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Geoglyphen in Kasachstan:Wo die Riesen kritzeln

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In Kasachstan werden derzeit gewaltige, um die 8000 Jahre alte Erdstrukturen erforscht. Sie könnten rituellen oder astronomischen Zwecken gedient haben.

Von Hubert Filser

Die größte Struktur besteht aus insgesamt 101 Erdhügeln, jeweils etwa 90 Zentimeter hoch und mehrere Meter im Durchmesser. Sie formen ein gigantisches Rechteck, dessen Ecken über zwei sich kreuzende Linien verbunden sind. Die Anlage bedeckt eine Fläche von mehreren Fußballfeldern. An anderen Orten in der Steppe im Norden Kasachstans finden sich gigantische Kreuze, Ringe und Linien sowie eine dreiarmige Swastika, alle ebenfalls aus Erde gebaut. Manche Formationen bestehen zusätzlich aus Gräben und Wällen, die Durchmesser erreichen Ausmaße von bis zu 400 Metern.

Bereits im Jahr 2007 hatte der kasachische Hobbyforscher und Ökonom Dimitri Dey die ersten dieser Strukturen auf Google Earth entdeckt. Nun hat auch die amerikanische Weltraumagentur Nasa Fotos von mindestens 260 dieser geheimnisvollen Anlagen veröffentlicht. Aufgenommen hat sie ein Satellit aus 692 Kilometern Höhe. Von oben sieht es so aus, als hätten Riesen Kinderzeichnungen in die Steppenlandschaft der Region Turgai (Torghai) nahe dem Ural gemalt. Am Boden sind die riesigen Geoglyphen genannten Strukturen nur schwer zu erkennen, vielleicht deshalb wurde vor kurzem eine Straße quer durch eine der riesigen Formationen gebaut.

Entdecker Dey vermutete anfangs, die Anlagen stammen von mysteriösen Versuchen, die der sowjetische Präsident Nikita Chruschtschow Anfang der 1960er Jahre in Kasachstan hatte machen lassen. Doch wieso sollten dabei eine Swastika oder eine wie ein Schnurrbart geformte Linie entstanden sein? Dey informierte deshalb professionelle Archäologen. Ein Forscherteam um Andrey Logvin und Irina Shevnina von der Universität im kasachischen Qostanai untersuchte die Erdstrukturen genauer, machte erste Luftaufnahmen, rückte mit Georadar an und nahm Bodenproben. Die Wissenschaftler konnten keinerlei menschliche Überreste in den Hügeln finden. Eine Deutung als Grabanlage schied damit aus.

Markierten Jäger und Sammler mit den Strukturen ihr Eigentum?

In der Nähe des großen Quadrats von Ushtogay mit den gekreuzten Linien im Inneren fanden sie allerdings Spuren einer alten neolithischen Siedlung, Speerspitzen und andere Artefakte. Da die Forscher kein organisches Material in den Hügeln entdeckten, das sich über die sonst übliche C14-Radiokarbon-Methode datieren ließ, nutzten sie die sogenannte Optisch Stimulierte Lumineszenz zur Altersbestimmung. Dabei werden mineralische Stoffe auf Abstrahlung hin untersucht. Die Forscher datierten die Anlagen auf ein Alter von mindestens 8000 Jahren, wie sie im September vergangenen Jahres auf einer Archäologie-Tagung in Istanbul berichteten. "Bis heute können wir nur sagen, dass die Geoglyphen sehr alt und menschlichen Ursprungs sind", sagten Shevnina und Logvin. "Wer sie wirklich gebaut hat, und zu welchem Zweck, bleibt ein Rätsel." Ebenso ist völlig unklar, warum die Erbauer geometrische Figuren als Grundmuster verwendeten.

Es gibt zwei Arten von Strukturen: Anlagen mit aufgeschütteten Erdhügeln und solche mit Wällen und Gräben, sagen die Archäologen. Feuerstellen und andere Veränderungen legen nahe, dass sich dort Menschen versammelt haben. Vielleicht dienten die Geoglyphen rituellen oder sogar astronomischen Zwecken. Vielleicht haben auch Gruppen von Jägern und Sammlern so das Land als ihr Eigentum markiert. In jedem Fall waren enorme Anstrengungen der neolithischen Gesellschaft notwendig, um solche Anlagen zu errichten.

Ähnliche Erdwerke sind auch aus Mitteleuropa und England bekannt, meist sind es dort große Kreis- und Grabanlagen, die vor etwa 6300 Jahren erstmals in Europa im Pariser Becken auftauchen. Am berühmtesten ist das vor rund 5000 Jahren aus Stein gebaute Stonehenge in Wiltshire. Ob es einen Zusammenhang zu den kasachischen Geoglyphen gibt, lässt sich nicht sagen. Aber vermutlich gab es damals keine kulturellen Beziehungen zwischen diesen Regionen.

Wie die New York Times berichtet, sollen nun bald auch die Astronauten auf der Internationalen Raumstation die Anlagen ausspähen. Vielleicht entdecken sie aus 400 Kilometern Höhe noch weitere mysteriöse Strukturen.

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SZ vom 03.11.2015
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