Gelenkrheuma:Zwölf entscheidende Wochen

Das Volksleiden lässt sich inzwischen so früh diagnostizieren, dass es noch aufgehalten werden kann.

Evelyn Hauenstein

Jeder dritte Europäer wird irgendwann in seinem Leben darunter leiden, jeder fünfte unterzieht sich bereits einer Langzeitbehandlung: Rheumatische Erkrankungen betreffen etwa hundert Millionen Menschen in Europa. Rheuma kostet mehr als jede andere Krankheit. Jährlich fallen rund 450 Millionen Tage bezahlter Arbeit wegen rheumatischer Beschwerden aus - "ein finanzieller Verlust, der zwei Prozent des europäischen Bruttosozialprodukts entspricht", so die Fachgesellschaft European League against Rheumatism, deren Jahreskongress kürzlich in Amsterdam stattfand.

Gesunde (unten) und rheumakranke Hand

Gesunde (unten) und rheumakranke Hand

(Foto: Foto: dpa)

Die genaue Ursache für die teuerste Krankheit Europas haben Forscher nach wie vor nicht gefunden - manche favorisieren die Gene, andere machen Umwelteinflüsse oder westlichen Lebensstil verantwortlich. Einig waren sich die Experten auf dem Kongress aber darin, dass Rheuma so früh wie möglich erkannt und behandelt werden muss, wenn eine Chance auf Heilung bestehen soll. Möglich machen sollen dies ausgefeilte Methoden der Bildgebung: Mit Hilfe der hochauflösenden Magnetresonanztomographie (MRT), auch Kernspintomographie genannt, können Mediziner erkennen, wie weit das Rheuma fortgeschritten ist, welche Behandlung der Patient benötigt und ob die gewählte Therapie anschlägt.

Zu oft nicht früh genug zum Arzt

Früher genügte Ärzten ein Röntgenbild von Hand oder Fuß, um die Diagnose Rheuma zu sichern: Wenn die gelenknahen Knochen ausgedünnt oder durchlöchert aussahen, war eines von sieben Kriterien erfüllt, die die Erkrankung in ihrer klassischen Form - als "rheumatoide Arthritis" (RA) - definierten. Beim klassischen Rheuma richtet sich das Immunsystem gegen körpereigenes Gewebe. Zuerst entzünden sich die kleinen Gelenke an Fingern und Zehen - sie schwellen an, werden rot und heiß und lassen sich morgens kaum bewegen. Mit der Zeit greift die Entzündung vom Bewegungsapparat auch auf innere Organe über.

Bremsen oder gar zum Stillstand bringen lässt sich der zerstörerische Prozess nur, wenn innerhalb der ersten drei Monate nach Auftreten der ersten Symptome mit einer aggressiven Therapie begonnen wird. Doch weil Rheuma immer noch als nicht heilbares Alte-Leute-Gebrechen gilt, finden viele Patienten nicht schnell genug den Weg zum Arzt. Selbst wenn sie rechtzeitig kommen, finden Mediziner häufig die richtige Diagnose nicht rasch genug.

Ein Begriff, viele Leiden

Schließlich schreiben die sieben etablierten Kriterien vor, dass seit mindestens sechs Wochen Schmerzen und Weichteilschwellungen über den Gelenken bestehen müssen, bevor von Rheuma gesprochen werden kann. Typische Knoten unter der Haut oder veränderte Blutwerte wie der Rheumafaktor können in der Frühphase noch fehlen. Die Folge: Häufig wird die Diagnose erst gestellt, wenn die entscheidenden zwölf Wochen verstrichen sind. Mit einem Verschwinden der Entzündung dürfen die Patienten dann nicht mehr rechnen - die Krankheit ist chronisch geworden.

Deshalb suchen Mediziner nach Möglichkeiten, die Krankheit früher zu erkennen. "Bei Gelenkerkrankungen wie Rheumatoider Arthritis und Osteoarthrose werden Röntgenbilder in Zukunft nicht mehr ausreichen", sagte Felix Eckstein von der Privaten Medizinischen Universität Paracelsus in Salzburg. Denn die Rheumatoide Arthritis beginnt mit der Synovitis, der Entzündung der Gelenkinnenhaut. Diese bleibt auf dem Röntgenbild unsichtbar: Es zeigt nur Zerstörungen an den Knochen. MRT-Bilder dagegen zeigen alle Strukturen des Gelenks: Knochen, Knorpel, Bänder, Innenhaut, Meniskus und Sehnen.

Zwölf entscheidende Wochen

"Heutzutage sollte der Kernspin bei der Frühdiagnostik stärker eingesetzt werden", forderte Röntgenexperte Christian Glaser von der Ludwig-Maximilians-Universität München auf dem Amsterdamer Kongress. Mit Kontrastmittel verstärkte MRT-Aufnahmen eines Gelenks zeigen nicht nur an, ob eine Synovitis besteht, sondern auch wie weit sie fortgeschritten ist und wie aggressiv die Krankheit verläuft.

Nicht alle Rheumakranken leiden unter Rheumatoider Arthritis: Hinter dem Begriff Rheuma verbergen sich mehr als hundert verschiedene Krankheiten. Weit gefasst fallen auch Knochenschwund (Osteoporose), nicht-entzündlicher Gelenkverschleiß (Osteoarthrose) und die Stoffwechselerkrankung Gicht darunter. Allen Leiden ist gemeinsam, dass sie Schmerzen am Skelettsystem oder in den Muskeln auslösen.

Einige dieser Krankheiten können inzwischen gut behandelt werden, zum Beispiel die Osteoporose mittels Bisphosphonaten - Stoffe, die wie Zement brüchige Knochen wieder aufbauen. Für andere gibt es noch keine wirksamen Medikamente, zum Beispiel für die Osteoarthrose. Außer Schmerzmitteln können Ärzte ihren Patienten häufig nichts anbieten. Mittel wie Chondroitinsulfat und Glucosamin, die die Qualität des zerstörten Gelenkknorpels verbessern sollen, haben sich erst kürzlich als weitgehend unwirksam erwiesen (New England Journal of Medicine, Bd. 354, S. 795, 2006).

Großes Interesse der Pharmakonzerne

Da Osteoarthrose die Krankheit mit dem höchsten Behandlungsbedarf weltweit ist - jeder zweite Mensch über 65 leidet darunter - hat die Pharmaindustrie großes Interesse an der Entwicklung neuer Medikamente. Stoffe, die Enzyme im Knorpel hemmen, die das Gelenk abbauen, sollen die Struktur des geschädigten Gelenks erhalten oder gar verbessern. Mit Röntgenbildern lässt sich die Wirkung dieser neuen Arzneien jedoch kaum nachweisen - da der Gelenkspalt nur zweidimensional zu sehen ist, können ganz leichte Verdrehungen schon zu erheblichen Messfehlern führen.

Auch hier hoffen Forscher auf die Kernspintomographie: "Mit MRT-Bildern können wir Standards dafür aufstellen, wie ein gesundes Gelenk aussieht und welche Abweichungen krankhaft sind", so der Salzburger Anatom Eckstein. Seine Forschergruppe arbeitet mit Tomographen, die mit drei Tesla die doppelte Feldstärke normaler Geräte aufweisen. "Damit können wir zum Beispiel messen, wie viel Prozent der Gelenkfläche noch von Knorpel überzogen sind und welche Qualität der Knorpel noch hat." Sichtbar wird auch, ob die neuen Medikamente den Gelenkverschleiß aufhalten oder gar rückgängig machen.

Auch für die Rheumatoide Arthritis gibt es Medikamente, zum Beispiel das Zellgift Methotrexat in Kombination mit Kortison oder anderen entzündungshemmenden Stoffen. Über Jahre hinweg eingenommen verursachen diese Mittel jedoch schwerwiegende Nebenwirkungen, die die Patienten oft mehr quälen als die Krankheit selbst. Große Hoffnungen setzten Rheumatologen deshalb in sogenannte Biologicals. Diese künstlich hergestellten Antikörper blockieren Botenstoffe wie den Tumor-Nekrose-Faktor TNF oder Interleukin-1, die das Immunsystem zum Angriff auf die Gelenke schickt.

Die Kosten sind kein Argument

Die Erfolge sind überwältigend: Oft verbessern sich die Beschwerden deutlich. Doch Biologicals sind teuer: Ein achtwöchiger Behandlungszyklus mit dem TNFalpha-Blocker Infliximab kostet etwa 2400 Euro. Auf dem Kongress stritten sich die Experten, wann die neuen Substanzen eingesetzt werden sollten: Erst wenn alle anderen Therapiemöglichkeiten ausgereizt sind? Oder so früh wie möglich, wenn noch eine Chance auf Heilung besteht? Auch hier könnte die Kernspintomographie Antworten geben:

Eine im letzten Jahr veröffentlichte Studie an zwanzig Patienten zeigte, dass eine Kombination aus Infliximab und Methotrexat die Entzündung der Gelenkinnenhaut wesentlich stärker bremsen konnte als die Behandlung mit Methotrexat allein. Die Patienten in der Studiengruppe konnten ihre Gelenke nach einem Jahr besser bewegen und hatten eine höhere Lebensqualität (Arthritis and Rheumatism, Bd. 52, S. 27, 2005).

Noch wenden Skeptiker ein, dass MRT-Aufnahmen zu teuer sind, um sie bei jedem Patienten mit Verdacht auf eine rheumatische Erkrankung einzusetzen. Die Kernspinaufnahme einer Hand etwa ist sechsmal so teuer wie ein Röntgenbild: Sie kostet 110 Euro, das Röntgen 20 Euro. Noch teurer kommt es jedoch, wenn Rheuma chronisch wird: Die Therapiekosten für eine Langzeitbehandlung betragen im Mittel 11.000 Euro pro Jahr.

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