Gefährliche Silvesterknaller:Explosion am Handgelenk

Zerfetzte Sehnen, gesplitterte Knochen: Mediziner und Feuerwehrleute demonstrieren an Schweinepfoten, wie schwer Böller verletzen können. Vor allem Schmuggelware ist brandgefährlich.

Roman Deininger

Gerade hat Bert Reichert über das Einbrennen von Schmauchpartikeln unter der Haut doziert, und es wurde durchaus klar dabei, dass die Sache mit den Schmauchpartikeln eine für jedermann verzichtbare Erfahrung ist.

Gefährliche Silvesterknaller: Wenn China-Böller wirklich aus China kommen, kann es gefährlich werden

Wenn China-Böller wirklich aus China kommen, kann es gefährlich werden

(Foto: Foto: dpa)

Aber Reichert ist ein Herr von sanfter Stimme und sachlichem Ton, ein Profi, seit fast 15 Jahren Facharzt für plastische und wiederherstellende Chirurgie. So einer neigt nicht zu großem öffentlichen Drama, selbst wenn ihm seine Arbeit allen Grund dazu gibt.

Um großes Drama geht es jedoch an diesem Montagvormittag vor dem Haupteingang des Klinikums Nürnberg: um das, was ein Feuerwerkskörper aus einer Menschenhand machen kann. Wer die ganze Zerstörungskraft mancher Silvester-Böller ermessen wolle, hat Reichert also empfohlen, möge doch bitte einfach die "Demonstration" verfolgen.

Die mannsgroße Plastikpuppe mit den rosa Lippen ist tief in ihren Stuhl gerutscht, bei einem Menschen würde man sagen: man sieht ihm die Angst an. Den rechten Arm hat sie weit von sich gestreckt, und aus dem grauen Parkaärmel lugt ein Schweinefuß hervor, mit Klebeband befestigt. Reichert hat gesagt, Schweinefüße seien "in ihrer Beschaffenheit sehr gut mit Menschenhänden vergleichbar".

Gefährliche Schmuggelware

Jürgen Gust vom Landeskriminalamt sagt jetzt, die Fotografen und Kameramänner sollten doch tunlichst noch ein, zwei Schritte zurücktreten, wegen der Knochensplitter. Gust ist seit 1983 im Sprengstoffgeschäft und für großes Drama noch weniger zu haben als plastische Chirurgen. Auf seiner schwarzen Uniform trägt Gust ein Wappen: zwei bayerische Löwen halten eine Handgranate. Einem wie ihm gehorcht man besser. Die Zuschauer gehen gleich mal drei Schritte zurück.

Gust hat einen Kracher an den Schweinefuß geklebt: "La Bomba", ein kleines Ding mit beschwingtem Namen und buntem Aufdruck. "2,9 Gramm Explosivstoff", sagt er, ein Laie könnte das für wenig halten. Aber man muss nur in sein ernstes Gesicht schauen und weiß: Es ist genug, um gefährlich zu sein.

Und Gust legt nach: "Schmuggelware", sagt er, wohl in China produziert, aus Tschechien oder Polen nach Deutschland gebracht. Allein im Jahr 2009 sind nach Angaben des Landeskriminalamts an deutschen Grenzen mehr als zweieinhalb Tonnen verbotener Böller sichergestellt worden.

Hierzulande müssten Feuerwerkskörpern vom Bundesamt für Materialprüfung (BAM) genehmigt werden, erklärt Gust. Diesen Test würden die illegalen Importe nie bestehen: Statt des herkömmlichen Schwarzpulvers werden oft hochexplosive Blitzknallstoffe verwendet - und zur Dämmung Gips statt Sägemehl. Die Druckwelle könne dadurch so groß werden, dass sie ohne weiteres einen Briefkasten sprengt. Oder einem Kind die Hand abreißt.

Zerborstene Knochen, zerfetzte Sehnen

Reichert wird nochmal grundsätzlich. "Feuerwerkskörper gehören nicht in Kinderhände", sagt er, egal ob mit BAM-Nummer oder nicht. Selbst kleinste, erlaubte Teile könnten verheerende Wirkung haben, wie damals bei dem Buben, dem jemand eine bunt leuchtende "Biene" hinten in den Anorak gesteckt hatte. "Der ganze Rücken war verbrannt."

Und dann geht es los. Gust zündet die Lunte von La Bomba an, er macht das mit seiner Zigarette, man könnte einen Film drehen über ihn. Die Umstehenden sind auf den Knall vorbereitet und zucken trotzdem zusammen.

Als sich der Rauch verzogen hat, begutachten die Ärzte den Schaden am Schweinefuß, den man sich als Menschenhand vorstellen muss. Ein riesiges Loch klafft im Fleisch, faustgroß. Zerborstene Knochen stechen hervor und zerfetzte Sehnen. Reichert, der Mann mit der sanftem Stimme und dem sachlichen Ton, hat sich über die Wunde gebeugt, er sagt: "Die Hand hat es ordentlich zerlegt."

Was da im Ernstfall noch zu retten wäre, wird Reichert gefragt. Er sagt, wieder ganz sanft und sachlich, dass dem Opfer schwere Gefühlsstörungen bleiben würden und eine eingeschränkte Beweglichkeit der Finger. Und dass das noch der Bestfall wäre. Ein paar Schweinefüße werden noch gesprengt, dann wünschen sich die Ärzte, Polizisten und Feuerwehrleute einen "guten Rutsch".

Für sie, sagt einer von ihnen, heiße das: eine "ruhige Silvesternacht". Fast alle werden im Einsatz sein - und um Schweinefüße wird es dann nicht mehr gehen.

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