnte dann diese Antwort entsprechend in einen Treffer umdeuten." So schufen sich Probanden und Forscher nach und nach ihre eigene, in sich konsistente Wirklichkeit.

Die CIA stampfte Projekt "Star Gate" nach Empfehlung der Prüfer ein. Warum die Geheimdienste mehr als 20 Jahre benötigten, um Fernwahrnehmung als Pseudowissenschaft zu durchschauen, erscheint mehr als rätselhaft. "Im Kalten Krieg hat man nach jedem Strohhalm gegriffen, der einen Vorteil bringen könnte", mutmaßt Martin Mahner, der sich in der Skeptikerorganisation GWUP mit Parawissenschaften auseinandersetzt. "Wenn es ein paar Leute gibt, die fest daran glauben, kann sich so ein Humbug durchsetzen." Selbst im Weißen Haus glaubte man in den 80ern an das Übernatürliche. Von Präsident Ronald Reagan ist überliefert, dass er seinen Dienstplan erst nach Konsultation einer Astrologin absegnete - wohl unter dem Einfluss seiner abergläubigen Frau Nancy. "Politik nach Horoskop" titelte der Spiegel 1988, als bekannt wurde, dass die Sterne über die Termine des Präsidenten mitbestimmten.

Auch die Geheimdienste verfielen wohl dem Zeitgeist der Spiritualität. In den 1960ern und 1970er war Parapsychologie in Mode, selbst Eliteunis wie Princeton beschäftigten sich mit dem Übersinnlichen. Einstmals angesehene Psychologen wie Timothy Leary zogen, vernebelt von LSD, los, um höhere Bewusstseinszustände herbeizuführen.

Harold Puthoff, der heute 77-jährige Mitbegründer der Hellseher-Programme, ist bis heute überzeugt vom Erfolg von "Star Gate". "Wenn die bösen Jungs wüssten, wie gut Fernwahrnehmung ist", sagte er in einem Vortrag 2008, "wäre das wirklich ein Problem."

Das ist der erste Teil der SZ.de-Serie "Gescheiterte Wissenschaft". Lesen Sie demnächst: Die geheime Laserkampfstation der Russen. Die Antwort auf Ronald Reagans "Star Wars"-Programm.

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