Gentechnik:Schritt zum künstlichen Leben

Den Biotechnikern um Craig Venter ist es gelungen, ein komplettes Genom aus chemisch hergestellten Erbgut-Bausteinen nachzubauen. Ihr Ziel: die Erschaffung von genetisch maßgeschneiderten Bakterien.

Hanno Charisius

Von Software und einem "Neustart des Betriebssystems" spricht Hamilton Smith, wenn er seinen jüngsten Forschungserfolg beschreibt. Das klingt nach Computerwissenschaften, gemeint sind aber Gene. Smith, der 1978 den Nobelpreis für Medizin bekam, will Leben im Labor erschaffen. Diesem Ziel ist er in den letzten Wochen ein Stückchen näher gekommen.

Gentechnik: Ein komplettes Genom von Mycoplasma genitalium - zusammengebaut aus chemisch hergestellten Erbgut-Bausteinen. Der Beobachtungszeitraum der Aufnahme ist 0,6 Sekunden.

Ein komplettes Genom von Mycoplasma genitalium - zusammengebaut aus chemisch hergestellten Erbgut-Bausteinen. Der Beobachtungszeitraum der Aufnahme ist 0,6 Sekunden.

(Foto: Foto: AFP/J. Craig Venter Institute)

Am J. Craig Venter Institute im amerikanischen Rockville, Maryland, hat er mit Kollegen das komplette Genom eines Bakteriums aus chemisch hergestellten Erbgut-Bausteinen nachgebaut. Dies sei zuvor noch niemandem geglückt, schreibt das Team in einem Fachartikel, der am Donnerstag in der Zeitschrift Science erschienen ist.

Eine lebensfähige Mikrobe haben sie daraus noch nicht hergestellt, sagt Smith, daran arbeiten sie zurzeit noch. Die Konstruktion solcher großen Erbgut-Moleküle gilt jedoch als Voraussetzung für die Erschaffung von genetisch maßgeschneiderten Bakterien. Diese sollen einmal, so die Vision des Genforschers Craig Venter, biotechnologisch genutzt werden, um Kraftstoffe herzustellen oder um giftige Abfälle aufzufressen.

Als Vorbild diente den Forschern das verhältnismäßig einfache Mycoplasma-Bakterium, dessen Genom bloß aus 500 Genen besteht - kein anderer bekannter Organismus braucht weniger zum Leben. Die 582.970 Einzelbausteine des Kunst-Genoms fügten sie in wochenlanger Fleißarbeit zusammen. Ein kommerzieller Anbieter lieferte künstlich hergestellte DNS-Schnipsel, jeweils zwischen fünf- und siebentausend Bausteinen lang - das ist heutzutage Routine.

Die Teilstücke fügte das Team zu größeren Abschnitten zusammen, die dann wieder zu noch größeren Fragmenten verbunden wurden - so lange, bis die Wissenschaftler schließlich vier verschiedene Abschnitte besaßen, die jeweils ein Viertel des Mycoplasma-Genoms umfassten.

Exakte Übereinstimmung mit dem Original

Bis hierhin fand die Konstruktion im Reagenzglas statt. Die Viertel-Genome implantierte sie schließlich in Hefezellen, die diese zu einem riesigen Molekül verknüpften. Die anschließende Analyse ergab eine exakte Übereinstimmung mit dem Original.

Nun versucht Smith mit seinem Team das künstliche Genom in eine Mycoplasma-Zelle zu verpacken, um sie "neu zu starten". "Wir betrachten Gene als Software", sagt Craig Venter, "der Rest der Zelle ist die Hardware". Und die soll zukünftig das machen, was der Mensch will und ihr per genetischer Software einprogrammiert.

In früheren Versuchen hatte sich gezeigt, dass etwa 100 Gene im Genom der Mycoplasma-Bakterien für das Überleben offenbar verzichtbar sind. In den kommenden Experimenten wollen die Forscher nun auch ihr Kunstgenom Schritt für Schritt reduzieren, bis sie beim Minimalgenom angekommen sind.

Um die Bakterien dann in winzige Fabriken für die Herstellung von Ethanol oder Wasserstoff zu verwandeln, müssten die Bioingenieure lediglich ein paar Zusatzgene einbauen. Man könnte sie als leere Chassis betrachten, denen man verschiedene Funktionen geben kann. "Sie können damit Kunststoff oder Arzneimittel produzieren", sagt Jim Thomas von der kanadischen ETC Group. "Sie können dasselbe Chassis aber auch benutzen, um damit Biowaffen herzustellen."

Das Argument ficht Venter nicht an in seinem Tun, einen Hammer könne man schließlich auch als Waffe missbrauchen. Erst im November hatte er Patente eingereicht, die ihm einmal die kommerziellen Rechte an künstlichen Organismen sichern sollen.

Schritt zum künstlichen Leben

Offen ist noch, ob das künstlich synthetisierte Erbgut von den Bakterienzellen akzeptiert wird, die so umprogrammiert werden sollen. Außerdem liegt der DNS-Faden normalerweise nicht einfach nackt in der Zelle herum, sondern ist vollgepackt mit Molekülen, die die Gene daran hindern, zur falschen Zeit und am falschen Ort aktiv zu werden. Ansonsten käme es zu einem heillosen Durcheinander und die Mikrobe würde im Chaos der Moleküle untergehen.

Gentechnik: Craig Venter und seinem Team melden mal wieder einen Erfolg.

Craig Venter und seinem Team melden mal wieder einen Erfolg.

(Foto: Foto: dpa)

Im vergangenen Sommer war es dem Team bereits gelungen, das von allen anderen Zellmolekülen bereinigte, nackte Genom eines Bakteriums in eng verwandte Mikroben zu transplantieren. Nach der folgenden natürlichen Teilung der Wirtszelle fanden sie Tochterzellen, die nur das Spendergenom enthielten - ein Ergebnis, das man nicht für möglich gehalten hatte.

Damit stellt dieses Verfahren neben dem Klonen oder dem Einschleusen fremder Gene eine ganz neue Art der Genom-Manipulation dar. Zwar können sich die Wissenschaftler den genauen Mechanismus noch nicht erklären. Aber Hamilton Smith ist sich sicher: "Diese Genom-Transplantation ist eine zuverlässige Prozedur."

Nicht wirklich künstlich

Wirklich künstlich seien ihre geplanten Kreaturen jedoch nicht, räumt Smith ein. "Wir arbeiten an synthetischem Leben, das aus denselben Komponenten besteht, wie alle Organismen auf diesem Planeten."

Von einer neuen Schöpfung könne nicht die Rede sein, sagt Nediljko Budisa vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München. An dem nächsten Schritt arbeitet er jedoch bereits. Er will nicht nur natürliche Eigenschaften von Lebewesen für technische Anwendungen nutzbar machen, sondern Biomaschinen schaffen, die der Natur gar nicht erst eingefallen sind.

Venters Experimente würden dafür eine wichtige Grundlage legen, sagt Budisa. "Ich arbeite bestimmt noch die nächsten 30 Jahre daran."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: