Süddeutsche Zeitung

Geologie:Es war einmal ein Fluss

  • Vor sechs Millionen Jahren verschloss sich die Straße von Gibraltar, was das Mittelmeer fast austrocknen ließ.
  • Gänzlich wasserfrei war das Gebiet aber nicht: Geologen haben nun im östlichen Mittelmeer die Spuren eines Flusssystems gefunden. Die Ströme mündeten wahrscheinlich in einem See.
  • Die mediterrane Trockenzeit dauerte nur einige hunderttausend Jahre, dann kehrte das Wasser zurück.

Von Marlene Weiß

Unter dem östlichen Mittelmeer haben Wissenschaftler die Reste eines gigantischen Flusssystems gefunden. Wie ein Team um den Geologen Andrew Madof von der Chevron Energy Technology Company in Houston im Fachblatt Geology berichtet, liegen die Flussablagerungen im Meeresboden vor Zypern, Syrien, Libanon und Israel. Laut den Forschern sind sie Hinterlassenschaften eines großen Flusssystems, das vor mehr als fünf Millionen Jahren die Überreste des damals nahezu ausgetrockneten Mittelmeeres speiste.

Gegen Ende des Miozäns, vor etwa sechs Millionen Jahren, schloss sich aufgrund von tektonischen Verschiebungen im Erdmantel die Straße von Gibraltar. Daraufhin war das Mittelmeer vom steten Zustrom aus dem Atlantik abgeschnitten und verdunstete vermutlich innerhalb weniger zehntausend Jahre weitgehend. Zurück blieb eine öde Salzwüste mit wenigen Flussoasen rund um die Ausläufer großer Flüsse wie Nil oder Rhône. Diese Zeit wird nach ihrem Auftreten im Messin-Zeitalter "Messinische Salinitätskrise" genannt.

Umstritten war allerdings bislang, wie viel vom Mittelmeer damals trotz allem übrig blieb. Wenn die Forscher um Madof mit den Ausmaßen des Flussgebiets recht behalten, dürfte es eher wenig gewesen sein - wo ein Fluss fließt, kann schließlich kein Meer sein. "Vielleicht waren 75 bis 80 Prozent des Beckens ausgetrocknet, aber wahrscheinlich gab es einen See, in den dieses Flusssystem strömte", sagte Leitautor Andrew Madof dem Magazin Eos, das von der American Geophysical Union herausgegeben wird.

Es dauerte nicht lange, bis das Meer zurückkam: erst als stetes Sickern, dann als große Flut

Madof und seine Kolleginnen Claudia Bertoni und Johanna Lofi verwendeten seismische Daten, um eine präzise, dreidimensionale Karte des Meeresbodens unter dem östlichen Mittelmeer zu erstellen. Aus den so ermittelten Sedimentstrukturen schlossen sie, dass der einstige Fluss aus der Region der heutigen Staaten Türkei und Syrien kam und in einen See im trockenen Mittelmeerbecken floss.

Die neuen Ergebnisse stützen Vermutungen, dass das Klima in der Region in der Zeit der Salinitätskrise erheblichen Umwälzungen unterworfen war. Durch das massiv verkleinerte Meer könnte es von Nordafrika bis Südeuropa eine Art Steppenklima gegeben haben, mit heißen Sommern, kalten Wintern und wenig Niederschlag.

Doch schon einige Hunderttausend Jahre nach der Abtrennung vom Atlantik war der Spuk vorbei. Davon zeugt auch eine Reihe von lappenförmigen Strukturen, die Madof und seine Kollegen an der Mündung des einstigen Flusses entdeckt haben. Wind, Wetter und Wellen ließen den Atlantik über die Straße von Gibraltar schwappen, die Flüsse zogen sich zurück. Nach einigen Tausend Jahren des steten Sickerns hatte das Wasser sich einen breiten Weg gebahnt, dann ging es sehr schnell. Zeitweise soll der Pegel des Mittelmeeres um mehrere Meter am Tag angestiegen sein, bis das Meer wieder gefüllt war.

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Quelle:
SZ vom 28.03.2019
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