Süddeutsche Zeitung

Gehirnforschung:Frau steuert Roboterarm mit ihren Gedanken

Zum ersten Mal hat ein Mensch eine komplexe Bewegung eines Roboterarms über Elektroden in der Hirnrinde gesteuert. Die seit 15 Jahren gelähmte US-Amerikanerin führte Kraft ihrer Gedanken einen Kaffee an ihre Lippen. Ein großer Erfolg in der Entwicklung von Hirn-Maschinen-Schnittstellen.

Nach einem Schlaganfall gelähmt an Armen und Beinen, können zwei US-Amerikaner wieder nach Gegenständen greifen - mit Hilfe eines Roboterarms, den sie mit ihren Gedanken steuern. Und in diesem Fall wird etwas zur Sensation, das für uns sonst eine Selbstverständlichkeit ist: Cathy, einer der beiden Testpersonen, ist es gelungen, mit dem künstlichen Glied nach einer Flasche mit Kaffee zu greifen, diese zum Mund zu führen und über einen Strohhalm zu trinken.

Diese Handlung sei die bisher komplizierteste, die je ein Mensch über eine Hirn-Maschine-Schnittstelle mit einer Maschine ausgeführt habe, berichten Wissenschaftler um John Donoghue von der Brown University in Providence im Fachmagazin Nature. Deshalb betrachten die Forscher den gelungenen Versuch als einen großen Erfolg, auch wenn die Technik noch Jahre entfernt ist von einer praktischen Anwendung.

Ein vier mal vier Millimeter großes Plättchen mit rund 100 Mikroelektroden sitzt im Gehirn der Versuchspersonen. Die haarfeinen Drähte nehmen die neuronalen Signale aus dem sogenannten Motorkortex auf, der sonst die Armbewegungen kontrolliert, und geben sie an einen Computer weiter. Dieser interpretiert die Signale und steuert den Arm.

Bereits im April 2011 hatten die entsprechenden Versuche im Rahmen einer klinischen Studie unter dem Namen BrainGate2 stattgefunden, deren Ergebnisse erst jetzt zusammen mit einem Video von Cathys Kaffeekonsum veröffentlicht wurden. Cathy und Bob, die beiden Versuchspersonen, sind bereits seit Jahren vom Hals an abwärts gelähmt. Die Amerikanerin hat vor 15 Jahren einen Schlaganfall erlitten. Die zum Zeitpunkt des Experiments 58-jährige Frau trägt die Implantate seit 2005.

Um den Arm zu kontrollieren, war intensives Training notwendig. Immerhin mussten die beiden Probanden bestimmte Gehirnregionen dazu bringen, die richtigen Nervensignale abzugeben, auf die der Computer wiederum eingestellt werden musste. Auch war nicht sicher, ob die Implantate fünf Jahre nachdem sie eingesetzt wurden, noch funktionieren würden. Doch offensichtlich reichen auch die Nervensignale im Gehirn von langjährig Gelähmten noch aus, um komplexe Bewegungen zu kontrollieren, wie der Erfolg von Cathy belegt.

Vom Cursor zum Roboterarm

Dem 66-Jährigen Bob, der 2006 einen Schlaganfall erlitten hatte, waren die Hirnimplantate erst fünf Monate vor den Versuchen eingesetzt worden. Beide Testpersonen hatten anfänglich geübt, mit ihren Gedanken einen Computercursor zu steuern.

Dann stiegen sie auf einen Roboterarm um. Zuerst kontrollierten sie eine Art Armprothese, mit der sie das Greifen nach Schaumstoffbällen lernen sollten. Es handelt sich um ein System, das zusammen mit dem US-Militär entwickelt wurde. In 62 Prozent der Tests konnte Bob nach einem Ball greifen. Cathys Erfolgsquote lag immerhin bei 46 Prozent. Um das Gerät zu bedienen, mussten sie sich vorstellen, es handle sich tatsächlich um ihren eigenen Arm.

Cathy verwendete anschließend einen Arm, der am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen entwickelt wurde. Mit dem Gerät gelang es ihr zwar nur in 21 Prozent der Tests, einen Ball zu nehmen. Aber bei sechs Versuchen, nach einer Flasche mit Kaffee zu greifen und sie an die Lippen zu führen, klappte es in vier Fällen.

Die Frau habe gelächelt, als sie nach 15 Jahren das erste Mal den Strohhalm an die Lippen geführt hatte, beschreiben die Wissenschaftler den großen Augenblick. "Das war für alle Beteiligten ein großer emotionaler Moment", sagte Patrick van der Smagt vom DLR.

Danach gefragt, wie sich die Steuerung des Roboterarms für sie anfühlt, sagte Cathy: "Es ist komfortabel und fühlt sich ganz natürlich an, mir vorzustellen, dass sich meine rechte Hand in die Richtung bewegt, in die ich den Roboterarm steuern möchte."

Noch muss das System vor jedem Einsatz etwa eine halbe Stunde kalibriert werden. Auch sind Gehirn und Computer über ein Kabel verbunden. Ihr Ziel sei eine kabellose Signalübertragung, erklärte Leigh Hochberg vom Brown Institute for Brain Science in Providence, Rhode Island. Auch wollen sie in Zukunft versuchen, das Gehirn von Gelähmten nicht mit Roboterarmen zu verbinden, sondern über ein zwischengeschaltetes Gerät ihre eigenen Muskeln zu stimulieren.

Die besondere Herausforderung für die Wissenschaftler ist, aus den Gedanken, die im Gehirn mit elektrischen Strömen zwischen den Nervenzellen zusammenfallen, über die Elektroden in der Hirnrinde abzuleiten und in digitale Signale zu verwandeln, die eine Bewegung einer Maschine im dreidimensionalen Raum kontrollieren.

Die aktuellen Ergebnisse gehören zu einer ganzen Reihe von Erfolgen, die Hirnforscher in den vergangenen Jahren bei den Versuchen erreicht haben, Gedanken gewissermaßen direkt auf Maschinen zu übertragen. Manche benutzen Hirnstrommessungen über Elektroden auf der Kopfhaut, andere setzen die Drähte direkt ins Gehirn. Es wird versucht, Schreibprogramme und sogar Autos mit reiner Gedankenkraft zu bedienen, und bereits 2008 haben Forscher der University of Pittsburgh Makaken-Äffchen beigebracht, sich mit Hilfe eines Roboterarms selbst zu füttern, den sie über Hirnelektroden steuerten.

Die Forschung an sogenannten Hirn-Maschine-Schnittstellen (Brain-Computer-Interface) wird zum großen Teil medizinisch begründet: Gelähmte sollen wieder gehen und greifen, Blinde wieder sehen, Taube wieder hören können. Allerdings hat auch das Militär großes Interesse daran, herauszufinden, ob und wie sich etwa Flugzeuge Kraft der Gedanken steuern lassen. Die Diskussion um das sogenannte Neuroenhancement, also zum Beispiel die Leistungssteigerung mit Neuroimplantaten, ist noch jung. Doch angesichts der Erfolge in der Hirnforschung ist es höchste Zeit, sie intensiver zu führen als bisher.

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