Gendiagnostik-Gesetz:Auf dem Weg zum 1000-Euro-Genom

Es wird immer einfacher und preisgünstiger, das Erbgut eines Menschen zu entziffern. Das Gendiagnostik-Gesetz wird dem nicht gerecht, kritisieren Forscher - und fordern eine Debatte über Erbgut-Daten.

Patrick Illinger

Führende deutsche Wissenschaftler kritisieren das erst seit Februar dieses Jahres geltende Gendiagnostik-Gesetz. Es sei "in weiten Teilen Makulatur" und nicht mit den medizinischen Realitäten vereinbar, beklagen Forscher wie der Heidelberger Humangenetiker Claus Bartram.

Gendiagnostik-Gesetz: Erbgutproben werden für eine DNA-Analyse vorbereitet. Seit Februar gilt das neue Gendiagnostik-Gesetz - und wird bereits heftig kritisiert.

Erbgutproben werden für eine DNA-Analyse vorbereitet. Seit Februar gilt das neue Gendiagnostik-Gesetz - und wird bereits heftig kritisiert.

(Foto: AP)

Die Fachleute einer Arbeitsgruppe der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina rufen zu einem breiten öffentlichen Diskurs über Humangenetik auf. Weil es technisch immer einfacher und preisgünstiger werde, das individuelle Erbgut eines Menschen zu entziffern, brauche es schnellstens eine offene Debatte über den Umgang mit Genom-Daten, sagen die Experten.

In Form einer ausführlichen Stellungnahme der Leopoldina sowie weiterer deutscher Akademien wurden am Mittwoch in Berlin die Empfehlungen der Wissenschaft zum Thema "prädiktive genetische Diagnostik" veröffentlicht.

Als problematisch empfinden Fachleute, dass Ärzten im Gendiagnostik-Gesetz eine zentrale Verantwortung im Umgang mit Erbgut-Daten und in der Patientenberatung zu genetischen Fragen zuerkannt wird. Dafür seien viele Ärzte nicht ausgebildet, warnt der Leiter der Leopoldina-Arbeitsgruppe, der Bonner Genetiker Peter Propping: Genetik sei erst seit einigen Jahren Bestandteil des Medizin-Studiums.

Überlegungen, wonach Ärzte in Wochenendfortbildungen auf die fachlichen und zunehmend relevanten ethischen Fragen der Genomanalyse vorbereitet werden sollen, halten die Forscher für unzureichend.

Schon heute wird das Gesetz tausendfach unterlaufen

Anders als oft in der Öffentlichkeit suggeriert, sei der Mensch keineswegs ein gläsernes Wesen, sobald sein Genom entziffert ist, warnt Claus Bartram. Die Zahl der Krankheiten, die unausweichlich auf ein einzelnes Gen im Erbgut zurückzuführen sind, sei sehr überschaubar.

"Die Verbindung vieler Krankheitsverläufe mit genetischer Disposition beruht oft auf einzelnen, statistisch unsicheren oder in ihrer prospektiven Aussagekraft unbefriedigenden oder widersprüchlichen Studien", warnt der Genetiker: "Wie soll da ein behandelnder Arzt den Patienten adäquat beraten? Das kann man nicht eben mal in einer Fortbildung lernen", sagt Bartram.

In dem grundsätzlich lobenswerten Versuch, den Umgang mit genetischer Information zu beschränken, greife das Gendiagnostik-Gesetz in Teilen auch zu weit, beklagt die Arbeitsgruppe der Leopoldina. So sei das bei Neugeborenen übliche Screening, bei dem ein Blutstropfen aus der Ferse des Kindes auf ein Dutzend behandelbarer erblicher Krankheiten hin untersucht wird, nunmehr ein gendiagnostischer Vorgang.

Streng genommen müssten also Eltern vor der Untersuchung intensiv über genetische Fragen beraten werden, und nur Ärzte dürften den Blutstropfen entnehmen, was üblicherweise Säuglingsschwestern oder Hebammen übernehmen.

Schon in diesem Fall werde das Gendiagnostik-Gesetz täglich tausendfach unterlaufen, sagt Bartram, oder die Untersuchung unterbleibe schlicht. Ein Gesetz, das derart mit der Realität kollidiere, sei eben kein gutes Gesetz. Sogar einfache Blutgerinnungs-Parameter oder eine Cholesterinstoffwechsel-Bestimmung fallen nun unter das Gendiagnostik-Gesetz. "Das ist natürlich Unsinn", sagt Bartram.

Nur auf Antrag

Kritisch sehen die Fachleute auch den Stellenwert, den das Gendiagnostik-Gesetz der ärztlichen Schweigepflicht zuschreibt. Demnach dürfte ein Arzt, der eine erbliche - und womöglich heilbare - Krankheit bei einem Patienten feststellt, ohne dessen Zustimmung eventuell ebenfalls betroffene Geschwister nicht informieren. In solchen Fällen solle die Fürsorgepflicht gegenüber Verwandten mit der Schweigepflicht abgewogen werden, fordern die Forscher.

Auch sieht das Gendiagnostik-Gesetz derzeit vor, genetische Patientendaten nach zehn Jahren zu vernichten, was nach Meinung von Experten erstens kaum praktikabel und im Falle familiärer Leiden auch nicht unbedingt wünschenswert sei.

Zustimmung erfährt das Gesetz von den Wissenschaftlern in dem Bemühen, die Menge genetischer Information generell zu begrenzen. Prädiktive genetische Diagnostik dürfte es nur auf Antrag und im Interesse des einzelnen Menschen geben. "Der Respekt vor der Selbstbestimmung des Patienten ist zentral", sagt Peter Propping.

Eine Totalsequenzierung der Genome weiter Teile der Bevölkerung lehnen die Forscher ab, auch weil genetische Ursache-Wirkungsbeziehungen nicht gut genug verstanden seien. Aus diesem Grund kritisiert die Arbeitsgruppe auch Gentests von kommerziellen Anbietern, die das Erbgut gegen Bezahlung aufschlüsseln. "Vom Risiko für Osteoporose über Haarausfall bis Paradontose, ja sogar die Entgiftungsfähigkeit des Körpers wird da beziffert", klagt Bartram, "alles völliger Quatsch!"

Unklar bleibt die Frage, ob Ärzte in Zukunft zustimmen müssen, wenn ein Patient sein Genom entschlüsselt haben will. Oder besteht ein Recht, das eigene Erbgut zu kennen? Dieser Streit wurde bis vor kurzem noch umgangen, da es technisch aufwändig war, ein komplettes Genom zu entschlüsseln.

Aber mit der enormen und auch für Fachleute verblüffenden Geschwindigkeit der Sequenzierungstechnik wird es sehr bald möglich sein, ein komplettes Genom zum Preis einer Kernspintomographie zu entziffern. "Es wird dann eine Flut verstörender oder zumindest beunruhigender Aussagen über viele Menschen hereinbrechen", warnt Bartram. "Wir müssen als Gesellschaft dringend diskutieren, ob das unbegrenzt möglich sein soll, oder ob es einen gesetzlichen Rahmen braucht."

Der bisher in der Medizin geltende Grundsatz, Patienten in die Lage zu versetzen, bestmöglich informiert eigene Entscheidungen zu treffen, ist in Gefahr. Wo selbst Ärzte nicht sagen können, wie gewisse Genom-Daten zu deuten sind, wo noch nicht einmal die Spitzenforschung Aussagen treffen kann, wie soll da der Patient adäquat informiert werden?

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