Süddeutsche Zeitung

Gehirnforschung:Forscher pflanzen Mäusen menschliche Nervenzellen in den Schädel

  • Neurobiologen haben Mäusen menschliches Nervengewebe ins Gehirn gepflanzt.
  • Die Mini-Gehirne fingen an, mit den Mauszellen zu kommunizieren.
  • Nach Auffassung der Forscher hat sich ein gemeinsames neuronales Netzwerk gebildet.

Von Hanno Charisius

Wenn Biologen oder Ärzte in ein Gehirn blicken, dann machen sie das üblicherweise mit einem bildgebenden Verfahren, das den Denkapparat durchleuchtet. Eher selten ist damit ein direkter Blick gemeint, wie durch ein Fenster. Einen solchen haben nun allerdings Neurowissenschaftler um Fred Gage vom Salk Institute for Biological Studies im kalifornischen La Jolla geschaffen. Sie haben Mäusen menschliches Nervengewebe ins Gehirn gepflanzt und ein Sichtfenster konstruiert, durch das sie beobachten können, wie sich die Neuronen der beiden Spezies miteinander vertragen.

Die Forscher haben den Mäusen sogenannte Hirn-Organoide eingepflanzt, kleine Nervenknäuel, die aus Stammzellen erschaffen wurden. Es ging um die Frage, ob solche Mini-Hirne auch in einem lebenden Organismus und nicht nur in Zuchtgefäßen überleben würden - und wie sie sich in der biologischen Umgebung verhalten.

Bis zu 50 Tage lang ließen die Forscher die Organoide zuvor im Labor reifen, bis sie diese durch ein drei Millimeter großes Loch in der Schädeldecke in die Mäusehirne schoben. Dankt eines zusätzliches Gens leuchten die menschlichen Hirnzellen grün und ließen sich durch das mit einem Sichtfenster geschlossene Loch beobachten.

Durch ein Sichtfenster im Schädel kann man die Zellen beobachten

Innerhalb von drei Monaten sprossen aus den implantierten Mini-Hirnen neue Zellen, berichten Gage und seine Kollegen im Fachblatt Nature Biotechnology. Bereits nach zwei Wochen waren alle Organoide von Blutgefäßen durchdrungen, die das artfremde Nervengewebe aus dem Blutkreislauf der Mäuse mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgten.

Die Implantate ließen zudem Nervenzellen tief ins Mäusehirn wachsen. Die Untersuchungen zeigten, dass sich die Aktivität der beiden Nervensysteme aufeinander einspielte, beide Gehirne feuerten Signale im Takt. Nach Auffassung der Forscher hat sich ein gemeinsames neuronales Netzwerk gebildet.

Ging durch diese Verschaltung auch menschlicher Geist auf den Nager über? Gage und seine Kollegen prüften das Verhalten der Mäuse sowie ihr Lernvermögen und kommen klar zu dem Ergebnis: nein.

Lediglich in einem Test schnitten Tiere etwas schlechter ab, was die Arbeitsgruppe mit den Verletzungen durch den operativen Eingriff erklärt. Nichts anderes hatte die Forschergruppe erwartet. Doch mag Gage zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausschließen, dass es Veränderungen gegeben haben könnte, die bislang noch unbemerkt blieben.

Ethische Bedenken, Tiere mit humanen Nervenzellen aufzurüsten, hat der Forscher nicht

Auch andere Neurowissenschaftler wären überrascht gewesen, hätten die Mäuse plötzlich Fähigkeiten hinzugewonnen oder verloren. "Natürlich ändert sich das Verhalten nicht", sagt Jürgen Knoblich, in dessen Labor am Institut für molekulare Biotechnologie in Wien vor fünf Jahren zum ersten Mal solche Hirn-Organoide wuchsen. Er mag den Begriff "Mini-Hirn" nicht, der die Fantasie arg beflügelt. "Das sind keine Nachbildungen des Gehirns, sondern lediglich organisierte Gewebestücke." Die jedoch seien interessante Modellgebilde, um die Entstehung von Krankheiten wie Schizophrenie, Autismus, Parkinson und Alzheimer zu erforschen.

Die neue Studie unterstreicht laut Knoblich dieses Potenzial insbesondere durch die Blutversorgung und die Verschaltung der Nervensysteme. Ethische Bedenken, Tiere mit humanen Nervenzellen aufzurüsten, hat er nicht, da sie dadurch niemals menschliche Eigenschaften bekommen würden.

Dennoch eröffne diese Forschung große ethische Problemfelder. Erstens durch die Tierversuche, die "gut begründet" sein müssten. Zweitens müssten die Patienten, deren Zellen für solche Experimente verwendet werden, umfassend aufgeklärt werden. "Eine einfache Einwilligung, dass die Gewebeproben zu Forschungszwecken verwendet werden dürfen, reicht nicht mehr aus." Drittens: "Forscher sollten durch ihre Äußerungen keine falschen Hoffnungen wecken."

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Quelle:
SZ vom 18.04.2018/hach
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