Geologie:Lava auf dem Luftkissen

Geologie: Der Ontake in Japan brach zuletzt im Jahr 2014 aus.

Der Ontake in Japan brach zuletzt im Jahr 2014 aus.

(Foto: AFP)

Warum Glutlawinen so rasend schnell werden, haben Wissenschaftler in Experimenten und Simulationen erforscht.

Im Jahr 79 hatten die Bewohner von Pompeji und Herculaneum keine Chance. Nach dem Ausbruch des Vesuv rasten bis zu 300 Grad heiße, pyroklastische Ströme aus Lava, Asche und Gasen über die Städte hinweg und forderten Tausende Opfer. Bis heute bedrohen diese mehrere hundert Stundenkilometer schnellen Glutlawinen Wanderer und die nah um Vulkane siedelnde Bevölkerung - vom Ontake in Japan über den Mayon auf den Philippinen bis zum Mount St. Helens in den USA. Das Geheimnis hinter den rasanten und sehr weitreichenden Strömen konnten nun Vulkanologen aus Neuseeland entschlüsseln. In der Fachzeitschrift Nature Geophysics berichten sie, dass Schichten aus Luft und vulkanischen Gasen an der Unterseite der heißen Ströme die Reibung drastisch verringern. Damit könnten die Luftkissen wesentlich für das schnelle Tempo und die große Reichweite verantwortlich sein.

Da direkte Messungen in pyroklastischen Strömen lebensgefährlich sind, stellten Gert Lube und seine Kollegen am Institute of Geoscience der Massey University in Palmerston North einen Vulkanausbruch im Labor nach: Über eine zwölf Meter lange und einen halben Meter breite Rampe ließen sie eine Mischung aus Staub und Geröll rutschen. Die Bewegung des künstlichen Lavastroms untersuchten sie mit Drucksensoren und einer Hochgeschwindigkeitskamera. Bei diesen Versuchen offenbarte sich ein überraschendes Verhalten. Tatsächlich verringerte ein Luftkissen unter der Gerölllawine die Reibung deutlich. "Unsere Simulation einer Eruption erklärt das Geheimnis der Strömungen, das Wissenschaftler über Jahrzehnte beschäftigte", sagt Lube.

Verantwortlich für diesen Effekt waren hohe Schergeschwindigkeiten im künstlichen Lavastrom. So rutschten die oberen Schichten der Gerölllawine viel schneller abwärts als die tiefer liegenden. Dabei bildete sich eine Zone mit dem höchsten relativen Luftdruck knapp oberhalb des Untergrunds. Aus dieser Zone entwich Luft in die Zonen mit geringerem Luftdruck - sowohl nach oben als auch nach unten. Die nach unten gerichtete Luftströmung verdrängte einzelne Geröllstücke. Parallel bildete sich an der Unterseite der Lawine ein dünnes Luftkissen.

Zusätzlich zum Experiment simulierten Lube und Kollegen diesen Luftkisseneffekt im Rechner. Die berechneten Resultate bestätigten, dass sich abhängig von der Schergeschwindigkeit in einer Glutlawine ein Luftkissen aufbauen kann. Die dadurch verringerte Reibung erklärt schlüssig die Schnelligkeit von pyroklastischen Strömen und die große Reichweite über Dutzende Kilometer. Auf der Basis dieser Analyse könnten nun die Gefahrenzonen rund um Vulkane besser abgeschätzt werden. Nutznießer wären rund 500 Millionen Menschen, die im Umfeld von Vulkanen mit Tendenz zu pyroklastischen Strömen leben. Zudem ist es nicht unwahrscheinlich, dass der Luftkisseneffekt auch bei Schneelawinen oder Flankenabbrüchen im Gebirge eine Rolle spielen könnte.

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