Süddeutsche Zeitung

Gefährdeter Lebensraum:Die Verwandlung der Ozeane

Schleichende Vergiftung: Das Treibhausgas Kohlendioxid versauert die Ozeane. Die Lebenswelt der Meere könnte sich vollständig wandeln, warnen Forscher.

Axel Bojanowski

"Eine schlimme Geschichte", sagt der Meereskundler Jelle Bijma vom Alfred-Wegener-Institut AWI, "leider wird sie kaum erzählt." Das Wasser der Weltmeere wird zunehmend saurer.

Noch ist die Veränderung unsichtbar, doch die im Wasser zunehmende Säure sei die Ursache dafür, dass es für Algen, Muscheln und Korallen schwieriger wird, ihre Kalkskelette aufzubauen, warnten Geoforscher in dieser Woche auf der Generalversammlung der Europäischen Geowissenschaftlichen Union EGU in Wien.

Ursache der Versauerung der Meere ist das Treibhausgas Kohlendioxid CO2. Aus Autos, Fabriken, Heizungen und Kraftwerken gelangt es in die Luft. Zwanzig Millionen Tonnen CO2 pro Tag nehmen die Ozeane auf. Im Wasser wandelt sich das Gas zu Säure.

Welche Auswirkungen die schleichende Vergiftung der Ozeane im Einzelnen haben wird, ist unter Wissenschaftlern umstritten. "Unsere Kinder werden möglicherweise keine Muscheln mehr finden", fürchtet jedoch der AWI-Forscher Jelle Bijma.

Die Auswirkungen auf den Lebensraum Ozean könnten indes noch weit gravierender sein. Unzählige Kleinstlebewesen mit filigranen Kalkskeletten sind die Grundlage der gesamten Nahrungskette der Weltmeere. Mit ihrem Verschwinden ginge auch die Lebensgrundlage vieler größerer Meeresbewohner verloren.

"Die Lebenswelt der Ozeane könnte sich vollständig wandeln", sagt Bijma. Jüngste Erkundungen von Muschelkolonien in der Tiefsee zeigen jedoch auch, dass sich manche Kalk-Organismen an saureres Wasser gewöhnen können.

Negative Folgen

Auf den ersten Blick wirkt das Geschehen harmlos, es ist vom Mineralwasser her bekannt: Die darin enthaltene "Kohlensäure" entsteht durch Zugabe von CO2. Seit die industrialisierte Menschheit Kohlendioxid in die Luft pustet, passiert Ähnliches in den Ozeanen. Seit zehn Jahren messen Sensoren fortwährend die voranschreitende Versauerung der Meere.

Das Maß für den Säuregehalt - der pH-Wert - sei kontinuierlich gefallen, berichtet Gert-Jan Reichert von der Universität Utrecht. Je niedriger der Wert, desto mehr Säureteilchen treiben im Wasser.

Seit Beginn der Industrialisierung ist der pH-Wert um 0,1 gesunken, er beträgt nun durchschnittlich 8,1. Der Wert schwankt allerdings von Ort zu Ort: In manchen Meereszonen liegt er bei 7,7, in anderen bei 8,2.

Bis zum Ende des 21.Jahrhunderts könnte der durchschnittliche pH-Wert der Meere auf 7,7 sinken, sollte sich der Kohlendioxid-Ausstoß der Menschheit fortsetzen, warnt die EGU in einem Resümee, das der Wissenschaftsverband auf der Tagung in Wien vorgestellt hat.

Rein chemisch betrachtet wäre Meerwasser zwar erst unterhalb eines pH-Werts von 7 tatsächlich sauer - ein auszuschließendes Szenario. Gleichwohl habe bereits die bisherige Absenkung des pH-Wertes negative Folgen für die Meereswelt, sagt Jelle Bijma.

Vor Südaustralien seien die Kalkschalen der Tiere mittlerweile deutlich dünner als vor der Industrialisierung, berichtet eine Gruppe um Andrew Moy vom Antarktis Forschungszentrum in Tasmanien in Nature Geoscience (Bd.2, S.276, 2009). Die Meeresgeologen haben die Schalen lebender Einzeller mit älteren verglichen, die Bohrungen im Meeresboden zutage brachten. Die Schalen seien heute um ein Drittel leichter.

Aufgrund der niedrigen Wassertemperaturen kann das Meer südlich von Australien mehr Gase aufnehmen. Der Ozean ist dort reicher an CO2 und folglich saurer als andere Meeresregionen. Bereits in gut zwanzig Jahren könnte dort ein Kipp-Punkt erreicht werden, warnt Ben McNeil vom Klimaforschungszentrum in Sydney.

Das Wasser wäre dann im Winter mit Kalk untersättigt, sodass viele Organismen kaum noch gedeihen würden. In der Arktis könnte dieser Zustand sogar bereits in fünf Jahren eintreten, warnt James Orr vom Umweltforschungszentrum IAEA in Monaco.

Mancherorts leiden bereits Korallenriffe, berichteten Meeresforscher jüngst in der "Monaco-Deklaration". Beispielsweise habe die Kalkproduktion des Great Barrier Reef in Australien "messbar abgenommen". Im Golf von Neapel zeigt sich, was eine weiter voranschreitende Versauerung anrichten kann. Unterwasservulkane reichern dort das Meer mit Säure an.

Die Folgen waren mitunter verheerend, berichteten Forscher vor kurzem in der Zeitschrift Nature: Bereits bei einem pH-Wert von 7,6 begannen sich die Kalkschalen von Meeresschnecken vollständig aufzulösen. An manchen Orten kommen Organismen offenbar besser mit der Säure zurecht. An einem Unterwasser-Vulkan oberhalb des Marianen-Grabens im Pazifik machten Wissenschaftler jüngst eine erstaunliche Entdeckung.

Unmittelbar neben Fontänen aus sauren Gasen siedeln üppige Muschelkolonien, berichtet Verena Tunnicliffe von der University of Victoria in Kanada nun im Fachblatt Nature Geoscience (online). Die Schalen der Tiere seien zwar dünner als anderswo.

Doch die Widerstandsfähigkeit der Muscheln sei "bemerkenswert", schreibt Tunnicliffe. Eine Studie aus dem vergangenen Jahr, wonach manche Kalk-Organismen sogar von der Versauerung profitieren, indem sie ihre Kalkproduktion erhöhen, hat indes Kritik von Meereskundlern auf sich gezogen.

"Sie beruht möglicherweise auf einer Missinterpretation der Daten", meint Ulf Riebesell vom Leibniz-Institut für Meereswissenschaften in Kiel. Die erhöhte Energie zum Kalkaufbau müssten die Organismen an anderer Stelle einsparen, betont Riebesell.

Wie die Meereswelt auf die Versauerung reagieren werde, sei im Einzelnen ungewiss, sagt Sam Dupont von der Universität Göteburg. Selbst verwandte Arten reagierten unterschiedlich auf einen höheren Säuregehalt, berichtet er.

Auch Zeugnisse der Erdgeschichte geben Forschern Rätsel auf. Ausgerechnet im Erdzeitalter, als die Erde ein "Super-Treibhaus" war - die Luft enthielt deutlich mehr CO2 als heute -, schienen sich Kalk-Organismen in den Meeren besonders wohl gefühlt zu haben. Mächtige Kreide-Ablagerungen wie die Klippen von Dover und die Rügener Kreidefelsen bezeugen die Blüte der Kalk-Formen während der Kreidezeit vor mehr als 65Millionen Jahren.

Doch damals hätten Lebewesen genügend Zeit gehabt, sich an die extreme Umwelt anzupassen, gibt Matthias Hoffmann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung zu bedenken. Heute ginge die Versauerung jedoch "zu schnell" vonstatten.

Das Klima der Kreidezeit entschärfte das Säureproblem zusätzlich. Die Ozeane waren seinerzeit wärmer als heute. Bei höheren Temperaturen fällt mehr Kalk aus, was Organismen die Aufnahme der Substanz erleichtert. Kaltes Wasser löst mehr CO2 als warmes Wasser. Aus diesem Grund, resümiert Jelle Bijma, würden die Folgen der Ozean-Versauerung in den Polarregionen dramatischer ausfallen als in den Tropen.

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Quelle:
SZ vom 23.04.2009/gal
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