Fußball und Zufall:Zerstörte Bundesliga-Mythen

Besonders gut spielt es sich im eigenen Stadion und vier Siege in Folge lässt die Spieler auf einer Welle des Erfolges schwimmen - denken viele Fans. Doch die Wahrheit sieht anders aus, sagen zwei deutsche Wissenschaftler.

Frank Grotelüschen

Manche Bundesliga-Teams gelten als ausgesprochen heimstark. Andere erleben gerade eine Siegesserie und sind dadurch offenbar unschlagbar. Und am Ende der Saison wird die beste Mannschaft Deutscher Meister.

Fußball und Zufall: War der Erfolg des VfB Stuttgart in der Saison 2006/2007 etwa nur ein Zufall?

War der Erfolg des VfB Stuttgart in der Saison 2006/2007 etwa nur ein Zufall?

(Foto: Foto: dpa)

Unsinn - sagen zwei Physiker, nachdem sie das Bundesliga-Geschehen mit den Methoden der Mathematik analysiert haben. Behalten sie Recht, müssen sich Fußball-Fans von einigen lieb gewonnenen Mythen verabschieden. Ihre Resultate haben die Forscher auf der Jahrestagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft in der vergangenen Woche in Berlin vorgestellt.

Heimstark? Bei diesem Wort kann Andreas Heuer nur milde lächeln. Mit den unbestechlichen Methoden der Statistik hat der Physiker der Universität Münster sämtliche Spiele der Bundesliga seit ihren Anfangstagen durchforstet - insgesamt mehr als 12.000 Begegnungen. Was er tatsächlich gefunden hat, ist der Heimvorteil.

In Zahlen: Im eigenen Stadion schießt jedes Team der Bundesliga im Schnitt 0,7 Tore mehr als auswärts. Aber um in der Liga als "heimstark" aufzufallen, müsste das Team zu Hause noch besser sein als dieser Durchschnitt und beispielsweise 1,2 Tore mehr schießen als in fremden Stadien.

Nach eben solchen Beweisen für die Heimstärke fahndete Heuer in seinen Zahlenkolonnen. "Aber die gibt es nicht", sagt der Physiker. "De facto haben alle Teams der Liga den gleichen Heimvorteil."

Egal, ob Spitzenteam oder Abstiegskandidat, ob viele Zuschauer oder wenige - statistisch gesehen ist der Heimvorteil bei allen Vereinen gleich groß. Keiner zeichnet sich, zumindest über einen Zeitraum von einer Saison oder länger, als besonders heimstark aus, sagen die Zahlen aus gut 40 Jahren Bundesligageschichte.

Tipps für Trainer

Als eine mathematische Mär erweist sich auch der Begriff der Siegesserie. Gerne sprechen Fans und Sportreporter davon, dass ein Team nach vier Siegen auch das folgende Match mit hoher Wahrscheinlichkeit gewinnt. Schließlich schwimmt es auf einer Welle des Erfolges. Die Spieler traben mit breiter Brust auf den Platz - die Mannschaft hat einen Lauf.

Doch die Statistik widerspricht: Kein Verein eilt von Sieg zu Sieg und wird dabei immer stärker. "Es hat sich sogar gezeigt, dass ein Team im Schnitt nach vier gewonnenen Begegnungen schlechter spielt, als es seiner eigentlichen Leistungsfähigkeit entspricht", erklärt Heuer.

Diese Normalform hat der Physiker als mehrjähriges Mittel über die Platzierung am Saisonende berechnet. "Nach den Siegen braucht das Team ein paar Spieltage, bis es auch nur sein normales Niveau wieder erreicht hat."

Wie lässt sich das erklären? Da kann der Statistik-Experte Andreas Heuer nur spekulieren - so wie es Fußball-Fans tun. "Vielleicht ist es Übermut. Und vielleicht ist der jeweilige Gegner immer dann besonders motiviert, wenn er gegen eine Mannschaft antritt, die gerade eine Siegesserie hingelegt hat."

Die Erkenntnis ist jedenfalls für die Trainer der Bundesliga relevant: Der Coach sollte seine siegreichen Schützlinge noch stärker als bislang davor warnen, kommende Gegner auf die leichte Schulter zu nehmen. Den Fluch, den man gemeinhin mit einer Negativserie assoziiert, konnte Heuer durchaus in seinen Daten aufspüren: "Teams, die ein paar Mal in Folge verloren haben, spielen im Mittel tatsächlich schlechter, als es ihrer Leistungsfähigkeit entspricht."

Zerstörte Bundesliga-Mythen

Doch nicht nur Psychologie und Spielvermögen scheinen über Meisterschaft und Abstieg zu entscheiden, sondern auch der pure Zufall, sagt Metin Tolan, Physikprofessor an der Universität Dortmund.

Um den Stellenwert von Glück und Pech auszuloten, hat er 18 exakt gleichstarke Teams im Computer antreten und eine komplette Saison spielen lassen - sogar mehrmals hintereinander. Jeder Verein hatte dabei mathematisch exakt dieselbe Wahrscheinlichkeit, gegen ein anderes Team zu gewinnen oder zu verlieren.

30 Punkte nur durch Glück

Rein intuitiv wäre bei dieser Konstellation zu erwarten, dass am Ende der Spielzeit sämtliche Mannschaften die gleiche Punktzahl haben, schließlich sind alle gleich stark. Aber: "Bei jeder Simulation gab es eine erste Mannschaft, die ungefähr 64 bis 65 Punkte hatte", sagt Tolan. "Und der Tabellenletzte landete stets bei 34 bis 35 Punkten - ein überraschendes Ergebnis." Demnach wären 30 Punkte Abstand zwischen dem Ersten und dem Letzten allein dem Zufall zu verdanken, unverdienten Niederlagen oder glücklichen 1:0-Siegen.

Dass neben dem Zufall auch Können im Spiel ist, zeigen die Tabellen der vergangenen Jahre. In der Bundesliga hatte der Meister am Ende meist mindestens 70 Punkte; der Letzte lag unter 30. Nur so ist angesichts einer Tabellen-Lotterie zu erklären, dass Teams wie Bayern München und Werder Bremen sich über Jahre oder gar Jahrzehnte an der Spitze halten können.

"Das ist kein natürlich kein Zufall", sagt Tolan. "Diese Mannschaften müssen offenbar viel besser sein als alle anderen, um sich immer wieder aus dem Sumpf des Zufalls herausziehen zu können. Teams wie Bayern und Werder müssen also über die letzten Jahre vieles richtig gemacht haben."

Dennoch: "Durch die hohe Zufallskomponente bleibt der Fußball immer interessant", konstatiert der bekennende Dortmund-Fan Tolan. "Dass eine Mannschaft wie Bochum in einer Saison im Uefa-Cup spielt und in der folgenden Saison absteigt, ist völlig normal."

Und ab und zu können dann dank König Zufall selbst Vereine Deutscher Meister werden, die nicht zu den leistungsstärksten der Liga zählen. Damit ließe sich auch - rein mathematisch natürlich - der Erfolg des VfB Stuttgart in der Saison 2006/2007 erklären. Zurzeit belegt Stuttgart den mittelmäßigen Platz neun.

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