Geographie:Ein Traum von einer Insel

Manche Karten verzeichnen auch heute noch Inseln, die schlicht erfunden sind. Sie entsprangen fehlgeleitetem Entdecker-Ehrgeiz - oder auch nur der Rumflasche.

Axel Bojanowski

Es ist ein Albtraum für Urlauber - und es könnte jeden treffen: Die Reise zur Trauminsel misslingt, weil das Eiland verschwunden ist. Ein abwegiges Szenario? Keineswegs. Im Golf von Mexiko haben Suchtrupps mit Flugzeugen und Schiffen wochenlang nach Bermeja gefahndet, einer Insel so groß wie Föhr.

historische Seekarte

Seefahrer und Abenteurer erfanden häufig Inseln - mit manchmal weitreichenden Folgen.

(Foto: Foto: istock)

Obwohl die Insel auf Seekarten verzeichnet ist, gaben Wissenschaftler der Universität UNAM in Mexiko-Stadt nun das Scheitern der staatlichen Suchmission bekannt. Bei Bermeja handele es sich um eine "Phantominsel". Womöglich müsse die Seegrenze des Landes nun landwärts verschoben werden, spekulieren einheimische Medien. Mexiko drohe, den Anspruch auf Ölfelder im Meeresboden zu verlieren. Weltweit könnte der Fall ebenfalls Folgen haben, sofern er eine globale Insel-Inventur anregen würde.

Eine systematische Kartierung der abertausend Eilande auf den Weltmeeren steht noch aus. Solch ein Vorhaben könnte die Weltkarten deutlich entrümpeln. Umstritten sind beispielsweise zahlreiche abgelegene Riffinseln im Südpazifik mit klangvollen Namen wie Ernest-Legouvé, Jupiter, Maria-Theresia, Wachusett oder Rangitiki.

27000 Scheininseln identifizierte ein arabischer Geograph bereits im 12. Jahrhundert. Da war die Zeit der Entdecker noch gar nicht gekommen. Mitte des 15.Jahrhunderts wurde Christoph Kolumbus auf seinen Erkundungsreisen von Phantominseln getäuscht. Der genuesische Abenteurer wagte seine langen Seefahrten auch, weil er glaubte, unterwegs Inseln anlaufen zu können.

Sein erster Hafen wartete angeblich gleich hinter den Kanaren. Als riesige Rechtecke - größer als Portugal - machten sich dort zwei Eilande der "Antillen" auf mittelalterlichen Seekarten breit. Spanische Christen hätten die Inseln im achten Jahrhundert auf der Flucht vor den Mauren besiedelt, berichteten Historiker. Trotz ihrer Größe hat aber niemand diese Antillen je gesehen, auch die Flotte von Kolumbus verfehlte sie mehrfach. Der Entdecker benannte schließlich einen karibischen Archipel nach den Scheininseln.

Schiffsreisen machten viele Leute erfinderisch. Französische Seefahrer waren Anfang des 16.Jahrhunderts im Nebel nahe Neufundland von gruseligem Geschrei vertrieben worden. "Ein unartikuliertes Getöse menschlicher Stimmen" sei zu hören gewesen. Die erschrockenen Seeleute meinten, den Zeitvertreib der Gestalten im Nebel zu kennen: "Dämonen wetteiferten miteinander, zivilisierte Menschen zu quälen", resümierten sie. Die "Insel der Dämonen" zierte fortan die Seekarten.

Mittlerweile scheint klar zu sein, dass kreischende Seevögel die dämonischen Geräusche verursacht haben, vermutlich stammten sie von Tölpelkolonien, berichtet Donald Johnson, ein Inselkundler aus den USA. Ob Rum das Urteil der Seemänner trübte, ist nicht überliefert. Die Dämoneninsel galt jedenfalls nicht als Schnapsidee, sie blieb bis ins 20. Jahrhundert auf Karten verzeichnet. Allerdings veränderte das Gruseleiland seine Lage. Bald lag es auf Seekarten nahe Irland, später wanderte es in Richtung Amerika.

"Alle Steine sind Edelsteine"

Eine solche Westdrift war typisch für Inseln des Mittelalters - Kartographen verschoben Phantominseln einfach in Regionen, die noch nicht so gut erkundet waren. Manche Eilande dienten schlicht als Füllsel für den leeren Raum in den Atlanten; allzu große Meeresregionen ganz ohne Land galten nach damaliger Kenntnis als unmöglich.

Oft verdankten die ominösen Inseln ihre Existenz dem Ehrgeiz ihrer Erfinder. Die Ile Philippaux vor der nordamerikanischen Nordostküste etwa wurde von einem Naturkundler nach einem Minister der USA benannt, der die Expeditionen finanziert hatte. Bei Verhandlungen über die Grenzziehung zwischen den USA und Kanada kämpfte die US-Delegation erfolgreich um die Insel, sie wurde im Vertrag von Paris 1783 den USA zugeschlagen. Eine Rohstoffinspektion zu dem Eiland offenbarte schließlich, dass es dort nicht nur keine Bodenschätze, sondern auch keine Insel Philippaux gab.

Noch größer muss die Enttäuschung gewesen sein, als auch der "Ort des Friedens und der Harmonie" sich als Täuschung erwies. Ein Jahrtausend lang wähnten die Iren westlich ihres Landes die Insel Brasil, die keltische Mönche im sechsten Jahrhundert entdeckt haben wollten. Dort trügen "alle Pflanzen Blüten, alle Bäume Früchte, und alle Steine sind Edelsteine". Brasil wurde zum Sehnsuchtsort vieler Europäer.

Leider umhüllte meist Nebel das Paradies, der sich an nur einem Tag in sieben Jahren hob, wie Mönche zu berichten wussten. Dennoch versuchten irische Seefahrer das Eiland zu finden, manche mit Erfolg. Kapitän John Nisbet aus Killybegs etwa erklomm Brasil 1674 auf seinem Rückweg von Frankreich - verkündete er. "Der Zauber ist gebrochen", meldete der Seefahrer ein wenig voreilig. Denn seither blieb Brasil verborgen. 1865 wurde es aus den Atlanten getilgt.

Wiederholt bewiesen Mönche, dass Glaube nicht nur Berge versetzen, sondern auch welche erschaffen konnte. Am Nordpol erhob sich Klosterbrüdern des 14. Jahrhunderts zufolge die Insel Rupes Nigra, ein magnetischer schwarzer Fels. 300 Jahre schmückte die Phantominsel die Seekarten.

Aufgeklärte Abenteurer erwiesen sich als nicht minder phantasievoll. Detailliert beschrieb der Leipziger Kaufmann Johann Otto Polter die Insel Kantia, die er in der Karibik entdeckt haben wollte und nach dem Philosophen Immanuel Kant benannt hatte. Von 1884 bis 1909 unternahm Polter auf eigene Kosten vier weitere Expeditionen, um Kantia wiederzufinden - vergeblich. Dennoch honorierte Kaiser Willhelm II. Polter mit einer Urkunde als Entdecker von Kantia.

Ebenso stolz posierte einige Jahrzehnte zuvor Kapitän Benjamin Morrell; ein Gemälde von 1832 zeigt ihn als berühmten Entdecker. In Wirklichkeit war er ein großer Schwindler, der den Sponsoren seiner Südseereisen immer schönere Phantasieinseln schenkte. Die Eilande überdauerten selbst eine umfangreiche Inventur der Weltkarten 1875, der Hunderte andere Scheininseln zum Opfer gefallen waren.

Die Inselillusionen von Morrell prägten die Weltgeschichte, als Anfang des 20. Jahrhunderts die Datumsgrenze festgelegt wurde. Kartographen bogen die Markierungslinie Hunderte Kilometer weit nach Westen, damit auf Morrells Inseln amerikanische Zeitrechnung herrschte. Seefahrer erblickten in der Region jedoch allenfalls eine Fata Morgana.

So wurden Historiker doch noch misstrauisch, sie verglichen die Logbücher Morrells mit denen seiner Begleiter - wo kein Wort über die angeblichen Perlen der Südsee zu finden war. Dennoch fanden sich Morrells Scheineilande Byres und Morrell noch in den achtziger Jahren in den Atlanten von Luftfahrtgesellschaften. Flughäfen waren auf den Inseln aber glücklicherweise nicht verzeichnet.

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