Süddeutsche Zeitung

Gefährliche Wolkendecke:Brenngläser am Himmel

Bei bedecktem Himmel packen viele die Sonnenmilch gar nicht erst aus. Ein Fehler, sagen deutsche Forscher. Denn dann ist die UV-Strahlung oft stärker als bei klarem Wetter.

Axel Bojanowski

Die Gefahr, sich einen Sonnenbrand zu holen, kann bei Bewölkung größer sein als bei blauem Himmel. Das haben Kieler Klimaforscher bei Messungen am Strand von Sylt entdeckt. Die Wissenschaftler registrierten dort in den vergangenen Tagen extreme Werte bei der UV-Strahlung - obwohl Wolken am Himmel waren. Die Experten raten daher, nicht nur bei Sonnenschein Sonnencreme zu verwenden.

Am Strand vor Westerland auf Sylt steht seit vier Jahren eine Spezialkamera, die alle 15 Sekunden den Himmel fotografiert. Ein Sensor registriert alle zwei Sekunden die Sonnenstrahlung. Die Auswertung der Daten brachte die Überraschung. "Die höchsten Strahlungswerte wurden nicht bei strahlend blauem Himmel gemessen, sondern an Wolkentagen", berichtete Andreas Macke vom Leibniz-Institut für Meereswissenschaften jüngst auf einer Tagung in Hamburg.

An sonnigen Sommertagen zeigen die Geräte maximal 900 Watt pro Quadratmeter an. "Am 23. Juni jedoch wurden bei bewölktem Himmel zeitweise mehr als 1300 Watt gemessen", sagt Carsten Stick von der Universität Kiel. "Wolken können die Strahlung verstärken", erläutert der Klimaforscher.

Entscheidende Lücken

Mitunter hielten die Phasen extremer Strahlung minutenlang an. Die höchste Strahlungsmenge maßen die Kieler Forscher, wenn die Sonne durch eine brüchige Wolkenschicht schien. Selbst bei nahezu bedecktem Himmel registrierten sie Extremwerte.

Entscheidend sind kleine Lücken in der Bewölkung, oder ein dünner Schleier zwischen den Wolken. Denn sobald das Sonnenlicht einen Weg durch die Wolken findet, scheint es von mehreren Seiten, weil Wolken wirken "wie Scheinwerfer", sagt Klimaforscher Macke. Einzig dicke graue Bewölkung schirmt das Sonnenlicht ab.

Während dicke Regenwolken die Strahlung wie ein Sonnenschirm blockieren, verstärken jedoch vor allem Schäfchenwolken (Cumulus humilis) die Strahlung. Das Licht durchdringt die dünne Wolkendecke. Diese besteht aus kleinen Wassertröpfchen, die das Sonnenlicht zusätzlich reflektieren - am Boden kommt so mehr Strahlung an.

20 Minuten können zuviel sein

"Andere Wolken können aber den selben Effekt haben", sagt Macke. Selbst Schichtwolken (Stratocumuli), die den Himmel fast gänzlich bedecken, sind keine Garantie gegen Sonnenbrand. Die Phasen extremer Strahlung dauern bei starker Bewölkung aber weniger lang, denn Wolkenlücken schließen sich schneller. Bei wenig Bewölkung könne der Verstärkungseffekt aber schon mal stundenlang wirken, berichtet Macke. Dann würden jedoch keine Extremwerte erreicht.

Über den gesamten Tag gemessen, ist die Strahlungsdosis an Wolkentagen dennoch geringer als an Sonnentagen. "Um einen Sonnenbrand zu bekommen, genügt es aber mitunter, sich 20 Minuten in der Sonne aufzuhalten", gibt Carsten Stick zu bedenken. Die Phasen extremer Strahlung bei Bewölkung seien die gefährlichsten. Wer glaube "heute ist es bewölkt, da brauche ich keine Sonnencreme", könne sich "böse verschätzen".

Die episodische Extremstrahlung beeinflusst wohl auch die Umwelt. Bei Algen sei nachgewiesen worden, dass sie an Tagen mit brüchiger Wolkenschicht schlechter wachsen als an Tagen mit gleichmäßigem Sonnenlicht, berichtet Stick. Vermutlich litten die Organismen unter starken Schwankungen der Sonnenstrahlung.

Einige Phasen extremer Strahlung auf Sylt konnten die Forscher allerdings nicht auf den Wolken-Effekt zurückführen. "Manchmal war die UV-Strahlung den ganzen Tag deutlich höher als sonst", berichtet Stick. An solchen Tagen - sie treten alle paar Monate auf - steigt die Sonnenbrand-Gefahr erheblich, ohne dass es Warnsignale gibt.

Die gefährlichen Episoden werden vom Wetterphänomenen in hohen Luftschichten ausgelöst, haben Stick und seine Kollegen herausgefunden. Normalerweise filtert die Ozonschicht das UV-Licht der Sonne. Doch zuweilen verkleinere sich die Schutzschicht, sagt Stick. Dann treiben in der Höhe Luftmassen mit wenig Ozon aus den Tropen in unsere Breiten. Zusätzlich verdrängen Hochdruckgebiete über Mitteleuropa die Ozonschicht.

Mit einer Wettervorhersage für hohe Luftschichten ließen sich die "Niedrig-Ozon-Ereignisse" vermutlich vorhersagen, sagt Stick. Zumindest jedoch müsse ein "UV-Index" vor der hohen UV-Strahlung warnen.

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Quelle:
SZ vom 03.07.2008/mcs
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