Gefälschte Landkarten:Es führt ein Weg nach nirgendwo

Seit es Landkarten gibt, werden sie gefälscht. Und selbst in Zeiten von Satelliten und Google gibt es noch versteckte Orte.

Axel Bojanowski

Griechenlands antike Bauwerke sind nicht immer leicht zu finden. Regelmäßig weisen selbst Navigationsgeräte Irrwege. Fast scheint es, nicht nur die Sehenswürdigkeiten selbst, sondern auch manche Landkarten Griechenlands stammten aus dem Altertum, so wenige Straßen sind verzeichnet. Doch die Karten sind nicht überholt, sie sind gefälscht.

"In Griechenland und vielen anderen Ländern gibt es eine lange Geheimhaltungs-Tradition für Verkehrswege", sagt Kurt Brunner, Kartograph an der Universität der Bundeswehr München. Brunner ist Dutzenden Landkarten-Fälschungen auf die Spur gekommen.

Selbst im Zeitalter von Satelliten-Aufklärung und Google Earth versuchen viele Länder, falsche Informationen über ihre Infrastruktur in Umlauf zu bringen. "Die Geheimhaltung von Landkarten ist in vielen Staaten üblich", sagt Brunner.

So hat die Regierung Chinas kürzlich erklärt, bald gegen Internet-Kartendienste vorzugehen, wenn sie Karten des Landes veröffentlichen, die nicht den staatlichen Versionen entsprechen. Auch Länder Südamerikas, Osteuropas und Asiens gäben falsche Landkarten heraus, berichtet der Kartograph Brunner.

Der militärstrategische Nutzen der Geheimhaltung sei heute jedoch minimal, schließlich ließen sich selbst kleine Wege mit Satelliten erspähen.

Und die Bestrebungen vieler Staaten, die Satellitenbilder in Google Earth zu kontrollieren, sind bislang meist vergebens.

Immer wieder sind über das Programm selbst hochauflösende Bilder militärischer Anlagen zu sehen.

Die Wirkung gefälschter Landkarten trifft hingegen vor allem Touristen auf der Suche nach Sehenswürdigkeiten und beeinträchtigt die Arbeit von Wissenschaftlern.

Grenznahe Regionen etwa in Georgien, Griechenland, Türkei, Mazedonien oder Albanien werden auf Landkarten oft als "unerschlossenes Gebiet" ausgewiesen, bestenfalls große Durchfahrtswege sind dargestellt.

Weil auch der kostenlose Kartendienst Google Maps auf dieses Material angewiesen ist, findet sich auch auf dessen Karten viel weiße Fläche. Auf manchen Plänen verläuft lediglich eine einsame "Europastraße" - das sind die quer über den Kontinent führenden Hauptstraßen - durch scheinbar karge Wildnis. "Ganze Städte und Straßennetze wurden von den Landkarten getilgt", sagt Kurt Brunner.

Neben China kontrolliert Russland seine Landkarten besonders konsequent. "Karten mit einem genaueren Maßstab als 1:1.000.000 dürfen dort ausschließlich für den Dienstgebrauch der Behörden verwendet werden", sagt Brunner. Bereits in den 1930er-Jahren hat in der Sowjetunion die Geheimpolizei die Kontrolle der heimischen Landkarten übernommen.

Diktator Josef Stalin ordnete die Fälschung aller öffentlich zugänglichen Atlanten an. Während des Zweiten Weltkriegs hat sich das Vorgehen offenbar bewährt. Bei einem gefangen genommenen deutschen Offizier wurden gefälschte Karten der Umgebung Moskaus gefunden. Die Pläne zeigten ein gut ausgebautes Straßennetz, wo in Wirklichkeit nur Sümpfe und Schluchten lagen. Die Karten seien dem deutschen Militärattaché in Moskau zugespielt worden, der sie an die Soldaten weitergegeben habe, sagt Brunner.

Es führt ein Weg nach nirgendwo

In der Nachkriegszeit erreichten die Fälschungen von Landkarten in den Ostblock-Staaten "einen einsamen Höhepunkt", so Brunner. Im September 1965 beschlossen die Länder des Warschauer Paktes die Verzerrung aller öffentlichen Landkarten mit Maßstäben größer als 1:1.000.000. Ganze Städte verschoben sich: Logaschkino in Sibirien etwa veränderte seine Lage mit jeder neuen Ausgabe eines öffentlichen Atlas. "Offenbar gibt es eine solche Stadt", kommentierte die amerikanische Zeitschrift Military Engineer, doch wo sie liege sei "eine Frage höchster Ungewissheit".

Gefälschte Landkarten: In der DDR wurden Landkarten systematisch gefälscht. Auf dieser Darstellung verfügte ein Offizier der Nationalen Volksarmee 1982 handschriftlich, ein militärischer Komplex nahe Gotha samt Zufahrtstraße sei zu tilgen.

In der DDR wurden Landkarten systematisch gefälscht. Auf dieser Darstellung verfügte ein Offizier der Nationalen Volksarmee 1982 handschriftlich, ein militärischer Komplex nahe Gotha samt Zufahrtstraße sei zu tilgen.

(Foto: Bild: Brunner)

Auf Stadtplänen Moskaus fehlten Maßstabsangaben, so dass Entfernungen geschätzt werden mussten. Viele Straßen und selbst gut bekannte Gebäude wie das des KGB in der Innenstadt waren auf den Karten nicht verzeichnet. Auch Landkarten der DDR waren systematisch verzerrt, und Straßen und Siedlungen wurden vor allem in Grenznähe aus den Plänen getilgt. West-Berlin war als "nicht besiedeltes Gebiet" gekennzeichnet. Nach der Auflösung der DDR warben Kartenverlage für ihre neuen Stadtpläne aus Ostdeutschland mit dem Slogan: "Jetzt ohne Verzerrung".

Militärflughafen als "landwirtschaftliche Nutzfläche"

Auch Westeuropa versuchte sich während des Kalten Krieges in Geheimhaltung. Bei Memmingen in Schwaben erstreckte sich laut öffentlicher Landkarten eine große "landwirtschaftliche Nutzfläche". "In Wirklichkeit handelte es sich um einen Militärflughafen", erklärt Brunner. Und nahe Hohenbrunn bei München stand mitten im Wald keine Fabrik, wie auf Karten zu lesen war. "Dort lag das größte Munitionsdepot Süddeutschlands", sagt der Kartograph.

Die USA tarnen nach wie vor wichtige Militäreinrichtungen in öffentlichen Landkarten mit falschen Bezeichnungen. In Großbritannien wacht eigens eine Behörde, der Ordnance Survey, über Orte, die aus "Gründen der nationalen Sicherheit" auf Karten nicht korrekt dargestellt werden dürfen. "Aus Atombunkern werden dabei Lagerhäuser", berichtet Mark Monmonier von der Syracuse University in den USA. Radiostationen, Aufbereitungsanlagen für Nuklearbrennstoff oder Erdöldepots verschwänden gänzlich aus öffentlichen Landkarten.

Häufig dienen Fälschungen der Propaganda, sie zeugen vom Streit zwischen Staaten. Kaschmir beispielsweise, das zwischen Indien und Pakistan aufgeteilt ist, beanspruchen beide Länder für sich. Entsprechend wurde die Region in den Landkarten jeweils unterschiedlich gekennzeichnet. Chinesische Kartographen haben Tibet, das auf seine Unabhängigkeit pocht, längst China zugeschlagen. Argentinien hat eigens Briefmarken herausgegeben, auf denen die britischen Falkland-Inseln, um die beide Länder 1982 Krieg führten, unter dem Namen "Islas Malvinas" als argentinisches Staatsgebiet dargestellt sind.

Die Fälschung von Landkarten hat eine lange Tradition. Ob Napoléon Bonaparte, der preußische König Friedrich II. oder die mittelalterlichen Räte europäischer Städte - sie alle ließen zwar präzise Vermessungen ihrer Ländereien durchführen, veröffentlichten jedoch falsche Karten.

Es führt ein Weg nach nirgendwo

Gefälschte Landkarten: Diese spätere Karte wies an dieser Stelle eine Brachfläche aus.

Diese spätere Karte wies an dieser Stelle eine Brachfläche aus.

(Foto: Bild: Brunner)

Wenn dennoch korrekte Darstellungen in Umlauf waren, achtete man wenigstens darauf, dass sie rechtzeitig wieder verschwanden. Kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs waren Karten des bedeutenden deutschen Militärhafens Wilhelmshaven auf einmal vergriffen. "Offensichtlich hatten interessierte Stellen sie aufgekauft", sagt Brunner. Und vor dem Falkland-Krieg 1982 waren sämtliche britische Seekarten des Südatlantiks ausverkauft.

Landkarten wegzuschließen, hat ebenfalls eine lange Tradition. Bereits die ersten Aufzeichnungen, die der Entdecker Christoph Kolumbus aus der Neuen Welt mitbrachte, verschwanden umgehend in Geheimarchiven. Den Schlüssel dazu verwahrte der oberste Kartograph Spaniens.

Phantasie-Karte als Köder

Nicht immer dienen Fälschungen politischen Zwecken. Die ersten europäischen Einwanderer in Australien etwa köderten neue Arbeitskräfte aus der Heimat, indem sie eine Phantasie-Karte Australiens verschickten. Der karge Kontinent wurde darauf als ein verlockendes Land mit großen Flüssen, ausgedehnten Seen, Wäldern und Bergen dargestellt. Heutzutage werden Landkarten ebenfalls ohne militärischen Grund systematisch verfälscht. Um beispielsweise Denkmäler in den USA vor Vandalen zu schützen, sind sie oftmals nicht verzeichnet.

Verlage nutzen zudem bewusst eingebaute Fehler, um Plagiatoren auffliegen zu lassen. Sie zeichnen Stichstraßen, die es gar nicht gibt, an einsame Orte in die Karten ein, an die kaum jemand fährt. Konkurrenten, die die Pläne einfach kopieren, können anhand der Besonderheit leicht überführt werden.

Doch nicht alle Fehler sind gewollt. "Manche Mängel überdauern Jahrzehnte", sagt Mark Monmonier. Eine Eisenbahnlinie in Pennsylvania etwa, die es gar nicht gab, fand sich irrtümlich 20 Jahre und vier Ausgaben lang in einem Regionalatlas, der ausgerechnet von einem Militär-Kartographen erstellt worden war.

Solche Ungenauigkeiten können schwere Folgen haben. 1988 alarmierte ein philippinischer Marineoffizier seine Regierung, Malaysia habe die Turtle Islands annektiert. Er hatte einen ungewöhnlichen Strich auf einer Seekarte falsch interpretiert. Eine Linie, die eine empfohlene Schiffsroute markieren sollte, hielt er für einen neuen Verlauf der Staatsgrenze. Mit seiner Warnung, Malaysia habe die Grenze verschoben und sich die Inseln einverleibt, löste der Offizier beinahe eine schwere Krise aus.

Solch ernste Irritationen verursachte der kartographische Zeichner Richard Ciacci mit seinem Streich nicht. Der Behörden-Angestellte in Boulder hatte in die Karte des US-Bundesstaates Colorado einen fiktiven Berg namens "Mount Richard" eingezeichnet, um sich damit ein persönliches Andenken zu verschaffen. Es dauerte zwei Jahre, bis die Fälschung entdeckt wurde. "Es stellt sich die Frage", sagt Mark Monmonier, "wie viele solcher Possen wohl noch in Landkarten schlummern."

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