Da sind sie wieder, die Risse. Wie aus dem Nichts tauchten sie auf, zogen sich vom Keller ins Treppenhaus und weiter in die oberen Stockwerke; sie weiteten sich, sprengten Kacheln, verformten Türrahmen. Mittlerweile ist manches Haus in Böblingen aus den Fugen geraten.
Jetzt also auch die Kreisstadt bei Stuttgart. Noch ist es nur ein Verdacht, aber was soll die rund hundert Häuser sonst beschädigt haben, wenn nicht Bohrungen nach Erdwärme, fragen sich die Menschen im Schwäbischen. Die Indizienlage ist erdrückend: Da ist die verblüffende Ähnlichkeit zu den Rissen im südbadischen Staufen, wo nach Beginn eines Geothermie-Projekts vor sieben Jahren eine ganze Stadt zerbrochen ist. Da ist die Vielzahl der betroffenen Häuser, da ist dieselbe unheilvolle Gesteinsschicht im Untergrund, der sogenannte Gipskeuper, der die folgenreiche Angewohnheit hat, aufzuquellen, wenn er mit Wasser in Kontakt gerät.
In Böblingen ist der Begriff Geothermie deshalb zum Reizwort geworden. Die Geschädigten organisieren sich, sie haben eine Internetseite angelegt, sie fürchten um ihr Zuhause. Im Landratsamt gibt man sich bemüht verständnisvoll. Bei einer Informationsveranstaltung Ende Oktober teilte das Amt mit, dass Geothermiebohrungen die wahrscheinliche Ursache seien. Um 35 Zentimeter habe sich das Gebiet gehoben, sagt Pressesprecherin Sarah Brilhaus. Andere mögliche Ursachen wie Bauarbeiten könne man vermutlich ausschließen. Jetzt konzentriert sich die Ursachenfahndung auf jene Bohrungen, die zwischen 2007 und 2009 vorgenommen wurden. Irgendwo muss ja Wasser in die Gipsschicht eingedrungen sein. Nur wo?
Solange das fragliche Loch nicht gefunden wird, bleiben Ungewissheit, Machtlosigkeit und etwas Schadenskosmetik. Risse werden notdürftig zugespachtelt. Der Rest ist Bangen ums Häusle.
Das Image der Erdwärme hat gelitten
Doch ebenso wie die Menschen in Böblingen um ihr Zuhause bangen, so bangt die Geothermie-Branche um ihre Zukunft. Das Image der Erdwärme hat in den vergangenen Jahren gelitten. In Staufen hob sich die Erde, in Basel und Landau wackelte sie, in Wiesbaden bohrte man eine Wasserader an. Und jetzt auch noch Böblingen.
"Es ist schwierig derzeit", sagt Waldemar Müller-Ruhe, der Präsident des Bundesverbands. Da seien nicht nur die Schadensfälle, sondern auch ein unklares EEG-Gesetz, das Planungen erschwere. Seiner Meinung nach gibt es allerdings kein Problem mit der Geothermie, sondern mit deren Ausführung. Er trennt Technik und Eingriff. Es geht also ums richtige Bohren, sagt Präsident Müller-Ruhe, der selbst bei einer Bohrfirma tätig ist. Er selbst wisse leider auch nicht, was in Böblingen schiefgelaufen ist, aber ihn wundere schon, dass sich Risse erst Jahre später auftaten. Das sei ungewöhnlich und stehe im Widerspruch zu dem, was man aus Staufen kenne, wo Risse bereits Tage nach den Bohrungen durch die Stadt zogen.
Außerdem stünden die Schadensfälle in keinem Verhältnis zu den rund 300.000 gelungenen oberflächennahen Bohrungen in Deutschland, über die keiner spreche; und außerdem werde vieles verwechselt, würden Risiken übertrieben.