Geothermie in Deutschland:Die Angst vor dem Bohrer

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Gut Breitenbach bei Gelting: Hier wird der Geothermie-Bohrtum wieder abgebaut. (Foto: Hartmut Pöstges)

Risse in den Wänden, Erdbeben - davon berichten die Anwohner, die in der Nähe von Geothermie-Bohrungen leben. Experten hingegen warnen vor übertriebenen Bedenken, diese Form der Wärme- und Energiegewinnung sei vielversprechend für die Zukunft

Von Andreas Frey

Da sind sie wieder, die Risse. Wie aus dem Nichts tauchten sie auf, zogen sich vom Keller ins Treppenhaus und weiter in die oberen Stockwerke; sie weiteten sich, sprengten Kacheln, verformten Türrahmen. Mittlerweile ist manches Haus in Böblingen aus den Fugen geraten.

Jetzt also auch die Kreisstadt bei Stuttgart. Noch ist es nur ein Verdacht, aber was soll die rund hundert Häuser sonst beschädigt haben, wenn nicht Bohrungen nach Erdwärme, fragen sich die Menschen im Schwäbischen. Die Indizienlage ist erdrückend: Da ist die verblüffende Ähnlichkeit zu den Rissen im südbadischen Staufen, wo nach Beginn eines Geothermie-Projekts vor sieben Jahren eine ganze Stadt zerbrochen ist. Da ist die Vielzahl der betroffenen Häuser, da ist dieselbe unheilvolle Gesteinsschicht im Untergrund, der sogenannte Gipskeuper, der die folgenreiche Angewohnheit hat, aufzuquellen, wenn er mit Wasser in Kontakt gerät.

In Böblingen ist der Begriff Geothermie deshalb zum Reizwort geworden. Die Geschädigten organisieren sich, sie haben eine Internetseite angelegt, sie fürchten um ihr Zuhause. Im Landratsamt gibt man sich bemüht verständnisvoll. Bei einer Informationsveranstaltung Ende Oktober teilte das Amt mit, dass Geothermiebohrungen die wahrscheinliche Ursache seien. Um 35 Zentimeter habe sich das Gebiet gehoben, sagt Pressesprecherin Sarah Brilhaus. Andere mögliche Ursachen wie Bauarbeiten könne man vermutlich ausschließen. Jetzt konzentriert sich die Ursachenfahndung auf jene Bohrungen, die zwischen 2007 und 2009 vorgenommen wurden. Irgendwo muss ja Wasser in die Gipsschicht eingedrungen sein. Nur wo?

Solange das fragliche Loch nicht gefunden wird, bleiben Ungewissheit, Machtlosigkeit und etwas Schadenskosmetik. Risse werden notdürftig zugespachtelt. Der Rest ist Bangen ums Häusle.

Das Image der Erdwärme hat gelitten

Doch ebenso wie die Menschen in Böblingen um ihr Zuhause bangen, so bangt die Geothermie-Branche um ihre Zukunft. Das Image der Erdwärme hat in den vergangenen Jahren gelitten. In Staufen hob sich die Erde, in Basel und Landau wackelte sie, in Wiesbaden bohrte man eine Wasserader an. Und jetzt auch noch Böblingen.

"Es ist schwierig derzeit", sagt Waldemar Müller-Ruhe, der Präsident des Bundesverbands. Da seien nicht nur die Schadensfälle, sondern auch ein unklares EEG-Gesetz, das Planungen erschwere. Seiner Meinung nach gibt es allerdings kein Problem mit der Geothermie, sondern mit deren Ausführung. Er trennt Technik und Eingriff. Es geht also ums richtige Bohren, sagt Präsident Müller-Ruhe, der selbst bei einer Bohrfirma tätig ist. Er selbst wisse leider auch nicht, was in Böblingen schiefgelaufen ist, aber ihn wundere schon, dass sich Risse erst Jahre später auftaten. Das sei ungewöhnlich und stehe im Widerspruch zu dem, was man aus Staufen kenne, wo Risse bereits Tage nach den Bohrungen durch die Stadt zogen.

Außerdem stünden die Schadensfälle in keinem Verhältnis zu den rund 300.000 gelungenen oberflächennahen Bohrungen in Deutschland, über die keiner spreche; und außerdem werde vieles verwechselt, würden Risiken übertrieben.

Wer dieser Tage mit Geologen spricht, hört ähnliche Klagen. Sie wundern sich über den Widerstand der Deutschen, über die kategorische Ablehnung dieser Technik, über eine hochemotionale Debatte. Dabei schwärmen sie von den Chancen, die die Wärme des Untergrunds bereithält. Geothermie verursacht keine Treibhausgase und keinen Atommüll. Und sie ist grundlastfähig, was heißt: Die Energie ist auch dann verfügbar, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht - wie so häufig im Winterhalbjahr.

Dort, wo die Erde besonders aktiv ist in Deutschland, also entlang von Verwerfungen und Grabenbrüchen, liegt das größte Potenzial der Erdwärme, an diesen Stellen wird es schneller heiß; durchschnittlich nimmt die Temperatur im Untergrund nur etwa 40 Grad pro Kilometer zu. In Landau hingegen, an einem der aktivsten Orte in Deutschland, erreicht die Temperatur in 1200 Meter Tiefe bereits den Siedepunkt von Wasser.

Projekte der oberflächennahen Geothermie, zu denen Staufen und Böblingen gezählt werden, erschließen Tiefen von bis zu 400 Metern. Mit diesen Thermalquellen lässt sich aber höchstens heizen und kein Strom gewinnen. Ein solches oberflächennahes Projekt sei häufig nicht schwieriger zu verwirklichen als Brunnenbohrungen, sagen Geologen. Und zudem habe die Branche aus Fehlern wie in Staufen gelernt. Die Sicherheitsstandards wurden erhöht, komplizierte Gesteinsschichten werden besonders vorsichtig angegangen.

Die Zukunft der Geothermie liegt Tausende Meter unter der Erde

Die Zukunft der Geothermie liegt allerdings tiefer, mehrere Tausend Meter unter der Erde. Diese sogenannte hydrothermale Tiefengeothermie erschließt Reservoire mit Temperaturen über 100 Grad, wo Energie erzeugt werden kann. Rund um München und im Oberrheingraben gibt es erste Anlagen. Man muss das nötige Thermalwasser in solchen Tiefen allerdings erst einmal finden. Und finden dürfen. In Deutschland gehört der Untergrund dem Staat. Es kann Jahre dauern, bis eine Probebohrung genehmigt ist. Tiefengeothermie ist nach wie vor Pioniertechnik. Mit jedem neuen Projekt sammeln die Fachleute wichtiges Wissen über den Untergrund. Je mehr sie wissen, desto geringer wird das Risiko.

Denn beim Bohren ins Gestein wackelt mitunter die Erde - so wie in Basel vor sieben Jahren. Das Projekt, bei dem zusätzlich Wasser in Gesteinsklüfte gepresst wurde, um sie zu weiten, ist mittlerweile eingestellt. Die Angst vor Erdbeben groß, dabei ist weltweit noch kein einziges Schadensbeben aufgetreten, bei dem Menschen gefährdet worden wären. Im Niemandsland der USA vibrierte die Erde einmal mit Magnitude 5,5. Das ist der bisher höchste bekannte Wert. Ohnehin denken vor allem die Deutschen beim Thema Geothermie einzig an Risse und Erdbeben. Hysterie?

Wie es anders gehen kann, demonstriert ein Tiefengeothermieprojekt im schweizerischen St. Gallen. Dort hat man die Bürger früh in die Planungen eingebunden - mit Erfolg. Sie stimmten für ein solches Werk, obwohl sie die Vorfälle im zwei Autostunden entfernten Basel kannten. Und sie lehnten das Projekt auch dann nicht ab, als im Juli dieses Jahres die Erde wackelte. In St. Gallen wird weitergebohrt, kleine Erschütterungen gehören zur Tiefengeothermie einfach dazu. Jedes Aufbrechen von Gestein löst Mikrobeben aus, das ist bei der Förderung von Öl und Gas nicht anders. Die meisten Erschütterungen sind an der Oberfläche nicht zu spüren. Und dort, wo kleine Risse auftauchen, zeigt sich der Verursacher sehr kulant.

"Die Schweizer gehen pragmatischer und sachlicher an die Projekte heran", sagt Thomas Bloch, der Projektleiter des Werks und selbst Deutscher. In seinem Heimatland gebe es einfach zu viele, die gegen alles Neue vor ihrer Haustüre seien und sich als Versuchskaninchen sehen, obwohl sie für erneuerbare Energien sind. Womöglich, so Bloch, werde die Bevölkerung in Deutschland über die Chancen und Risiken der Technik nach wie vor schlecht aufgeklärt. Geothermie-Präsident Müller-Ruhe ist der Meinung, die Schweizer hätten bei diesem Thema keinen Schaum vor dem Mund. "Es dauert in der Schweiz zwar länger, aber dafür sei man dort auch sorgfältiger."

Wer was erreichen will, muss tief herunter

Aber ist die Technik wirklich beherrschbar? Geologen wie Bloch sagen Ja. Nur ein Restrisiko gebe es bei untertägigen Eingriffen - wie bei jeder Technik. Bohrverbote und Verzögerungen von Projekten würden den Zielen der Energiewende widerstreben. Es geht in der Debatte auch grundsätzlich darum, was ein Industrieland wie Deutschland zu riskieren bereit ist.

Der Geologe Frank Schilling vom Karlsruher Institut für Technologie vermutet, dass viele Deutsche aus psychologischen Gründen Eingriffe in die Tiefe ablehnen. "Das scheint zur Urangst des Menschen zu gehören", sagt er. Damit erklärt er sich auch den großen Widerstand hierzulande gegen Fracking und das Verpressen von Kohlendioxid. Wo eine Bohrung geplant wird, ist eine Bürgerinitiative nicht weit.

Um die Zukunft der Geothermie in Deutschland steht es deswegen eher schlecht. Andere Länder sind weiter, Bohrungen in Tiefen von über zehn Kilometern werden bereits erforscht. Wer was erreichen will, muss tief herunter.

© SZ vom 16.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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