Gefährlicher Vulkan:Spurensuche in den Herzkammern

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Wissenschaftler haben herausgefunden, wie der Vesuv im Innersten funktioniert - und damit Angst vor neuen Ausbrüchen geweckt.

Stefan Ulrich

Die Neapolitaner nennen den unheimlichen Riesen in ihrem Rücken schlicht "A muntagna", "den Berg". Mehr als zehn Kilometer ist der Vesuv von ihrer Stadt entfernt, und die Fahrt hinauf gehört zu den beliebten Ausflugszielen fürs Wochenende. Bis auf tausend Höhenmeter führt eine Autostraße. Dann geht es über braun-rötliche Vulkanschlacken zu Fuß zum 1281 Meter hohen Kraterrand.

Im Innern des Vesuvs braut sich womöglich eine Katastrophe zusammen (Foto: Foto: dpa)

Die Aussicht auf Neapel, den blauen Golf mit den Inseln Ischia und Capri und die Steilküste von Sorrent begeistert jeden. Weniger idyllisch ist der Blick in den Schlund des Kraters, der wie ein korrodierter Kochtopf wirkt. Hier und da wabert Rauch aus den Wänden, und jedem ist klar: Der Riese ist nicht tot, er schläft nur.

Womöglich braut sich derweil im Inneren des Vulkans eine Katastrophe zusammen, wie jene, die 79 nach Christus die Städte Pompeji und Herkulaneum vernichtet hat. Um das herauszufinden, erforschen und überwachen Hunderte Wissenschaftler den Vesuv. Nun hat eine Gruppe italienischer und französischer Spezialisten eine Entdeckung gemacht, die hilft, das Monster besser zu verstehen.

Laut der Studie, die diese Woche in der Zeitschrift Nature erschien, gingen die Ausbrüche der vergangenen Jahrtausende nicht, wie bislang angenommen, von einer einzigen Magmakammer aus, sondern von zwei verschiedenen Hohlräumen in unterschiedlicher Tiefe. Je nachdem, aus welcher Kammer die Eruption erfolgte, war sie mehr oder weniger zerstörerisch. Die Forscher warnten zugleich, der Vesuv könne durchaus wieder so heftig wie im Jahr 79 ausbrechen. Dann gerieten 700.000 Menschen in Gefahr, die in der "Roten Zone" um den Vulkan leben.

Ein Szenario à la Pompeji

Nach der Vernichtung Pompejis und Herkulaneums brach der gefährlichste Vulkan Europas noch etliche Male aus, wenn auch nie mehr mit solcher Wucht. Bislang nahmen die Wissenschaftler an, sämtliche Eruptionen seien aus einem Becken mit flüssigem Gestein in acht bis zehn Kilometern Tiefe erfolgt. Die Forscher der in Nature publizierten Studie haben das widerlegt.

Sie untersuchten erkaltetes Gestein früherer Ausbrüche und zogen Rückschlüsse auf die Temperatur, die das Magma bei seinem Austritt hatte, sowie auf den Druck, unter dem sie stand. Das Resultat: Der gewaltige Ausbruch des Jahres 79 mit seiner viele Kilometer hohen Eruptionssäule erfolgte aus etwa neun Kilometern Tiefe. Spätere Ausbrüche speisten sich dagegen aus einer Kammer, die nur vier bis fünf Kilometer unter der Oberfläche lag.

Der italienische Vulkanologe Raffaello Cioni von der Universität Cagliari, der an dem Projekt mitarbeitete, sagte: "Nun sehen wir klarer, wie der Vesuv funktioniert." Ein künftiger Ausbruch könne aus der tieferen oder der höheren Schicht hervorgehen. Im ersteren Fall könnte ein Szenario à la Pompeji drohen. "Doch auch aus der höheren Kammer hat es in der Vergangenheit schwere Eruptionen gegeben", warnt der Professor.

Magma könnte an die Oberfläche schießen

Geophysische Untersuchungen der letzten Jahre hätten ergeben, dass sich wieder Magma in acht bis zehn Kilometern Tiefe gesammelt hat, sagte Cioni. Bei einem Ausbruch könne sie von dort direkt an die Oberfläche schießen - oder zunächst in die höhere Kammer einströmen, so wie bei den bislang letzten Eruptionen. Dies würden die Wissenschaftler bei der Überwachung des Vulkans bemerken und so - im Vergleich zu einer Eruption aus der tieferen Kammer - Zeit für die Warnung der Bevölkerung gewinnen. Die Bewohner der Orte am Vesuv scheinen auf diese Variante zu hoffen.

Der Blick vom Krater zeigt: Die Städte im Umland sind sehr nahe an den Vulkan herangekrochen, Bauverboten und Wegzugs-Prämien zum Trotz. Die Bürger setzen darauf, dass "A muntagna" seit dem bislang letzten Ausbruch von 1944, also ein Menschenleben lang, friedlich blieb. Bruno Scaillet, ein weiterer Forscher der am Institut für Geowissenschaften von Orléans erarbeiteten Studie, bietet dafür zwei Erklärungen an: Entweder bekommen die Magmakammern unter dem Vesuv nicht viel Nachschub an heißer Gesteinsbrühe aus dem Erdinneren. Oder die Wege nach oben sind verstopft. In diesem Fall würde der Druck auf die Pfropfen stetig steigen - und so die Gefahr.

Der italienische Zivilschutz stellt sich bereits seit vielen Jahren auf eine Katastrophe ein. Dabei gehen die Behörden davon aus, Neapel selbst werde verschont bleiben. Die noch näher am Vesuv gelegenen Städte wie das moderne Pompeji müssten dagegen evakuiert werden. Mehr als ein Dutzend Ortschaften mit weit mehr als einer halben Million Menschen leben in der Roten Zone. Nach dem Evakuierungsplan sollen sie im Fall der Fälle möglichst im eigenen Auto fliehen. Ansonsten werden sie mit Bussen in Sicherheit gebracht.

© SZ vom 12.9.2008/jtr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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