Geoengineering:Die Ingenieure der Welt

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Weil die Politik versagt, wollen einige Forscher die Erde mit technischen Eingriffen ins Klimasystem vor dem Wärmekollaps retten. Doch diese Ideen sind umstritten.

Alexander Stirn

Das Rezept ist einfach - einfach zu verlockend: Man nehme ein paar Eimer Schwefelbrühe, steige in ein Flugzeug und versprühe das Zeug in der Atmosphäre. Dort bilden sich schwebende Schwefelteilchen, die das Sonnenlicht reflektieren und den Temperaturanstieg stoppen. Durch diese Aerosole wäre die Menschheit schnell ihre Klimasorgen los.

Algen sind perfekte Klimagaskiller: Sie nehmen Kohlendioxid auf, bauen es in ihren Körper ein und sinken am Ende ihres Lebens mitsamt der klimaschädlichen Fracht auf den Grund des Ozeans. Gezielte Düngung mit Eisen soll die Algen zur Blüte bringen. (Foto: ag.dpa)

Und das Rezept ist nicht einmal neu: Viele Vulkanausbrüche kühlen wegen des ausgestoßenen Schwefels das Klima. Warum also soll man dieses Rezept nicht aufgreifen? Seit Jahrzehnten diskutieren Wissenschaftler diese und andere Methoden des so genannten Geoengineering. Wie Ingenieure wollen sie in das komplexe System Erde eingreifen und den Planeten - vor allem dessen Klima - nach ihren Wünschen formen.

Meist fanden ihre Diskussionen im Verborgenen statt, zu groß war die Furcht, als Anhänger eines unverbesserlichen Technikwahns da zu stehen, als verrückter Wissenschaftler, der sich über die Natur und ihre Gesetze erhebt. Das hat sich zuletzt grundlegend geändert.

Seit dem Scheitern des Klimagipfels von Kopenhagen ist vielen Wissenschaftlern klar: Auf die Politik und einen gesellschaftlichen Konsens zur Vermeidung von Klimagasen können sie sich nicht verlassen. "Die einzige Möglichkeit, den Planeten in diesem Jahrhundert abzukühlen", sagt Ken Caldeira, Atmosphärenforscher an der Carnegie Institution der Stanford University, "liegt im direkten Eingriff in das Klimasystem."

Caldeiras Stimme hat Gewicht, in den 1980er Jahren war er einer der führenden Köpfe der amerikanischen Umweltbewegung. Er gehört einer merkwürdigen Koalition an. Einerseits hat die britische Royal Society im vergangenen Herbst 100 Millionen Pfund für die Erforschung des lange Zeit Undenkbaren gefordert; die amerikanische Akademie der Wissenschaften will noch in diesem Sommer einen Bericht zu den Chancen des Geoengineering herausgeben. Auch John Holdren, wissenschaftlicher Berater von US-Präsident Barack Obama, hält die Techniken für eine "durchaus bedenkenswerte Option".

Unkalkulierbare Risiken

Andererseits erforscht auch das American Enterprise Institute die Eingriffe ins Klimasystem. "Kopenhagen, Kyoto & Co. haben uns kaum mehr als eine Reihe gebrochener Versprechen gebracht", sagt Samuel Thernstrom von dem konservativen Thinktank in Washington. Dieser wehrt sich seit langem gegen den Umbau der Wirtschaft, um Energie klimaschonend zu erzeugen; und in dessen Publikationen äußern Thernstroms Kollegen Zweifel daran, ob der Mensch für die Erwärmung verantwortlich sei. Thernstrom hingegen rüttelt zumindest nicht am Konsens, dass Treibhausgase aus Fabriken und Autos den Klimawandel vorantreiben. "Kohlendioxid bleibt für viele Jahrzehnte in der Atmosphäre", sagt er. "Seine Auswirkungen sind nicht wegzubekommen, wenn wir nicht aktiv etwas dagegen unternehmen."

Dabei sind sich viele der Forscher, die über das Herumdoktern an irdischen Abläufen diskutieren, der unkalkulierbaren Risiken bewusst. "Niemand behauptet, dass der Eingriff ins Klimasystem perfekt oder auch nur erstrebenswert ist", sagt Caldeira. "Aber in schlimmen Zeiten muss man auch schlimme Dinge tun." Und die Zeiten sind - in Caldeiras Augen und denen seiner Mitstreiter - alles andere als gut. Selbst die optimistischeren unter den Projektionen des Weltklimarates IPCC zeigen, dass die Temperaturen bis zum Ende des Jahrhunderts weiter klettern werden. Um den Anstieg wie politisch angestrebt auf zwei Grad zu begrenzen, wären deutliche Einschränkungen im Lebensstil nötig. Geoengineering könnte das den reichen Nationen ersparen - allen politischen, ethischen und sozialen Bedenken zum Trotz (siehe Artikel unten).

Zwei unterschiedliche Ansätze verfolgen die Weltenveränderer dabei. Der erste beschränkt sich darauf, die Menge an Sonnenstrahlung, die die Erde erreicht, zu reduzieren.

Lesen Sie auf den nächsten Seiten, welche Ideen die Wissenschaftler haben, um das Klima zu verändern.

Die Idee: Schwefelverbindungen in der Stratosphäre sind gute Keime. Es entstehen Sulfatpartikel, die groß genug sind, das Sonnenlicht zu reflektieren. Flugzeuge oder Heliumballons sollen die notwendigen Schwefelmengen in bis zu 20 Kilometer Höhe blasen. Seit Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen vor gut drei Jahren diese Idee vorgebracht hat, gehört sie zu den Lieblingsprojekten der Geoingenieure.

Das Potential: Als der philippinische Vulkan Pinatubo 1991 ausbrach, schleuderte er 20 Millionen Tonnen Schwefeldioxid in die Atmosphäre. Weltweit sank die Temperatur um ein halbes Grad Celsius. Um das nachzustellen, müssten jährlich eine bis zehn Millionen Tonnen Schwefeldioxid in der Atmosphäre verteilt werden. Die Kosten dafür schätzt Crutzen auf 25 bis 50 Milliarden US-Dollar. Allerdings kann Schwefel die Ozonschicht zerstören und den Monsun durcheinander bringen, auf den Indien angewiesen ist.

Die Idee: Auf dem Weg zur Erde lässt sich Licht leicht am Planeten vorbei lenken. Dafür bietet sich ein Punkt im All an, wo sich die Anziehung von Erde und Sonne aufhebt. Eine Linse, genauer Millionen oder sogar Billionen kleiner Linsen, bliebe dort für immer ohne weiteren Energieaufwand stehen. Eine solche mehrere tausend Kilometer große Linsenwolke könnte die Sonneneinstrahlung um zwei Prozent reduzieren.

Das Potential: Die nötige Technik, um eine solch große Zahl an Linsen kostengünstig und ohne hohen Energieverbrauch ins All zu schießen, muss noch entwickelt werden. Die Befürworter der fliegenden Linsen träumen von einer elektromagnetischen Kanone, die die Projektile in den Weltraum schießt. Trotzdem würde das Projekt Hunderte Milliarden Dollar verschlingen. Und wenn die Erde eines Tages kühl genug ist, sind die Linsen kaum wieder zu entfernen.

Die Idee: Noch von Edward Teller, dem 2003 gestorbenen Vater der Wasserstoffbombe, stammt der Vorschlag, Millionen von vier Millimeter großen Ballons in der Stratosphäre auszusetzen. Gefüllt mit Wasserstoff und überzogen mit einer reflektierenden Aluminiumhülle, würden sie genügend Sonnenlicht zurückwerfen, um die Erde kühl zu halten. Tellers Erben schlagen inzwischen vor, dem Kerosin von Verkehrsflugzeugen winzige Metallpartikel beizusetzen, die ebenfalls das Licht reflektieren.

Das Potential: Billig wäre das Ganze auf jeden Fall. Die Anhänger der Idee rechnen mit Kosten von gerade einmal einer Milliarde Dollar pro Jahr. Dummerweise reflektieren die Teilchen auch das UV-Licht - das Waschmittel der Atmosphäre. Smog, saurer Regen und deutlich mehr Klimagase in der Luft könnten die Folge sein.

Die Idee: Wolken werfen schon heute einen großen Teil der Sonneneinstrahlung zurück ins All. Eine Armada von unbemannten Spezialschiffen soll über den Ozeanen neue erzeugen: Die Flotte sprüht Seewasser äußerst fein in die Luft, das darin enthaltene Salz bildet Kondensationskeime, Wolken entstehen. Vorhandene Wolken werden - aufgrund der sehr kleinen Tröpfchen - heller und reflektieren so das Licht stärker.

Das Potential: In kleinen Experimenten funktioniert das Ganze bereits recht gut, wie Phil Rasch vom amerikanischen National Center for Atmospheric Research in San Diego anhand von Satellitenaufnahmen belegen kann. Allerdings müssten die Schiffe sehr genau einen Abstand voneinander einhalten, der von der Feuchtigkeit der Atmosphäre diktiert wird. Anderenfalls lösen sich die künstlichen Wolken schnell wieder auf oder regnen sich ab. Außerdem ist unklar, wie sich der Eingriff auf Meeresströmungen oder Regenzeiten auswirkt.

All diese Ideen wirken - sollten sie sich als machbar erweisen - relativ schnell. Aber sie bekämpfen die Symptome der globalen Erwärmung, nicht ihre Ursache, die steigenden Konzentrationen der Treibhausgase. Diese langfristige Aufgabe sollen diese Techniken übernehmen.

Die Idee: Aktive Systeme, die CO2 aus der Luft entfernen, verbrauchen derzeit so viel Energie, dass sie alle Einsparbemühungen konterkarieren. Klaus Lackner, Geophysiker an der New Yorker Columbia-Universität, schlägt daher vor, große, windmühlenartige Staubsauger mit einer Membran zu versehen, wie sie normalerweise benutzt wird, um Wasser zu reinigen. In diesem Fall soll der Filter allerdings Klimagas aus der Luft absorbieren.

Das Potential: Selbst wenn die Technik, um die ihre Erfinder derzeit ein großes Geheimnis machen, funktionieren würde, wäre sie enorm aufwendig. Weltweit wären - je nachdem, wen man fragt - zwischen 250.000 und 30 Millionen Anti-CO2-Windmühlen nötig. Jede könnte, zumindest zu Beginn, gut 100.000 Euro kosten. Und wenn das Kohlendioxid eingefangen wäre, bliebe noch immer die Frage: Wohin damit?

Die Idee: Algen sind eigentlich perfekte Klimagaskiller: Sie nehmen Kohlendioxid auf, bauen es in ihren Körper ein und sinken am Ende ihres Lebens mitsamt der klimaschädlichen Fracht auf den Grund des Ozeans. Vor allem in den südlichen Weltmeeren ist der Nährstoffgehalt allerdings so gering, dass kaum Algen wachsen. Gezielte Düngung mit Eisen soll das ändern.

Das Potential: Bisherige Versuche zeigen gemischte Resultate. Bei einem Experiment südlich von Neuseeland reichte, wie Kenneth Coale vom Moss Landing Marine Laboratory in San Diego erläutert, täglich eine halbe Tonne Eisen, um 270 Tonnen Kohlendioxid zu binden. Deutsche und indische Forscher hatten weniger Glück: Als sie 2009 sechs Tonnen Eisen in den Südatlantik kippten, fingen die Algen zwar an zu blühen, doch dann entdeckten Ruderfußkrebse das verlockende Mahl. Zurück blieben wohlgenährte Krebse - das Klimagas wurde der Biosphäre nicht entzogen.

Die Idee: Pflanzen machen genau das, wovon Geoingenieure träumen: Sie nehmen bei der Photosynthese Kohlendioxid auf und bauen es in ihre Strukturen ein. Verfaulen die Pflanzen, wird das CO2 allerdings wieder frei. Chemiker arbeiten daher daran, Biomasse in Braunkohle zu verwandeln: Bei hohem Druck und unter hohen Temperaturen spaltet organisches Material alle Substanzen außer Kohlenstoff ab. Zurück bleibt Kohle, die verbuddelt, als Dünger oder als Elektrode in Akkus eingesetzt werden kann.

Das Potential: Noch verbraucht der Betrieb des Druckkochtopfs, der für die Kohleproduktion benötigt wird, so viel Energie, dass sich der Aufwand nicht lohnt. Sollte sich dieses Problem lösen lassen, hoffen die Forscher, dass schon bald neben jedem Klärwerk eine Biokohleanlage steht.

© SZ vom 05.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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