Gefährliche Energiequelle in Ruanda:Der Schatz im Killer-See

Vieles am Lake Kivu erinnert an ein Badeparadies - doch der riesige Bergsee ist nicht nur schön. Methan aus dem Gewässer könnte die Energieprobleme Ruandas lösen - und bringt zugleich die Anwohner in Lebensgefahr.

Günter Beyer und Gaby Mayr

Sauberer weißer Sand, Palmen, blau-weiß gestreifte Sonnenschirme und Liegestühle. Links, an den ruandischen Hügeln, leuchten neue Wellblechdächer inmitten von Bananenhainen und Gemüsebeeten, rechts am Horizont erscheinen schemenhaft die dunklen Wälder der Demokratischen Republik Kongo. Vieles erinnert an ein Badeparadies.

Lake Kivu

Energiespeicher und tödliche Gefahr zugleich: Im unteren Drittel des 500 Meter tiefen Kivu-Sees lagern riesige Methan-Reserven.

(Foto: AP)

Doch das Schwimmen sollte man in dem klaren Bergsee lieber bleiben lassen, warnen manche Experten und Anwohner. Der Kivu-See, fünfmal so groß wie der Bodensee, sei ein Killer-See.

Grund für die Besorgnis ist der hohe Gehalt an Methan, einem brennbaren Gas, das an sich ungiftig ist, aber bei großen Ausbrüchen die Atemluft verdrängen kann. Diese angebliche Gefahrenquelle soll jetzt helfen, die Energiezukunft Ruandas zu sichern. Wissenschaftler schätzen die Methanmenge im See auf weltweit einzigartige 65 Milliarden Kubikmeter. Mikroorganismen im vulkanischen Sediment am Seegrund produzieren laufend Nachschub.

Die Menschen am Ufer betreiben Viehzucht, und die Gülle gelangt über das Grundwasser in den See, wo sie die Methanproduktion zusätzlich stimuliert. Das im Wasser gelöste Gas lagert im unteren Drittel des bis zu 500 Meter tiefen Gewässers. Dort bildet es Schichten unterschiedlicher Dichte, nach oben hin abgeschottet durch gasfreies Seewasser.

Das Methangas im Kivu-See war bereits während der belgischen Kolonialzeit bekannt. Später förderte eine Bierbrauerei das Gas und heizte damit die Kessel für ihre "Primus"-Produktion. Die Idee, den Schatz im Kivu-See für die Stromversorgung zu nutzen, ist nicht neu. Jetzt aber sorgt ökonomischer Druck für die Verwirklichung.

Die Wirtschaft wächst derzeit um jährlich sieben Prozent, aber der Erfolg könnte mit mehr Energie noch größer sein. Ruandas Kraftwerke im Norden, die Elektrizität überwiegend aus Wasserkraft gewinnen, erzeugen nur 70 Megawatt. Methanstrom könnte dem Land aus der Energieklemme helfen. Die Regierung verfolgt ehrgeizige Pläne: Die Kraftwerkskapazität soll bis 2012 auf 130 Megawatt steigen, 16 Prozent der Bevölkerung und die Hälfte aller Schulen sollen dann ans Stromnetz angeschlossen sein.

Eine Anlage ist schon in Betrieb

Seit Mai 2008 ist ein paar Kilometer außerhalb von Gisenyi eine kleine Anlage in Betrieb. In das Plätschern des Sees mischt sich das Summen von Generatoren. Bei klarem Wetter ist der in den ruandischen Farben blau, gelb und grün gestrichene Förderturm auf einer schwimmenden Plattform schon von weitem zu sehen.

Betriebsleiter Ntirushwa Olivier, ein junger Ingenieur weist auf ein PVC-Rohr am Ufer: "Durch diese Pipeline strömt das Gas von der anderthalb Kilometer entfernten Plattform zu den Stromgeneratoren an Land." Olivier stößt ein Tor auf, das Surren wird lauter. Hinter den Scheiben des Kontrollraums stehen drei blaue Generatoren, jeder mit einer Kapazität von 1,2 Megawatt. Das reicht nicht ganz, um die 100.000 Einwohner von Gisenyi zu versorgen. "Der Rest wird aus dem nationalen Stromnetz zugefüttert", erklärt Olivier. Bisher ist der Stromverbrauch in Ruandas Städten allerdings gering, kaum jemand besitzt einen Fernseher oder eine Waschmaschine.

Die Monitore im Kontrollraum zeigen auch die Reinheit des momentan geförderten Methans an. "Im Moment haben wir 47 Prozent, das entspricht 700 Kilowatt", sagt Olivier. Die Generatoren hat der Projektpartner Global Power Systems aus Mannheim geliefert. Sie kommen auch mit weniger reinem Methan zurecht.

Von der Förderplattform führt ein 320 Meter langes Rohr in die methanhaltigen Wasserschichten hinab. Auf halber Höhe wird in das Rohr zusätzlich Pressluft eingeleitet. Das Gas-Wasser-Gemisch steigt auf wie bei einer Sprudelflasche, die man geschüttelt hat. Im so genannten Separator unter der Plattform wird das Gas vom Wasser getrennt. Anschließend wird das Methan "geschrubbt", wie die Techniker sagen, das heißt, vom Schwefelwasserstoff befreit, der die Lebensdauer der Turbinen verkürzt. Das aus dem Wasser gelöste Gas strömt durch die Pipeline zu den Generatoren.

Ein Problem ist Kohlendioxid. Der Anteil des wertlosen Treibhausgases an dem aus dem See geförderten Gas beträgt bis zu 75 Prozent. Das CO2 wird ebenfalls auf der Plattform abgetrennt und in die Tiefen des Kivu-Sees zurückgeschickt. "Wir wollen das Kohlendioxid nicht in die Atmosphäre freisetzen", sagt Charles Nyirahuku vom Infrastrukturministerium in der Hauptstadt Kigali. "Das würde gegen den Geist des Kyoto-Protokolls verstoßen." Das dicht besiedelte Ruanda nimmt ökologische Bedenken ernst. Plastiktüten sind strikt verboten, tausende von Biogasanlagen ersetzen bereits Brennholzöfen.

Die kleine Anlage gehört der privaten Rwanda Energy Company und hat den Beweis erbracht, dass Methanförderung nicht nur zum Bierbrauen taugt. "Wir wollen verschiedene Projekte im großen Stil zwischen 50 und 100 Megawatt entwickeln", kündigt Nyirahuku an. Im Mai 2011 hat die Multilaterale Investitions-Garantie-Agentur der Weltbank das 142 Millionen Dollar teure Methangasprojekt der amerikanischen Firma Contour Global abgesichert.

Damit ist der Weg frei für eine 25-Megawatt-Anlage, die später auf 100 Megawatt erweitert werden soll. Ein Uferareal nahe der Kleinstadt Kibuye, 80 Kilometer von Gisenyi entfernt, ist bereits umzäunt und planiert, Wachmänner stehen an der Zufahrt zur Baustelle. Außerdem plant Ruanda ein Joint-Venture-Projekt mit dem zweiten Seeanrainer, der Demokratischen Republik Kongo. Von stolzen 200 Megawatt ist die Rede. Ruanda träumt bereits vom Stromexport in Nachbarländer.

Im Infrastrukturministerium kennt man aber auch die Risiken. Unvergessen ist die Umweltkatastrophe in Kameruns Nyos-See. Dort führte 1986 eine schlagartige Sättigung des Seewassers mit Kohlendioxid zum Austritt des Gases, das die Atemluft verdrängte. In den umliegenden Dörfern erstickten 1700 Menschen.

Theoretisch, räumt Nyirahuku ein, könne es auch im Kivu-See passieren, dass das Wasser mit Methan gesättigt wird und Gas unkontrolliert entweicht. Solange jedoch gasfreie Wasserschichten im oberen Teil des Sees als natürliche Barriere wirken, sei man von dieser Gefahr "sehr, sehr weit entfernt".

Allerdings stellt auch der bei Gisenyi aufragende Vulkan Nyiragongo ein Risiko dar. Alle paar Jahre - zuletzt 2002 - entlässt er Lavamassen in den See. Das könnte die Gas-Wasser-Mischung durcheinander wirbeln. "Kontrollierte Methangasförderung", so Nyirahukus Fazit, sei deshalb nicht nur wirtschaftlich sinnvoll. "Das Gas zu fördern bedeutet zugleich, Risiken zu begrenzen."

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