Geologie:Rätselhaftes Mega-Erdbeben vor Sumatra

Das Erdbeben, das im März den Meeresboden vor Sumatra erschütterte, war das zehntstärkste der vergangenen 100 Jahre. Das Mega-Beben zeigt: Nicht nur die komplette Indo-Australische Platte bricht auseinander, Erdbeben können sogar weitere Stöße rund um den Globus auslösen.

Patrick Illinger

Gemessen an dem, was unten geschah, war oben recht wenig zu spüren. Der Erdboden zitterte zwar in mehreren Städten Asiens, darunter Chennai, Kolkata, Colombo und Kuala Lumpur. Aber Menschen kamen nur wenige zu Schaden, manche erlitten einen Herzinfarkt, und eine Flutwelle blieb aus. Auf den Malediven schwappte der Meeresspiegel gerade mal um 20 Zentimeter in die Höhe. Kurz: Es ging glimpflich aus. Doch genau das ist überaus erstaunlich, denn im April 2012 bebte der Meeresgrund vor Sumatra mit einer Stärke von 8,7. Es war das weltweit zehntstärkste Erdbeben der vergangenen 100 Jahre.

Indo-Australische Kontinentalplatte bricht auseinander

Das Mega-Beben vor Sumatra zeigt: Nicht nur die Indo-Australische Platte bricht auseinander, Erdbeben haben auch Nachwirkungen auf der anderen Seite des Globus.

(Foto: dapd)

Schon kurz nach den Erdstößen war Geologen klar, dass etwas Besonderes geschehen war. Das Epizentrum lag mehr als 100 Kilometer von der nächsten Subduktionslinie entfernt, wo sich sonst die Herde extremer Erdbeben befinden. An solchen Linien pressen Erdplatten aufeinander, eine schiebt sich unter die andere, enorme Spannung baut sich auf, die sich in Abständen ruckartig entlädt. So war es im Dezember 2004 vor Sumatra und im März 2011 vor der Küste Japans. Doch im April 2012 war alles anders. Es bebte es zwar ebenfalls vor Sumatra, aber mitten auf einer großen Erdplatte. Für die Bewohner Asiens war es ein Glück, denn der Meeresgrund schlug vor allem horizontal aus und wühlte keine nennenswerten Wassermassen zu einem Tsunami auf. Geologen nennen das ein Strike-slip-Beben.

Doch je genauer die Experten auf die seismischen Daten vom vergangenen April blicken, desto mehr kommen sie ins Grübeln. Zum einen erstaunt die Heftigkeit: Die Erdkruste rund um das Epizentrum ist innerhalb von weniger als drei Minuten entlang vier teils senkrecht zueinander verlaufender Bruchkanten zersplittert. Manche dieser Bruchstücke haben sich um mehr als 35 Meter gegeneinander verschoben. Es ist das stärkste je beobachtete Ereignis dieser Art und wahrscheinlich ein Anzeichen dafür, dass die gesamte Indo-Australische Platte im Begriff ist, entzweizubrechen. Zum anderen müssen Seismologen nun eine oft geäußerte Behauptung zurücknehmen: Mega-Beben können, anders als bisher gedacht, sehr wohl Erdstöße in anderen, weit entfernten Erdteilen auslösen (Nature, Ausgabe vom 27.9.2012).

In den sechs Tagen nach dem rätselhaften Beben vom vergangenen April verzeichneten Geologen weltweit fünfmal so viele Erdstöße wie sonst. In der Woche vor dem Hauptbeben war es hingegen ungewöhnlich ruhig. Zu den vielen Nachbeben zählen Erschütterungen der Stärke 7,0 auf der mexikanischen Halbinsel Baja California. Wäre dies nicht Realität, könnte es als Einstieg für einen Wissenschafts-Thriller dienen. Experten fürchten nun, dass Menschen in allen seismisch aktiven Regionen der Erde künftig nach einem ähnlichen Starkbeben alert bleiben müssen. Jene "klassischen" Extrembeben, die an Subduktionszonen auftreten, hinterlassen den Messungen zufolge keine auffallenden Muster weltweiter Nachbeben. Womöglich liegt es daran, dass Strike-slip-Beben, bei denen sich der Grund horizontal bewegt, Schockwellen in die Erdkruste hämmern, die sich über weite Strecken hinweg fortpflanzen. Diese Wellen lockern offenbar Spannungsstellen in weit entfernten Erdteilen auf, die dann erst Tage nach dem Auslöser selbst aufbrechen.

Das Sumatra-Beben vom 11. April 2012 war jedenfalls "eines der unheimlichsten Beben, das wir je gesehen haben", wie es Roland Burgmann von der University of California Berkeley ausdrückt. Geologisch ähnliche, seitwärts gerichtete Ausschläge gibt es zwar immer wieder. 1906 zum Beispiel wurde San Francisco dadurch in Schutt und Asche gelegt. Doch das Beben von Sumatra war 15-mal so stark wie die Erdstöße damals.

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