Parasiten im Südsudan:Kampf bis zum letzten Wurm

Seit dem Altertum ist der Guinea-Wurm bekannt, noch vor 25 Jahren wurden jährlich 3,5 Millionen Menschen von dem üblen Parasiten befallen. Inzwischen sind es weniger als 2000 Fälle. Und dank der Unabhängigkeit Südsudans könnte der Schmarotzer endlich ausgerottet werden.

Arne Perras

Der junge Mann blickt auf seinen Verband und weiß, dass es jetzt sehr weh tun wird. Anfangs war es nur ein Jucken zwischen den Fingern, doch jetzt möchte Gabriel Obiang Logora am liebsten gar nicht mehr hinsehen. Seine rechte Hand ist am Mittelfinger schwer entzündet. Ein Bauer, der nicht mehr zupacken kann - wie soll das gehen? Wo er doch seinen Acker bestellen muss, damit die Familie genug zu essen hat.

Parasiten im Südsudan: Die Entfernung des Guinea-Wurms kann Tage oder Wochen dauern. Vielleicht ist der Parasit bald ausgerottet.

Die Entfernung des Guinea-Wurms kann Tage oder Wochen dauern. Vielleicht ist der Parasit bald ausgerottet.

(Foto: AFP)

Eigentlich sind dies Tage des Jubels in Südsudan, doch wenn der Schmerz so groß ist, fällt das Feiern schwer. Zwar haben die Menschen den Kampf um die Freiheit ihres Landes gewonnen; nach langem Krieg gegen den Norden hat sich Südsudan für unabhängig erklärt und gründet nun eine eigene Republik. Aber eine andere Schlacht geht weiter. Der Feind heißt Dracunculus medinensis und ist ein schrecklicher Wurm.

Ob Bauer Logora von ihm befallen ist, lässt sich an diesem frühen Morgen nahe Juba noch nicht sagen: Manchmal fällt es schwer, den sogenannten Guinea-Wurm zu fassen.

Aber das kennt der medizinische Helfer Serafino Doggaare schon. Er geht von Dorf zu Dorf, um Patienten und verdächtige Fälle aufzuspüren. Gleich wird er den Verband an der Hand des Bauern wechseln. Dafür hat er einen Wassereimer bereitgestellt, den er für die Diagnose braucht. Guinea-Würmer zählen zu den bösartigsten Parasiten des Menschen.

Sie waren schon im Altertum bekannt und noch vor 25 Jahren gab es jährlich 3,5 Millionen Fälle in 20 Ländern Asiens und Afrikas. Heute sind es weniger als 2000 Fälle, fast alle in Sudan.

Serafino Doggaare ist Mitarbeiter der Carter-Stiftung, die den Kampf gegen die Dracunculiasis maßgeblich vorangetrieben hat. Der frühere US-Präsident Jimmy Carter engagiert sich seit vielen Jahren, um diese Geißel der armen Welt endlich auszurotten. Die Chancen, dass das bald gelingen könnte, stehen gar nicht schlecht. Die letzte große Front liegt hier, in den entlegenen Sümpfen und Savannen am Weißen Nil.

Jimmy Carter will den letzten Guinea-Wurm überleben

Jimmy Carter ist nun 86 Jahre alt, aber fest entschlossen, den letzten Guinea-Wurm der Welt zu überleben. Letztlich aber können nur die Südsudanesen selbst die Krankheit besiegen. Je mehr sie wissen über den Wurm und seinen Lebenszyklus, umso eher wird ihnen das gelingen. Der Schlüssel liegt in der Aufklärung, und die ist auch nach dem Ende des Bürgerkriegs noch schwierig.

Es ist ein Land, in dem es noch heute kaum eine Wasserleitung gibt. Wer durstig ist, schöpft Wasser aus Bächen oder Tümpeln. Dabei schluckt er kleine Krebse, welche die Larven des Parasiten in sich tragen. So gelangt dieser in Magen und Dünndarm, wo er die Schleimhaut durchdringt, ausreift und sich paart.

Der weibliche Wurm dringt weiter ins Gewebe vor, wandert häufig in Arm oder Bein und wächst ein Jahr lang. Manche Exemplare werden unter der Haut über einen Meter lang. Und irgendwann brechen sie heraus, das kann an jeder Stelle des Körpers geschehen.

Serafino Doggaare, der Mann der Carter-Stiftung, hat immer seinen schwarzen Rucksack mit Verbandszeug und Medikamenten dabei, wenn er durch die Dörfer streift. Manchmal ist er tagelang zu Fuß unterwegs, denn der neue Staat Südsudan hat so gut wie kein Straßennetz, das die Menschen verbinden könnte. In der Trockenzeit sind die wenigen Pisten im Busch staubig und voller Schlaglöcher. Wenn es regnet, verwandeln sie sich in schlammige Gräben.

Es dauert an diesem Morgen nicht lange, bis der Helfer den Verband des Bauers gelöst hat, eine Wunde am Mittelfinger ist zu sehen, aber einen Wurm kann er nicht entdecken. "Vielleicht werden wir es gleich wissen", sagt Doggaare und taucht den Finger in den Wassereimer. Dann starrt er hinein.

Auch bei Rebecca Modong hat es länger gedauert, bis sie wusste, was da in ihrer Wade schmerzte. Die 40-Jährige lebt im Dorf Natorok in der Region "Central Equatoria" und baut mit ihrem Mann Hirse und Mais an. Sie führen ein entbehrungsreiches Leben. Aber die Bäuerin hätte sich nicht vorstellen können, dass es sie einmal so schlimm erwischen würde. "Zu nichts war ich mehr fähig", sagt sie. Lähmungen, Schwellungen, Kopfweh, Schmerzen in den Gelenken. Und jeden Tag wurden die Qualen schlimmer.

Sie hatte ihren Fall 2009 der Gesundheitsbehörde gemeldet und bekam auch prompt professionelle Hilfe. Ein Glücksfall war das, wie es ihn früher kaum gab. Dass der Kampf erheblich vorangekommen ist, liegt aber nicht nur am Engagement des unermüdlichen Jimmy Carter, sondern auch an Einheimischen wie Samuel Makoy, dem Spezialisten des Gesundheitsministeriums in Juba.

"Wenn da ein Wurm ist, dann krieg ich ihn"

Er erinnert sich noch gut, wie mühsam es während des Krieges war, gegen diesen Parasiten anzukämpfen. "Um ihn auszurotten, braucht man Frieden und stabile Gemeinden", sagt er. Nur so kann man die Menschen aufklären und einfache Hilfsmittel verteilen. Makoy holt ein kleines schwarzes Rohr hervor, das aussieht wie eine Flöte, innen ist eine Membran eingezogen, durch die man Wasser saugen kann. Mit diesem Rohr kann man auch aus Tümpeln trinken, ohne die Larven des Guinea-Wurms einzusaugen.

Einfache Filter und Aufklärung haben dafür gesorgt, dass das Verbreitungsgebiet des Parasiten auch in Südsudan stark zusammengeschrumpft ist. Waren es 2006 noch 3137 Dörfer, die unter dem Wurm litten, so sind es im vergangenen Jahr nur noch 227 gewesen. "In diesen Gegenden ist unsere Arbeit allerdings sehr schwierig", sagt Makoy, dort kämpfen verfeindete Gruppen um Vieh; viele Menschen kommen ums Leben. Dennoch sagt Makoy: "In zehn Jahren können wir ihn ausrotten" - vorausgesetzt, der Frieden hält. Im Regal stehen zwei Gläser mit Alkohol, darin hat Makoy zwei besonders lange Exemplare konserviert, so hat er das Problem stets vor Augen.

Es ist nicht leicht, einen solchen Wurm aus dem Körper zu holen. Man braucht ein kleines Stöckchen, sehr viel Geduld und gute Nerven - so wie Rebecca Godong. Sie hat es geschafft. Der Parasit wird auf das Stöckchen gewickelt und darf jeden Tag maximal fünf Zentimeter herausgezogen werden. Reißt er, gibt es böse Infektionen. Der Tag, als er dann draußen war, sei wie ein Fest gewesen, erinnert sie sich.

Bauer Logora weiß noch nicht, ob auch er bald feiern kann. Seine Hand steckt nun schon zehn Minuten im Wasser. "Der Parasit stößt im Wasser seine Larven aus," erklärt der Helfer Doggaare. Das geübte Auge kann das erkennen. Wenn erkrankte Menschen also baden oder sich in einem Tümpel waschen, bringen sie den Parasiten zurück in das Wasser.

Der Wurm nutzt den Moment, um seine Larven zu entlassen, die werden dann wieder von den kleinen Krebsen gefressen und später nehmen Menschen sie auf, wenn sie aus dem verseuchten Teich trinken. So schließt sich der Kreis.

Bauer Logora darf nun die Hand aus dem Wasser ziehen, nichts war zu entdecken. Vielleicht kommt die Infektion ja auch von einem Schnitt oder Kratzer. Serafino Doggaare desinfiziert und verbindet die Wunde, der Bauer beißt die Zähne zusammen. "Er muss jetzt noch einige Tage lang wiederkommen und jedes Mal die Hand ins Wasser tauchen", sagt der Helfer. "Wenn da ein Wurm ist, dann krieg ich ihn."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: