Gefährliche Schmerzmittel:Allerweltspillen mit Risiko

Experten wollen den Verkauf von bislang rezeptfreien Schmerzmitteln wie Aspirin und Paracetamol erschweren. Denn die Medikamente können zu Magenblutungen, Leberschäden, Nierenversagen, Herzinfarkt, Schlaganfall und Asthma führen sowie süchtig machen. Falsch eingesetzt besteht Lebensgefahr.

Christina Berndt

Gestresst? Zu wenig geschlafen? Den falschen Wein erwischt? 70 Prozent der Frauen und 50 Prozent der Männer leiden aus den verschiedensten Gründen immer mal wieder unter Kopfschmerzen - und nehmen meist ohne zu zögern eine Tablette dagegen.

Schmerzen will kaum noch jemand ertragen. Schließlich gibt es Pillen, die weniger als eine Tasse Kaffee kosten. Und wer keine im Haus hat, kann sie leicht in der Apotheke um die Ecke besorgen. Rezeptfrei.

Genau das möchten Fachleute ändern. Im Januar wird der Sachverständigenausschuss Verschreibungspflicht des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte erneut darüber beraten, ob die Abgabe solcher Allerweltspillen wie Paracetamol, Acetylsalizylsäure (etwa Aspirin), Ibuprofen, Naproxen und Diclofenac unter Rezeptpflicht gestellt oder zumindest stark beschränkt werden soll.

"Viele Menschen halten diese Mittel für unproblematisch, gerade weil sie frei verkäuflich sind", sagt der Pharmakologe Kay Brune von der Universität Erlangen. Rezeptfrei bedeutet aber keineswegs harmlos. Die kleinen Helfer können zu Magenblutungen, Leberschäden, Nierenversagen, Herzinfarkt, Schlaganfall und Asthma führen.

"Jedes dieser Medikamente hat seine eigene Problematik", sagt Wolfgang Becker-Brüser vom pharmakritischen Arzneitelegramm. Alljährlich komme es zu Hunderten Todesfällen durch Schmerzmittel. "Vor allem die Uraltsubstanzen Paracetamol und Acetylsalizylsäure sind falsch angewendet tödlich", sagt Brune. Schon eine Verdopplung der Dosis könne bei Paracetamol lebensbedrohlich werden.

Doch die Substanzen haben nicht nur schwere Nebenwirkungen, sie können auch süchtig machen. Hunderttausende Deutsche leiden an einer bis heute nicht verstandenen Komplikation durch die Schmerzstiller: Sie haben Kopfschmerzen, die erst durch den häufigen und langanhaltenden Gebrauch der Pillen ausgelöst wurden - und nehmen deshalb ständig wieder welche ein.

Viele Pharmakologen halten es daher für sinnvoll, die Abgabe der Schmerzmitteln in Apotheken auf eine Menge zu begrenzen, die nur vier Tage vorhält. Länger soll man die Pillen ohnehin nicht nehmen, ohne einen Arzt aufzusuchen.

"Eine solche Regelung wäre ein Kompromiss, der auch das legitime Interesse der Bevölkerung an einem unkomplizierten Zugang zu Schmerzmitteln berücksichtigt", sagt Dirk Stichtenoth, Professor für Arzneimittelsicherheit an der Medizinischen Hochschule Hannover.

Nur für eine der Arzneien existiert bereits eine Beschränkung: Seit April 2009 dürfen nicht mehr als zehn Gramm Paracetamol abgegeben werden. So werde aber der falsche Eindruck erweckt, die anderen frei verkäuflichen Schmerzmittel seien harmloser, klagt Kay Brune.

Er macht sich Hoffnungen, dass der Sachverständigenausschuss aus Ärzten und Industrievertretern im Januar für eine einheitliche Beschränkung der Mittel votieren wird. Es gebe immer stärkere Erkenntnisse über Missbrauch und Nebenwirkungen, die nicht mehr ignoriert werden könnten.

"Allerdings versucht die Industrie, Reglementierungen auf allen Wegen zu verhindern", so Brune. Schließlich gehe es um einen Milliardenmarkt. Aber würde die beschränkte Abgabe überhaupt etwas nützen, wenn die Menschen einfach in die nächste Apotheke gehen können, um dort eine weitere Packung zu erwerben? "Es geht ums Bewusstsein", sagt Brune. "Ihnen soll klar werden, dass sie keinen Traubenzucker kaufen."

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