Gentechnik:Keine Angst vor der Chimäre

Britische Forscher wollen ein Mischwesen aus Mensch und Rind schaffen. Nachdem die Bevölkerung befragt wurde, hat nun auch die zuständige Behörde das Experiment genehmigt.

Hanno Charisius

Die umstrittenen Pläne britischer Forscher, Mischwesen aus Mensch und Rind zu schaffen, wurden von der zuständigen Behörde genehmigt. Am Mittwochabend gab die HFEA bekannt, dass sie nach eingehender Prüfung keine fundamentalen Gründe gefunden habe, diese Art Forschung zu verbieten. Dies sei jedoch kein Freibrief, über jedes Experiment werde ein Komitee nochmals einzeln entscheiden.

Gentechnik: Zentauren sind Mischwesen aus Mensch und Pferd. Die geplanten Chimären sollen eine Mischung aus Mensch und Rind sein - und natürlich nicht auswachsen.

Zentauren sind Mischwesen aus Mensch und Pferd. Die geplanten Chimären sollen eine Mischung aus Mensch und Rind sein - und natürlich nicht auswachsen.

(Foto: Foto: oh)

Am Montag hatte die Human Fertilisation and Embryology Authority (HFEA) die lange erwarteten Ergebnisse einer öffentlichen Befragung auf ihrer Webseite bekannt gegeben. Daraus geht hervor, dass die Mehrzahl der befragten Briten mit einigen Experimenten dieser Art einverstanden wären.

Bereits im November vergangenen Jahres hatten zwei Forschergruppen bei der HFEA, die in Großbritannien über die Embryonenforschung wacht, die Erlaubnis beantragt. Sie wollen menschliches Erbgut in die Eizell-Hülle eines Rindes übertragen und im Labor zu einem Embryo heranreifen lassen.

Die fraglichen Zellhaufen, so versichern die Forscher, würden im Labor nur wenige Tage überdauern und sie hätten keine Chance in einem Mutterleib zu einem Mischwesen zu reifen. "Es erscheint auf den ersten Blick ein bisschen abstoßend, aber man muss verstehen, dass wir nur sehr, sehr wenig genetische Information der Kuh verwenden", sagte Antragsteller Lyle Armstrong von der Newcastle University dem britischen Sender BBC.

"Kein seltsamer Kuh-Mensch-Hybrid"

Es solle kein "seltsamer Kuh-Mensch-Hybrid" geschaffen, sondern die bessere Erforschung von Stammzellen ermöglicht werden. Von menschlichen embryonalen Stammzellen erhoffen sich Mediziner, dass damit einst Krankheiten bekämpft werden könnten.

Mit ihren Anträgen hatten die Forscher eine Welle der Empörung ausgelöst; die Vorstellung von Mischwesen aus Rind und Mensch bereitet Unbehagen. Gegner der Forschung und religiöse Gruppen klagten, dass solche Hybride die Grenze zwischen Tier und Mensch verwischen würden. Außerdem würden so Embryonen allein dazu geschaffen, für die Forschung zerstört zu werden.

Nachdem die HFEA alle "wissenschaftlichen, rechtlichen und ethischen Argumente" angehört hatte, sei jedoch klar geworden, "dass es vor einer grundsätzlichen Entscheidung über diese Art von Experimenten eine klärende öffentliche Diskussion geben muss", sagte die damalige HFEA-Chefin Angela McNab Mitte Januar. Das Thema sei zu komplex für eine kurzfristige Entscheidung.

Daraufhin begann im Frühjahr eine dreimonatige Befragung der Bevölkerung. In Umfragen, öffentlichen Informationsveranstaltungen und Debatten wurde ein Meinungsbild erhoben. Anfangs waren die Teilnehmer noch sehr skeptisch. Doch dann begann sich die Stimmung zu ändern. "Je mehr Informationen den Teilnehmern zur Verfügung standen, umso aufgeschlossener wurde die Mehrzahl von ihnen", heißt es im HFEA-Report. "Die Befragung hat ergeben, dass 61 Prozent der Befragten mit der Erzeugung von Hybrid-Embryos einverstanden sind, wenn es hilft, eine Krankheit zu verstehen", sagt Martin Rees, Präsident der Wissenschaftsakademie Royal Society. Nur ein Viertel der Befragten lehnte die Forschung zum Schluss ab.

Am meisten Unterstützung gibt es für die Arbeit mit sogenannten cytoplasmatischen Hybrid-Embryonen, bei denen, wie von den Forschern beantragt, menschliche Zellen mit zuvor vom eigenen Erbgut befreiten Eizellen von Tieren verschmolzen werden. Sie gelten als Alternative zu überzähligen menschlichen Embryonen, wie sie bei Reagenzglasbefruchtungen oftmals entstehen und zu Tausenden in den Gefrierfächern von Fruchtbarkeitskliniken lagern.

Weniger Zustimmung gibt es in der Bevölkerung für Hybride, die durch Befruchtung von tierischen Eizellen mit menschlichem Sperma oder menschlichen Eizellen mit tierischem Sperma entstehen. Arbeiten mit sogenannten Chimären - Embryonen, in denen menschliche und tierische Zellen zugleich vorkommen - werden ebenfalls abgelehnt.

Die HFEA hat bislang nur den Anträgen auf die Herstellung von cytoplasmatischen Hybriden zugestimmt. "Die öffentliche Meinung zu diesen Experimenten ist sehr empfindlich", heißt es in einer Mitteilung der HFEA. Deshalb sei es notwendig, die Forschung stark zu reglementieren. Nur solche Versuche würden genehmigt, die zu wissenschaftlichen oder medizinischen Fortschritten beitragen.

Zu Jahresbeginn war ein positiver Bescheid durch die HFEA noch undenkbar. Einen Monat nach der Antragstellung hatte die britische Regierung ein Diskussions-Papier in Umlauf gebracht, in dem sie sich grundsätzlich gegen Hybrid-Experimente ausgesprochen hatte. Daraufhin begannen Wissenschaftler, Patientengruppen und Forschungsorganisationen wie der Wellcome Trust mit der Lobbyarbeit für die beantragten Projekte.

Diese Forschung zu verhindern, sei "ein Affront" gegenüber den Patienten, die von Stammzelltherapien profitieren könnten, erklärte Antragsteller Stephen Minger vom King's College im Januar, als ihm zugetragen worden war, dass die HFEA die Anträge ablehnen wolle.

Zu 99,9 Prozent menschlich

Dass sie für ihre Arbeit Misch-Embryonen aus Mensch und Kuh erzeugen wollen, begründen die Forscher damit, dass Eizellen von Kühen leichter zu bekommen sind als Eizellen von Menschen. Die Verwendung menschlicher Eizellen ist einerseits ethisch umstritten, andererseits finden sich kaum Frauen, die die dafür notwendige, sehr belastende Operation über sich ergehen lassen.

Keine Angst vor der Chimäre

Für therapeutische Zwecke ließen sich die Hybride aus menschlicher DNS und Rinder-Eizellen nicht nutzen, obwohl die Mischembryonen nach Angaben der Forscher zu 99,9 Prozent menschlich wären. Doch mit ihrer Hilfe ließen sich wichtige Fragen der Grundlagenforschung klären, sagt Stammzellforscher Anthony Ho von der Universitätsklinik Heidelberg.

Auch Klonforscher Miodrag Stojkovic vom Prinz-Felipe-Forschungszentrum im spanischen Valencia befürwortet die Experimente. Er hat bereits ähnliche Versuche durchgeführt. "Besonders interessant wäre es, menschliche Zellen zu verwenden, die einen genetischen Defekt tragen. Die damit hergestellten Stammzellen könnten dann bei der Erforschung von Krankheitsmechanismen helfen." Am besten wäre es, wenn man für solche Untersuchungen menschliche Eizellen nehmen würde, sagt Stojkovic, doch davon gebe es bekanntlich nicht genug.

Andere renommierte Forscher sehen keinen Nutzen in diesen Experimenten. Eckhard Wolf, Klonforscher an der Universität München, hält den britischen Ansatz für "nicht zeitgemäß". Um den Verbrauch menschlicher Eizellen zu umgehen, gebe es bessere Wege. Vor einem Jahr gelang es etwa Forschern erstmals, Körperzellen von Mäusen biochemisch so umzuprogrammieren, dass sich daraus Stammzellen gewinnen ließen.

Bemerkenswert findet Anthony Ho den britischen Weg zur Lösung der Kontroverse. "Sie haben keine Gesetze, die alles Mögliche grundsätzlich verbieten, sondern entscheiden jedes Mal neu von Fall zu Fall und unter Einbeziehung der Öffentlichkeit."

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