Gefährdete Ureinwohner Paraguays:Forscher als Eindringlinge

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Britische Botaniker planen eine Expedition in den Gran Chaco, eine nahezu unerforschte Region im Norden Paraguays. Doch das gefährdet womöglich isoliert lebende Ureinwohner.

Marlene Weiss

Für Forscher ist der Norden Paraguays ein Paradies. Die artenreichen Trockenwälder und Dornbuschsavannen des Gran Chaco sind nahezu unerforscht. Das Londoner Natural History Museum verspricht sich daher viel von der Expedition, zu der es kommende Woche 21 Wissenschaftler entsendet, um die Flora und Fauna der Region zu dokumentieren.

Insgesamt leben heute etwa 2600 Ayoreo-Indianer in Paraguay, 3000 weitere in Bolivien. Einige hatten bis heute keinen oder kaum Kontakt zur Außenwelt. (Foto: AFP)

Aber das Projekt ist umstritten, denn im Chaco leben einige der letzten unkontaktierten Indianerstämme der Erde.

"Die Botaniker sehen oft nur den ökologischen Reichtum dieser Gegend", sagt Jonathan Mazower, Experte für die paraguyanischen Ayoreo-Gruppen der Non-Profit-Organisation Survival International, die sich für den Schutz indigener Völker einsetzt. "Sie vergessen, dass der Chaco auch die Heimat mancher Leute ist."

Mazower warnt vor den Gefahren, sollten die Wissenschaftler auf Ayoreo-Gruppen stoßen, die noch keinen Kontakt mit der Außenwelt hatten. Eine solche Begegnung wäre für beide Seiten riskant. Mazower vermutet, dass die Ureinwohner des Chaco sich gegen die Eindringlinge gewaltsam wehren würden.

Für die Ayoreo wäre auch ein gewaltfreier Kontakt gefährlich, denn sie haben keine Immunabwehr gegen die Krankheitskeime aus der Zivilisation. Beim Kontakt mit der Außenwelt sterben Ureinwohner daher oft an einfachen Krankheiten.

Zuletzt verließ im Jahr 2004 eine Gruppe von 17 Ayoreo-Nomaden freiwillig den Wald. Viele von ihnen litten heute an Atemwegserkrankungen, einige seien an Tuberkulose gestorben, sagt Mazower: "Das ist kein eingebildetes Problem. Man sollte da wegbleiben." Survival International fordert daher, die Expedition auf den gänzlich unbewohnten Teil des Chaco zu verlegen.

Insgesamt leben heute etwa 2600 Ayoreo-Indianer in Paraguay, 3000 weitere in Bolivien. Seit den 50er Jahren haben sich die meisten von ihnen freiwillig oder unfreiwillig in festen Siedlungen niedergelassen. Die Anzahl der verbliebenen nicht-kontaktierten Ayoreo-Nomaden im Chaco wird auf 100 bis 200 geschätzt. Wo sich diese Gruppen aufhalten, schließen Beobachter indirekt aus den Spuren, die siehinterlassen, darunter Fußabdrücke, Wasserreservoire in Bäumen und Stellen, an denen Honig gesammelt wurde.

Richard Lane, wissenschaftlicher Direktor des National History Museum, verteidigt die Expedition. "In abgelegenen Gegenden wie dieser ist es entscheidend, Veränderungen in Flora und Fauna beobachten zu können", sagt er. Die gewonnene Information werde allen zugänglich sein, auch lokalen Gruppen. "Sie wird helfen, die fragilen Habitate der Ureinwohner zu verwalten, und sie für künftige Generationen zu schützen."

Den nicht-kontaktierten Völkern räumt er das Recht ein, unkontaktiert zu bleiben. "Wir haben viel Rat eingeholt, um das Risiko unangemessenen Kontaktes zu minimieren", sagt Lane. Ein Ältester der Ayoreo sowie weitere Vertreter der Ureinwohner werden an der vierwöchigen Expedition teilnehmen, insgesamt sind rund 40 Paraguayer beteiligt.

Wissenschaftliche Expeditionen sind indes nicht das einzige Problem der Nomaden. Legale und illegale Rodungen, insbesondere durch Viehzüchter, lassen ihren Lebensraum rapide schrumpfen. Das mache die Situation umso angespannter, sagt Alejandro Parellada von der Internationalen Arbeitsgruppe für indigene Angelegenheiten IWGIA, die die Ayoreo beobachtet und unterstützt: "Sie haben Angst, und sie können nirgendwo mehr hin."

© SZ vom 11.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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