Fußballfans in Gefahr:Anpfiff zur Herzattacke

Wenn im Juni die EM beginnt, sind Männerherzen wieder in Gefahr. Das zeigt die Erfahrung mit der WM 2006: Bei wichtigen Spielen steigt die Zahl schwerer Herzprobleme unter Zuschauern dramatisch.

Christina Berndt

Wenn Opa das Elfmeterschießen nur überlebt! Diese Sorgen werden sich mehrere Familie wieder machen, sobald im Juni die Fußball-Europameisterschaft beginnt.

Fußballfans in Gefahr: WM 2006: Tore wie dieses - Sie erinnern sich? - bringen manche Herzen aus dem Takt.

WM 2006: Tore wie dieses - Sie erinnern sich? - bringen manche Herzen aus dem Takt.

(Foto: Foto: dpa)

Und sie sind berechtigt: Bei wichtigen Spielen steigt die Zahl schwerer Herzprobleme unter Zuschauern dramatisch an, berichten Mediziner vom Münchner Universitätsklinikum Großhadern im Fachblatt New England Journal of Medicine.

Sie haben die Einsatzprotokolle von 24 Notarztstationen im Großraum München während der Fußball-WM 2006 analysiert und mit weniger aufregenden Zeiträumen vor und nach der WM verglichen. Ihr Fazit: Die Spiele waren Gift für die Zuschauerherzen.

Wenn Klinsmanns Elf kickte, erlitten die Fans - selbst daheim vor dem Fernseher - erheblich häufiger Herzinfarkte und Rhythmusstörungen als in Fußball-abstinenten Zeiten: 3,3-mal so viele Männer und immerhin auch 1,8-mal so viele Frauen riefen den Notarzt und kamen daraufhin in eine Klinik.

"Die Daten zeigen in beeindruckender Weise, dass emotionaler Stress Herzprobleme auslösen kann", sagt Ute Wilbert-Lampen, Erstautorin der Studie.

Erstaunlicherweise kam es gar nicht so sehr darauf an, ob die deutsche Mannschaft gewann oder verlor. "Wichtig schien vielmehr die Intensität der Aufregung zu sein."

Herzattacken vor, während und nach dem Spiel

So waren die Zuschauer zwar in den zwei Stunden nach dem Anpfiff besonders gefährdet. Aber auch vor dem Spiel hatten die Notärzte bereits verstärkt zu tun - und noch Stunden später: "Offenbar wollten viele Patienten erst die Partie zu Ende sehen, bevor sie einen Arzt riefen", vermutet Wilbert-Lampen.

Die Herzattacken zeigten sich bei fast allen Spielen der Deutschen - nur das Match gegen Portugal um den dritten Platz war den Zuschauern offenbar egal.

Am meisten Herzblut kosteten das dramatische Viertelfinale gegen Argentinien, das erst im Elfmeterschießen entschieden wurde, und der Halbfinal-Krimi gegen Italien.

Aber auch die beiden ersten Gruppenspiele machten schon viele Herzen nicht mehr mit - vor allem die Partie gegen Polen, als das entscheidende Tor erst in der letzten Minute fiel.

"Gefährdet sind vor allem jene Patienten, die schon unter koronarer Herzkrankheit leiden", sagt Wilbert-Lampen. Für ihre Herzen war das Risiko während der WM viermal so hoch wie in "normalen" Zeiten. Die Kardiologin nimmt an, dass die ausgeschütteten Stresshormone direkt die Gefäße angriffen.

"Auf akuten Stress folgen zahlreiche physiologische Reaktionen, die das Herz belasten", bestätigt Christoph Herrmann-Lingen, Psychokardiologe an der Uni Göttingen.

Vermehrte Herzprobleme seien auch schon unter New Yorkern nach dem 11.September oder in Kalifornien nach einem großen Erdbeben beobachtet worden. Auch bei chronischen Herzproblemen sei Stress ein wichtiger Faktor, er schade sogar mehr als hoher Blutdruck.

Vor der EM im Sommer empfehlen die Münchner Kardiologen vor allem Menschen mit vorbelasteten Herzen einen Gesundheits-Check: Der Arzt solle testen, ob ihre Medikamente noch die richtigen sind. Außer Arzneien könnten aber auch psychologische Strategien helfen, die spannenden Zeiten im Fernsehsessel zu überleben.

Darauf setzt auch die Techniker Krankenkasse, die ihren Mitgliedern empfiehlt, vorm Fernseher mal "Dampf abzulassen, indem man mit der Faust auf den Tisch schlägt". Auch nütze es, "sich mit gezielten anderen Aktivitäten abzulenken, auf die man sich vollständig konzentriert. Etwa in der Halbzeitpause den Grill anzünden."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: