Süddeutsche Zeitung

Gentechnik:Umstrittene Genmais-Studie wieder publiziert

Mit seiner Studie zu den angeblichen Gefahren des Genmais hatte der Biologe Séralini heftigen Wirbel ausgelöst. Schließlich zog das Fachjournal den Aufsatz zurück. Der Streit ist damit noch nicht beendet: Die Arbeit hat es in ein anderes Fachblatt geschafft.

Von Hanno Charisius

Eigentlich schien die peinliche Angelegenheit erledigt. Bereits im November letzten Jahres hatte das Journal Food and Chemical Toxicology einen Aufsatz des Molekularbiologen Gilles-Éric Séralini von der französischen Universität Caen zurückgezogen. Zu dünn war die Datenlage, mit der er seine starke These belegen wollte: Gentechnisch veränderter Mais verursacht Tumoren - zumindest im Tierversuch. Was also hat es zu bedeuten, dass Séralini nun auf einer Pressekonferenz in Paris verkünden konnte, dass nun eine andere Zeitschrift - Environmental Sciences Europe - seine Studie erneut veröffentlicht hat?

Klar ist zumindest, dass es um ein heißes Thema geht. In seinem ursprünglich im September 2012 publizierten Aufsatz berichteten Séralini und Kollegen über Fütterungsversuche bei Ratten. Diese erhielten Mais des Agrarkonzerns Monsanto, der durch ein zusätzlich eingebautes Gen resistent ist gegen das Pflanzenschutzmittel Glyphosat.

Diese Maissorte darf in der EU als Futter und als Nahrungsmittel verkauft, aber nicht angebaut werden - obwohl frühere Studien keine negativen Effekte durch den Mais oder das Pestizid hatten finden können. Auch in den Ställen der Bauern, die diesen Mais verfüttern, gab es bislang keine Probleme. Umso mehr Aufsehen erregte Séralinis Studie. In Folge verhängte Russland vorübergehend ein Einfuhrverbot für diese Maissorte, Kenia untersagte generell die Einfuhr gentechnisch veränderter Lebensmittel.

Doch schon kurz nach der Veröffentlichung in Food and Chemical Toxicology erhoben unbeteiligte Wissenschaftler massive Einwände. So hatten die Franzosen eine Rattenart eingesetzt, die aus genetischen Gründen ohnehin dazu neigt, spontan Tumoren zu entwickeln. Es war zu erwarten, dass die Tiere in der zwei Jahre dauernden Studie auch ohne äußeren Einfluss Geschwüre bekommen.

Außerdem war die Zahl der Versuchstiere zu gering, um zufällige Ergebnisse statistisch sicher ausschließen zu können. Europäische und deutsche für Lebensmittelsicherheit zuständige Behörden kamen daher zu dem Ergebnis, dass Séralinis Studie von so fragwürdiger wissenschaftlicher Qualität ist, dass keine Risiko-Neubewertung der Maiskörner oder auch des Pflanzenschutzmittels notwendig sei.

Im November 2013, mehr als ein Jahr nach der Veröffentlichung, zog die Redaktion schließlich den Bericht zurück, Séralini hatte sich geweigert, es selbst zu tun. In der Begründung hieß es, dass es zwar keine Hinweise auf Fehler oder Datenfälschung geben würde, aber die weitreichenden Schlussfolgerungen der Autoren nicht durch ihre Messdaten gedeckt seien.

"Diese Studie hätte so nicht erscheinen dürfen", sagt der Toxikologe Pablo Steinberg von der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Allerdings sei sie längst nicht die einzige, in der gewagte Schlüsse aus mageren Daten gezogen werden und gegen die Fachgutachter dennoch keinen Widerspruch vor der Publikation einlegen. "Wenn man aber diese eine zurückzieht, dann müsste man auch nachträglich viele andere Studien zurückziehen, die ebenfalls von zweifelhafter Qualität sind."

Zugleich schufen die Verantwortlichen des Journals ein neues Problem: Séralini galt seitdem als der aufmüpfige Forscher, der von einer starken Industrie-Lobby mundtot gemacht werden sollte.

Nach der erneuten Veröffentlichung der Studie lautet die Parole der Séralini-Fans jetzt: "Die Wissenschaft siegt." Als wäre nun endgültig der Beweis erbracht, dass die Resultate der Fütterungsstudie tatsächlich etwas über die Gefährlichkeit der Gentechnik aussagen würden.

Dabei begründet selbst das Fachjournal Environmental Sciences Europe die Wiederveröffentlichung des geschassten Textes in nahezu unveränderter Form damit, dass man eine Plattform für den fachlichen Disput zwischen Gentechnik-Gegnern und -Befürwortern schaffen wolle. "Die experimentellen Daten sollen langfristig der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen und damit zur wissenschaftlichen Diskussion beitragen", sagt Chefredakteur Henner Hollert, Ökotoxikologe von der RWTH Aachen. Es gehe seiner Redaktion um Transparenz in der Forschung. Das klingt neutral, die bisherigen Aufsätze in der Zeitschrift hatten allerdings bislang durchweg einen kritischen Ton gegenüber der Gentechnik.

Der Wahrheitsfindung wird die Wiederveröffentlichung kaum dienen. "Aus einer schlechten Studie wird auch keine gute, wenn man sie ein zweites Mal veröffentlicht", sagt Pablo Steinberg aus Hannover, "die alten Kritikpunkte bleiben bestehen." Nur eine weitere, wirklich unabhängige Studie, könnte den Lagerkampf vielleicht etwas beilegen und die Diskussion versachlichen.

Genau so eine Untersuchung plant Steinberg derzeit. Er gehört einem internationalen Forscherkonsortium an, das im Auftrag der EU-Kommission den Gentech-Mais im Langzeitfütterungsversuch zwei Jahre lang an Ratten testen soll. Vor deren Start wird es eine Konferenz geben, bei der alle mitreden können, damit die diversen Interessensgruppen nicht wieder hinterher am experimentellen Design herummäkeln. Am Ende sollen sämtliche Messdaten ungefiltert veröffentlicht werden, damit sich wiederum alle an der Interpretation beteiligen können. Allein zwei Arbeitsgruppen des Konsortiums sind für die Vermittlung der Resultate an die Öffentlichkeit zuständig.

Mit ihrer Transparenz könnte diese Untersuchung zum Vorbild werden in der Sicherheitsforschung. Steinberg ärgert sich allerdings, dass diese Arbeit nur nötig wurde, weil frühere Studien so schlecht angelegt waren. In spätestens vier Jahren erwartet er die Ergebnisse. Dass dann der Streit beigelegt ist, daran kann er noch gar nicht glauben.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2017883
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 27.06.2014
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.