Geparden:Die bedrohten Sprinter

Geparden-Forschung

"Spirit" haben die Betreiber eines Schutzgebiets in Namibia das junge Geparden-Weibchen genannt. Die Raubkatze trägt einen Kragen mit Sender.

(Foto: Victoria Kurtenbach)

Geparde sind die schnellsten Raubtiere Afrikas, haben aber viele Feinde. Biologen versuchen, die Gefahren zu verstehen und den Katzen das Überleben zwischen Farmen und Schutzgebieten zu sichern. Eine große Rolle spielt dabei die Partnerbörse der Tiere.

Von Christopher Schrader

Spirit hat sich verletzt. An der rechten Vorderpfote klebt Blut im Fell, vermutlich ist es bei der Jagd passiert. Am späten Nachmittag, die Sonne steht schon tief, liegt das junge Geparden-Weibchen zwischen Büschen und ruht sich aus. Von einer Baumgruppe glotzen neugierig zwei junge Giraffenkühe herüber. Dann ertönt Motorengeräusch, ein Geländewagen hält und eine Gruppe Menschen klettert herunter. Angeführt von einem Mann in Khaki-Shorts nähern sie sich der Raubkatze. Es klickt in den Kästen, die sie sich vor die Augen halten. Spirit kennt das schon: Irgendwie finden die Gruppen sie immer wieder, eine Gefahr sieht das Tier darin schon lange nicht mehr.

Die erst anderthalb Jahre alte Raubkatze gehört zu einer gefährdeten Art. Geparde können so schnell laufen wie kein anderes Landtier, aber sie werden von Löwen und Hyänen bedrängt, von Leoparden totgebissen und von Farmern erschossen, die um ihre Kälber fürchten. Um die Lebensweise der langbeinigen Tiere zu verstehen und ihre Zukunft zu sichern, setzen Wissenschaftler auf Technologie. Sie untersuchen Kot- und Blutproben im Labor, analysieren die Physiologie der muskulösen Körper mit Isotopenmessungen und legen den Raubkatzen Sender an. Diese erlauben es, die Wege der Tiere aufzuzeichnen und sie im Busch von Schutzgebieten zu finden, die sich mit Ökotourismus finanzieren.

Eine dieser Initiativen ist die Africat-Foundation in Okonjima, auf halbem Weg von Namibias Hauptstadt Windhuk zum Etosha-Nationalpark. Eine Familie hat hier ihre Rinderfarm und umliegende Ländereien in ein Schutzgebiet für Raubkatzen umgewandelt. Die Angestellten nehmen verwaiste Gepardenjungen auf, ziehen sie groß und wildern sie in dem Areal aus, das von mehreren Ringen Zaun gesichert ist. Die Tiere tragen hier Namen.

Spirit ist bereits in der relativen Freiheit von Okonjima geboren, ihre Mutter Dizzy war 2008 als acht Monate altes Jungtier hier angekommen. Jetzt ist Dizzy wieder trächtig, sagt der Wildhüter Richard, und hat ihre Tochter vertrieben. Das junge Weibchen trägt wie alle ausgewilderten Raubkatzen in Okonjima einen Kragen mit Sender, den die Angestellten anpeilen können. Touristen zahlen viel für das Erlebnis, Raubkatzen nahezu in ihrem natürlichen Habitat beobachten zu können.

Die Geparden werden mit GPS vermessen

In Namibia gibt es die größte frei lebende Population der Tiere: vielleicht 2500 der geschätzt 10 000 verbliebenen Geparden. Die meisten leben anders als das junge Weibchen Spirit nicht in Schutzgebieten, sondern auf großen Farmen, die auf kargem Boden Vieh halten. "Die Raubkatzen konnten sich hier so weit ausdehnen, weil die Farmer ihre größten Konkurrenten, die Tüpfelhyänen und Löwen, eliminiert haben", sagt Bettina Wachter vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin. Sie leitet seit vielen Jahren ein Projekt im Osten Namibias, um Mensch und Raubtier eine Koexistenz zu ermöglichen. "Die Farmer wissen, dass ihre Großväter und Väter damit gescheitert sind, die Geparde zu vertreiben, und sind offen für neue Lösungen", sagt Wachter. "Viele sind stolz darauf, an einem wissenschaftlichen Projekt teilzunehmen."

Die Zusammenarbeit beginnt immer damit, den Markierungsbaum der Geparde zu finden. Hier hinterlässt das territoriale Männchen seine Duftmarke, und alle anderen Raubkatzen kommen hin, um daran zu schnüffeln. Auch rollige Weibchen platzieren hier Kontaktanzeigen. Rund um diesen Baum konstruieren die Forscher eine Falle, die sie mit Akaziengestrüpp tarnen. Geparden lassen sich nicht mit Fleisch oder einem Kadaver locken: Erwachsene Tiere fressen nur selbsterlegte Beute.

Geht ein Tier in die Falle, betäuben die Forscher es, nehmen Kot-, Blut-, Muskel- und Fellproben, legen dem Gepard ein Funkhalsband an und lassen ihn frei. Das Gerät zeichnet per GPS alle 15 Minuten die Position auf. Um die Daten auszulesen, startet alle drei Wochen ein Kleinflugzeug, das die Raubkatzen anhand eines Funksignals ortet, dann über dem Tier kreist, bis der Sender seine Aufzeichnungen hochgeladen hat. Ungefähr 170 Tiere hat Wachters Team über die Jahre "besendert". Aus den Positionsdaten erstellen die Forscher Karten, wo sich die Geparde bewegen. "Sie verteilen sich nicht gleichmäßig über die Fläche, sondern haben Wege und bevorzugte Orte", sagt Wachter. "Was diese auszeichnet, muss noch geklärt werden, aber solche Informationen sind für die Farmer wichtig." Mithilfe solcher Daten seien die Kälberverluste drastisch gesunken, vermeldet das IZW auf seiner Homepage.

Auch die Ernährungsgewohnheiten der Geparden sind eine wichtige Information für die Farmer. Gehören Kühe, die im Vergleich zu Antilopen mit ihren langen Beinen und eindrucksvollen Hörnern so hilflos wirken, zur regelmäßigen Beute der Raubkatzen? Dabei helfen die Proben der betäubten Tiere. "Im Blut können wir über den Zeitraum von Tagen und Wochen erkennen, was die Tiere gefressen haben, im Muskel einen Monat, im Fell noch länger", sagt Wachters Kollege Christian Voigt.

Um Rückschlüsse auf die Beute der Geparden zu ziehen, analysieren die Forscher vom IZW in einer aktuellen Auswertung die Proben von 53 Raubkatzen (PlosOne, online). Ihre Hightech-Methode nutzt aus, dass es in der Umwelt zwei stabile Varianten von Kohlenstoffatomen gibt: ungefähr ein Prozent gehören zum schweren Isotop C-13, der Rest zum leichteren C-12. Viele Pflanzen lassen dieses Verhältnis bei der Fotosynthese unverändert, besonders die Gräser. Dort findet sich also die gleiche Relation in der Biomasse wie in der Luft. Büsche, Bäume und Kräuter aber ändern das Verhältnis, weil ihre Enzyme CO2 mit C-12 besser verarbeiten können als C-13.

Die Geparden erreichen Geschwindigkeiten von 100 Stundenkilometern

Darum haben auch diejenigen Tiere in ihrem Muskelgewebe ein verschobenes Isotopenverhältnis, die Blätter von Büschen und Bäumen fressen; das gilt für Giraffe, Kudu, Eland, Spring- und Steinbock. Unverändert ist es hingegen bei Zebra, Oryx und Rind, weil sie grasen. Die in Namibia Hartebeest genannte Kuhantilope und das Warzenschwein stehen wegen ihrer variablen Nahrung zwischen den Gruppen. Eine ähnliche Analyse an Stickstoffisotopen kann die Tiere weiter differenzieren.

Wenn nun Geparde Pflanzenfresser erlegen, zeigt sich das Isotopenverhältnis auch in ihren Körpern. Und es spiegelt wirklich nur die eigene Beute, weil erwachsene Geparde Kadaver verschmähen. "Die meisten von ihnen sind Spezialisten, die stets die gleiche Beute suchen", sagt Voigt. Das Isotopenverhältnis der Proben zeigt, dass sie wesentlich mehr Blatt- als Grasfresser verspeisen. Geparden reißen selten Kühe und ihre Kälber, nur Gruppen von Junggesellen wagen sich an die Wiederkäuer. Sie bevorzugen jedoch Warzenschwein, Hartebeest und alle Blattfresser - genau wie die allein lebenden Weibchen, die für sich und ihre Jungen Beute machen.

Nur jeden zweiten Tag machen die Raubkatzen Beute und fressen dann bis zu 7,5 Kilogramm Fleisch

Was genau passiert, wenn Geparden jagen, hat jetzt ein internationales Forscherteam um David Scantlebury von der Queen's University in Belfast untersucht, ebenfalls mit einer Isotopenanalyse. Schon lange ist bekannt, dass die Raubkatzen lossprinten können wie kein anderes Landtier. Sie erreichen im vollen Lauf um die 100 Kilometer pro Stunde. 300 bis 400 Meter halten die Jäger ihr Tempo durch. Dieser Spitzenleistung dienen der schlanke Körper, die langen Beine und die Krallen, die im Gegensatz zu anderen Katzen nicht einziehbar sind.

"Trotz seiner Rekordsprints verbraucht ein Gepard kaum mehr Energie, als man allein anhand seiner Größe erwarten würde", sagt der nordirische Forscher: 2100 Kilokalorien pro Tag bei einem Gewicht um die 40 Kilogramm. Und der größte Anteil davon dient nicht einmal der Jagd selbst, sondern dem Umherstreifen auf der Suche nach Beute (Science, B. 346, S. 79, 2014).

Um das zu messen, hat Scantleburys Team innerhalb von sieben Jahren insgesamt 14 Geparden in zwei Schutzgebieten in Südafrika und Botswana eingefangen. Die Tiere bekamen einen Sender um den Hals und eine Spritze mit speziellem Wasser. Es enthielt hochangereicherte seltene Isotope von Sauerstoff (O-18) und Wasserstoff (H-2). Sie verteilen sich im ganzen Gewebe und werden beim Stoffwechsel verarbeitet und ausgeschieden. Aber nur der Sauerstoff verlässt den Körper beim Ausatmen. Je mehr sich das Tier anstrengt, je mehr Energie es verbraucht und je mehr Luft es holt, umso stärker verändert sich das Verhältnis zwischen den beiden ungewöhnlichen Isotopen im Organismus - und im ausgeschiedenen Kot.

"Wir sind den Geparden zwei Wochen lang durch die Wildnis gefolgt, haben in ihrer Nähe geschlafen, und jedesmal, wenn sie sich erleichterten, mussten wir schnell diese Proben holen und einfrieren", erzählt Scantlebury. So entstand auch ein Aktivitätsprofil. Die Raubkatzen ruhten 21 Stunden am Tag. Knapp drei Stunden liefen sie im Durchschnitt herum, und nur 1,2-mal pro Tag versuchten sie 38 Sekunden lang, ein Beutetier zu erlegen. Erfolgreich waren sie im Mittel jeden zweiten Tag. Dann aßen sie bis zu 7,5 Kilogramm Fleisch.

Umso schmerzlicher und bedrohlich für das Überleben ist es, dachten Biologen früher, wenn die Geparden ihre gerade erlegte Beute an größere Raubtiere verlieren. Das passiert den schnellen, aber relativ kleinen Katzen in Afrika nach verschiedenen Studien jedes achte bis elfte Mal. Selbst wenn ihnen nach jeder vierten Jagd das gerissene Wild gestohlen würde, ergab Scantleburys Studie, kämen die Tiere wohl zurecht: Ihr Energieverbrauch würde allerdings um zwölf Prozent steigen und sie müssten eine Stunde länger umherstreifen.

Der entscheidende Faktor im Energiebudget der Jäger war dieses Herumlaufen auf der Suche nach Beute. Es war nach Messungen der Forschergruppe für 42 Prozent des Kalorienverbrauchs verantwortlich. "Die Raubkatzen sind also schon durch leichte Veränderungen ihrer Umgebung gefährdet", sagt Scantlebury. "Ausgedünnte Herden von Beutetieren, Zäune oder Straßen, die sie zu längeren Wegen zwingen, könnten sie ans Limit bringen."

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