Gemischte Gefühle: Rache:Ein dunkler Durst

Der Wunsch nach Rache treibt Menschen auch in modernen Gesellschaften zu irrationalem Verhalten. Was kann der Sinn eines Gefühls sein, bei dem alle am Ende schlechter dastehen als zuvor?

Christian Weber

Am Anfang ging es um das Fehlverhalten eines Schweins, am Ende waren 29 Menschen tot - eine typische tribale Rachegeschichte halt, wie sie Ethnologen von Zeit zu Zeit gerne erzählen.

Gemischte Gefühle: Rache: Angehörige einer ägyptischen Familie bieten ihren Feinden Leichentücher an, mit denen sie ihr Leben symbolisch in deren Hand geben. Das Ritual stellte das Ende einer blutigen Fehde dar, die zwischen 1991 und 2005 25 Menschen das Leben gekostet hatte.

Angehörige einer ägyptischen Familie bieten ihren Feinden Leichentücher an, mit denen sie ihr Leben symbolisch in deren Hand geben. Das Ritual stellte das Ende einer blutigen Fehde dar, die zwischen 1991 und 2005 25 Menschen das Leben gekostet hatte.

(Foto: AP)

Der berühmte Kulturforscher Jared Diamond hatte diese Geschichte aus dem Hochland von Papua-Neuguinea 2008 im New-Yorker-Magazin ausgebreitet, sein Bekannter Daniel Wemp vom Volk der Handas habe sie ihm berichtet: Die Fehde hat vor Jahrzehnten damit angefangen, dass ein Schwein eines Handa einen Garten beim benachbarten Volk der Ombal verwüstet hat.

Darüber kam es zum Streit, der schließlich zu einem mehrjährigen Krieg führte, in dessen Verlauf auch Wembs Onkel getötet wurde. Um wiederum diese Tat zu rächen, investierte Wemb 300 Schweine, um 200 Männer anzuwerben, die mit ihm in sechs Schlachten fochten. Erst als ein Bambuspfeil im Rückenmark des Onkel-Mörders steckte, war seiner Rache Genüge getan.

Angesichts solcher Geschichten fällt es schwer, der Rachlust irgendetwas Gutes abzugewinnen. Was kann der Sinn eines Gefühls sein, bei dem alle Beteiligten am Ende schlechter dastehen als zuvor? Ist es nicht einer der großen Erfolge des modernen Staats, dass die Justiz das Strafen übernommen hat und somit blutige und endlose Rachefeldzüge verhindert?

Das Problem dabei ist, dass die Bereitschaft zur Rache im Menschen offenbar besonders tief verankert ist, trotz aller Versuche von Justiz und Religion, sie zu unterbinden. "Die Rache ist mein, ich will vergelten", spricht Gott der Herr in der Bibel. Im deutschen Strafrecht bekommt der Vater, der den Mörder seines Kindes erschießt, im besten Fall mildernde Umstände; im Gefängnis wird er dennoch landen.

Doch der Lack ist dünn: So ist etwa in Nordalbanien nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes die Institution der Blutrache wieder aufgeflammt. Unter Berufung auf uraltes Gewohnheitsrecht, den sogenannten Kanun Lek Dukagjini, dürfen alle Angehörigen der Sippe eines Mörders zur Rechenschaft gezogen werden.

Dies führte nach Angaben der albanischen Nichtregierungsorganisation NRC (Komitee der Nationalen Aussöhnung) in den 1990er-Jahren zu jährlich mehr als 100Mordfällen wegen Blutrache; im vergangenen Jahr seien es immer noch mehr als 30 gewesen.

Dabei achteten die Täter heute nicht mehr auf die Regeln des Kanuns, wonach die Rache nicht an Frauen, Alten, Kranken oder Jugendlichen unter 16 Jahren vollzogen werden dürfe. Laut NRC wagen es derzeit 750 Kinder aus Angst vor einer anstehenden Rache nicht mehr, das elterliche Haus zu verlassen, berichtet Thomas Fuster, der Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung: "Sie alle sahen sich schon zum Zeitpunkt der Geburt ihrer Kindheit beraubt."

Extrem sind die Zustände bei den Yanomani im Amazonas-Gebiet, wo nach den Studien des Ethnologen Napoleon Chagnon rund 30 Prozent der Männer bei gewalttätigen Konflikten sterben - häufigste Kriegsursache: Rache. Chagnon vermutet: "Männer, die Killer sind, erzielen wahrscheinlich Vorteile bei Heirat und Reproduktion."

Rache ist süß

In modernen Gesellschaften mögen die Methoden der Rache meist subtiler sein, doch auch hier ist sie ein Problem: Mehr als 20000 Treffer zum Stichwort "Rache" finden sich beim Internet-Versender Amazon, darunter zahlreiche Ratgeber, wie man sich beim Ex-Partner oder dem Chef für erlittene Untaten rächen kann.

Vor allem das Internet eröffnet neue Methoden der Vergeltung: Eine gewisse Prominenz erzielte ein britischer Student, der bei Ebay für 375 Pfund einen defekten Laptop ersteigerte. Als der Verkäufer sich weigerte, den Kaufpreis zurückzuerstatten und verschwand, entdeckte der Käufer, dass die Festplatte nicht gelöscht war. Daraufhin eröffnete er eine Website, wo er allerlei intime Daten des Verkäufers veröffentlichte: Bankdaten, Zeugnisse, richtig peinliche Fotos. Millionen Menschen sahen sich die Seiten an: "Rache ist online", titelte vergnügt das Internet-Portal Telepolis.

Die neuen Möglichkeiten, sich in Bewertungsportalen an miesen Professoren, unfreundlichen Kellnern oder konkurrierenden Buchautoren zu rächen, beschäftigen mittlerweile Marketing-Abteilungen. Schließlich bekundeten in einer Umfrage 15 Prozent der Konsumenten, dass sie beabsichtigen, sich für schlechten Service zu rächen, berichten Forscher um Haithem Zourrig von der University of Quebec im Journal of Business Research. Sie warnen: "Empörte Kunden verursachen 44 Prozent aller gegen Angestellte gerichteten Gewalttaten."

Solche Daten zeigen, dass Rachegelüste auch in den Gehirnen von Bewohnern westlicher Industriegesellschaften verankert sind. Dass dies wörtlich zu nehmen ist, belegte ein Team um den Neuroökonomen Ernst Fehr von der Universität Zürich: Die Forscher zeigten in spieltheoretischen Experimenten, dass Menschen sogar bereit sind, auf Geld zu verzichten, um als unfair empfundenes Verhalten bestrafen zu können. Ökonomisch ist das nicht sinnvoll.

Aber mehr noch: Während des Strafens zeigten sich im Computertomographen die Belohnungszentren des Gehirns aktiv. Mit anderen Worten: Der Spruch von der süßen Rache hat eine neurobiologische Grundlage. Manche Forscher vermuten, dass das Rachegefühl das altruistische Strafen befördert. Darunter versteht man, dass Menschen auch ohne eigenen Vorteil Regelverstöße ahnden, damit der Zusammenhalt der Gruppe gewährt bleibt.

Dennoch kann man sich streiten, ob es in Zeiten prekärer Beschäftigung sinnvoll ist, jede Beleidigung durch den Chef mit einem Kinnhaken zu beantworten, zumal andere Studien Einwände formulieren. Es mag schon sein, sagen etwa Psychologen um Kevin Carlsmith von der Colgate University in New York, dass der eigentliche Racheakt positiv erlebt würde. Doch danach grübele der Rächer erst recht über das erlittene Unrecht.

"Poetische Qualität"

Vielleicht aber haben auch Forscher um Thoma Bies recht, die vor kurzem über die Ästhetik der gelungenen Rache reflektierten. Ihnen zufolge ist eine Rachetat akzeptabel, wenn sie gewisse Bedingungen erfüllt: Der Rächer dürfe keinen persönlichen Nutzen aus ihr ziehen, sie dürfe in ihren Konsequenzen nicht schlimmer sein als die Ursprungstat, vor allem aber müsse sie "poetische Qualität" haben - so wie in einer Anekdote der Autorin Regina Barreca. Sie berichtet, wie die Flughafen-Angestellte Sonya einen rüpelhaften Passagier mit größter Freundlichkeit zum Gate schickt. Als eine Dame verwundert nach dem Grund fragt, antwortet Sonya: "Er fliegt nach Kansas City, seine Koffer nach Tokio."

Auch Jared Diamond plädiert trotz seiner grausamen Berichte aus Papua-Neuguinea dafür, die Existenz von Rachegelüsten anzuerkennen, wie er in einem Interview mit dem Spiegel erklärte. Allerdings müssten diese nicht immer in einem Gemetzel enden. Wichtig sei, dass die Opfer sehen, "wie der Täter begreift, was für ein Leid er ihnen zugefügt hat". Dann sei die Kehrseite der Rache möglich: Vergebung.

Das ist ein Ansatz, den Diamond bald selber testen kann. Derzeit nämlich streitet er sich mit Daniel Wemb über die Details der von ihm im New Yorker erzählten Geschichte und die Frage, ob er Wemps Namen überhaupt hatte nennen dürfen. Wemp jedenfalls fordert erst mal zehn Millionen Dollar Schadenersatz - wahrscheinlich aus Rache.

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