Als der Biologe Teemu Teeri vor zwei Jahren an einer Bahnstation in Helsinki vorbeilief, fielen ihm ein paar orange blühende Petunien auf. Deren Blüten erinnerten ihn an Gewächse, die rund 30 Jahre zuvor im Rahmen eines bahnbrechenden Gentechnik-Experiment erschaffen worden waren. Soweit er wusste, haben es diese Blumen niemals auf den Markt geschafft. Aber er war neugierig, pflückte eine Blume und steckte sie in seinen Rucksack, um sie später im Labor zu untersuchen.
Die Zufallsbegegnung hat mittlerweile dazu geführt, dass Blumenhändler in den USA und Europa einen Teil ihrer Waren vernichten mussten. Denn Teeri führte den Beweis, dass die orangefarbenen Petunien aus Helsinki artfremdes Erbgut enthielten und gab den Behörden den entscheidenden Hinweis. In der Folge wurden weitere gentechnisch veränderte Blumen im freien Handel entdeckt. Obwohl den Behörden keine Gefährdung der Umwelt oder des Menschen durch diese Gewächse bekannt ist, forderten sie die Händler auf, die Blumen zu vernichten. Schließlich dürfen solche Gewächse sowohl in den USA als auch in Europa nur mit eigener Genehmigung vermarktet werden.
Das Petunien-Massaker macht erneut deutlich, wie schwierig es sein kann, gentechnisch veränderte Pflanzen zu kontrollieren. Immer wieder tauchen sie an Orten auf, wo sie nicht sein sollten, und oft ist es schwierig nachzuvollziehen, wie das passieren konnte. Auch diejenigen, die zuletzt noch mit den orangen Petunien gehandelt haben, wussten wahrscheinlich gar nicht, dass Sorten mit Namen wie Trilogy Mango und African Sunset das Ergebnis eines berühmten Experiments waren. Im Jahr 1987 beschrieb eine Forschergruppe um den Pflanzengenetiker Peter Meyer, wie ein Gen aus Maispflanzen auf Petunien übertragen diese dazu brachte, das Pigment Pelargonidin zu bilden und lachsfarbene Blüten hervorzubringen. Die 30 000 Petunien, die das Team damals pflanzte, seien die ersten gentechnisch veränderten Pflanzen gewesen, die je in Deutschland freigesetzt wurden, sagt Meyer, der heute an der University of Leeds arbeitet. Der Widerstand damals sei heftig gewesen, erinnert er sich. "Der Begriff transgen wurde praktisch gleichgesetzt mit giftig."
Die Probleme der Forscher hielten jedoch das Unternehmen S&G Seeds - damals Partner der niederländischen Saatgutfirma Zaadunie - nicht davon ab, Lizenzrechte an der Technologie zu erwerben. 1995 präsentierte das Unternehmen Petunien mit leuchtend orangefarbenen Blüten, fertig für den kommerziellen Anbau. Ein weiterer Zaadunie-Partner bekam von den US-Behörden die Erlaubnis, testweise orangefarbene Petunien in Florida anzubauen. Doch laut Meyer kam diese Sorte nie auf den Markt - entweder, weil die Ablehnung oder die regulatorischen Hürden zu groß waren, oder weil es sich nicht gelohnt hätte. "Ich hatte diese Sache schon fast vergessen."
Der Entdecker bereut, dass er die Gentech-Petunien an die Behörden gemeldet hat
Weil Teeri diese Geschichte kannte, traute er seinen Augen zunächst nicht, als er die Petunien in Helsinki sah. Er vermutete, dass Züchter einen anderen Weg gefunden hatten, diese Farbe in den Blüten hervorzubringen. Doch was er nach einigen Monaten im Labor fand, war ein DNA-Abschnitt im Petunien-Erbgut, wie er in Meyers Fachartikel aus dem Jahr 1987 beschrieben war. Auch Saatgut für orangefarbene Petunien, das er im Online-Handel kaufte, wies die verräterische gentechnische Veränderung auf.
Darauf traf Teeri eine Entscheidung, die er heute bereut: Er wandte sich mit seiner Entdeckung an einen seiner ehemaligen Studenten, der mittlerweile bei der finnischen Regulierungsbehörde für Gentechnologie arbeitet. "Ich habe zu viel verraten", sagt Teeri, "ich hätte eine hypothetische Frage stellen sollen." Zum Beispiel darüber, was die Behörden wohl machen würden, mit gentechnisch veränderten Petunien, die nicht die offiziellen Zulassungswege durchlaufen haben.
Am 27. April nahm die finnische Behörde für Lebensmittelsicherheit Evira acht Petuniensorten vom Markt. In anderen europäischen Ländern liefen ebenfalls Untersuchungen an. Deutsche Behörden stellten inzwischen Genveränderungen in mehr als 20 Petuniensorten fest. Händler, Vermehrungsbetriebe und Züchter wurden laut des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit angewiesen, die Pflanzen aus dem Verkehr zu nehmen und zu vernichten.
Auch das amerikanische Landwirtschaftsministerium war alarmiert. Die Behörde verpflichtete Züchter, verdächtige Petuniensorten auf verräterische DNA-Spuren im Erbgut zu untersuchen. Die Tests enttarnten bislang zehn Gentech-Gewächse, 21 weitere könnten gentechnisch veränderte Sorten sein. Züchter und Verkäufer in den USA haben nun mehrere Optionen: Verbrennen der Ware, vergraben, kompostieren oder auf einer Mülldeponie entsorgen.
Wie viele Blumen weltweit vernichtet werden müssen, ist schwer abzuschätzen. Einige Unternehmen haben aber sicher jahrelang unwissentlich gentechnisch veränderte Pflanzen verkauft, sagt Michael Firko vom Department für Tier- und Pflanzengesundheit des US-Landwirtschaftsministeriums.
Es wird sich wohl niemand die Mühe machen, den Fall lückenlos zu rekonstruieren
Woher die Gentech-Petunien genau kommen, wird sich womöglich nie klären lassen. Firko vermutet, dass eine gentechnisch veränderte Sorte irgendwann in ein europäisches Zuchtprogramm rutschte, während Saatgutunternehmen fusionierten und Produkte zwischen Firmen ausgetauscht wurden. Züchter kreuzen außerdem auch mal Sorten der Konkurrenz in die eigenen Zuchtlinien ein, wahrscheinlich ohne diese zuvor auf gentechnische Veränderungen zu überprüfen.
Im Petunien-Fall wird es wahrscheinlich keine Strafverfolgung geben. Das amerikanische Landwirtschaftsministerium betrachtet die Sache als unabsichtlichen Fehler, der kaum Auswirkungen auf den internationalen Handel habe. Es wird sich wohl auch niemand die Mühe machen, den Fall lückenlos zu rekonstruieren. Es ist schon schwierig, im Firmengeflecht den Überblick zu behalten: Als die Gentech-Petunie erstmals entwickelt wurde, gehörte Zaadunie noch zu Sandoz. Der Konzern fusionierte 1996 mit Novartis, und das Konglomerat vereinte seine Landwirtschaftssparten im Jahr 2000 mit der Abteilung von AstraZeneca - heraus kam dabei der Agrarkonzern Syngenta.
"Ich habe keine Ahnung, was zwischen 1987 und heute passiert ist", sagt Craig Regelbrugge, Vizepräsident der amerikanischen Handelsgruppe AmericanHort. "Irgendwann scheint jemand vergessen zu haben, dass die neue Blütenfarbe durch Gentechnik zustande kam." Er hält die Petunien für einen Einzelfall im Blumenhandel und nicht für einen Vorboten weiterer Enttarnungen unerkannter Gentech-Pflanzen. Doch da sich die Gentechnik als Zuchtmethode in der Branche zunehmend etabliere, sollten Unternehmen die Entwicklung ihrer Sorten besser überwachen.
In Zukunft wird es ohnehin immer schwieriger, gentechnisch veränderte Gewächse aufzuspüren. Neue Methoden wie die Genschere Crispr/Cas hinterlassen keine Spuren im Erbgut, anhand derer man die Veränderung erkennen könnte. Allerdings sei es "ziemlich irrational" ein Produkt allein anhand der Methode, mit der es geschaffen wurde, zu beurteilen, sagt der Entdecker der Gentech-Petunien Teemu Teeri. Er hält es für möglich, dass die Petunien das Image der Gentechnik aufbessern könnten. Bislang werden die Verfahren in Amerika wie auch in Europa sehr kritisch gesehen. Die Gentech-Petunien böten dem Verbraucher immerhin einen Mehrwert, anders als gentechnisch verändertes Getreide, von dem in erster Linie der Landwirt profitiert, weil er oft weniger Arbeit hat. "Die Petunien wurden ja gekauft, weil man sie schön fand."
Hobbygärtner müssen orangefarbene Blüten in ihrem Garten oder Balkonkasten nicht fürchten oder bekämpfen. Sollten einige Petunien der behördlich angeordneten Vernichtung in den Betrieben entgehen, haben sie nur geringe Überlebenschancen. Als einjährige Pflanzen überstehen sie den Winter nicht. Im folgenden Frühjahr werden sie wahrscheinlich bereits Geschichte sein.
Dieser Beitrag ist im Original im Wissenschaftsmagazin Science erschienen, herausgegeben von der AAAS. Deutsche Bearbeitung: hach. Weitere Informationen: www.aaas.org