Geflüchtete Forscher:"Es wäre schade, das Potenzial nicht zu nutzen"

Lesezeit: 2 min

Unter den vielen Flüchtlingen aus Syrien müssten auch Forscher sein, vermutet eine BWL-Professorin aus Leipzig. Und will sie mit deutschen Wissenschaftlern vernetzen.

Interview: Jan Hellmut Schwenkenbecher

Die Universität Leipzig hat eine Online-Plattform gestartet, die Kontakt zwischen geflüchteten Wissenschaftlern und deutschen Forschern ermöglichen soll. Auf www.chance-for-science.de können diese sich Profile anlegen und mit der jeweils anderen Seite Kontakt aufnehmen. Ein Gespräch mit der Initiatorin des Projekts, Carmen Bachmann, Professorin am Lehrstuhl für BWL.

SZ.de: Wieso ein Netzwerk für geflüchtete Wissenschaftler?

Carmen Bachmann: Die Idee ist, dass bei der großen Anzahl von Flüchtlingen ein gewisser Prozentsatz an Wissenschaftlern dabei sein müsste. Denen wollen wir die Chance geben, leichter mit deutschen Forschern in Kontakt zu treten. Eine Online-Plattform in Form eines sozialen Netzwerks scheint da der einfachste Weg.

Wie viele der Flüchtlinge sind denn Wissenschaftler?

Ich habe im Vorfeld das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angeschrieben, die hatten leider keine konkreten Zahlen. Sie haben das Projekt aber als sehr sinnvoll erachtet. Ich könnte mir vorstellen, dass gerade unter den syrischen Flüchtlingen auch ein paar Forscher dabei sind.

Wie funktioniert das Konzept?

Man kann sich als deutscher oder geflüchteter Wissenschaftler anmelden, um über die Plattform mit der anderen Seite in Kontakt zu treten. Da Wissenschaft größtenteils auf Englisch stattfindet, sollte es da keine Probleme geben. Die Teilnehmer können sich dann Nachrichten schreiben und schauen, ob das Forschungsprofil zueinander passt.

Und dann?

Wenn ich als deutscher Forscher weiß, dass in einem Flüchtlingsheim ein Kollege desselben Fachgebiets sitzt, der auch Englisch spricht, könnte ich ihn in eine Veranstaltung einladen. Oder man richtet Zugänge zu Bibliotheken ein. Vielleicht könnten flüchtige und deutsche Forscher auch gemeinsam Publikationen verfassen. Forscher brauchen ja oft nicht viel, meist reichen schon ein Laptop und Zugang zu Literatur.

Könnten auch Stellen vergeben werden?

Es ist nicht Ziel der Plattform, Arbeit zu vermitteln. Die Idee ist, flüchtigen Wissenschaftlern Zugang zu Kollegen zu verschaffen, damit sie sich weiterhin geistig mit ihrem Fachgebiet beschäftigen können. Viele können monatelang nichts tun, da das Aufnahmeverfahren sehr lange dauert. Für einen Wissenschaftler ist es wichtig, den Anschluss nicht zu verlieren. Es wäre schön, wenn flüchtige Forscher durch das Projekt motivierter würden, auch eigene Initiativen zu starten. Sie könnten eventuell flüchtenden Studierenden unter die Arme greifen.

Langfristig brauchen diese Personen aber dennoch eine Anstellung.

Natürlich können die Leute hier nicht ewig nur spaßeshalber forschen. Aber auch eine Festanstellung wird nur möglich sein, sei es hier, zurück im Heimatland oder anderswo, wenn sie am Ball bleiben. Beschäftigt man sich zwei, drei Jahre nicht mit seinem Fach, ist man weg vom Fenster. Außerdem bietet sich durch die Plattform auch eine Chance für deutsche Forschungsinstitutionen.

Wie das?

Wenn hier jemand sitzt, der die Kapazität hat, zu forschen, und sie nicht nutzt, ist das ein Verlust für die Wissenschaft. Und für den Wissenschaftsstandort Deutschland. Es wäre schade, das Potenzial nicht zu nutzen.

Sehen das die deutschen Wissenschaftler auch so?

Wir sind seit einer Woche online und haben bisher eine ganz gute Resonanz. Es gibt einige Anfragen von Instituten, die mitmachen möchten. Auch hat mich ein österreichischer Forscher angeschrieben, der das Konzept dort ebenfalls aufbauen möchte. Wir überlegen, ob es nicht sogar europaweit funktionieren könnte.

Wie viele Leute sind denn schon dabei?

Insgesamt haben wir 49 Anmeldungen. Das sind bis jetzt alles deutsche Forscher. Wir haben aber eine Liste mit betreffenden Organisationen wie Flüchtlingsräten, die kontaktieren wir demnächst. Ich denke es wird sich noch ein wenig hinziehen, bis sich auch geflüchtete Wissenschaftler anmelden. Die haben jetzt zunächst andere Sorgen. Es wird aber der Tag kommen, wenn das Dach über dem Kopf da ist und die Grundbedürfnisse befriedigt sind, dass sie sich auch wieder geistig beschäftigen möchten.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: