Süddeutsche Zeitung

Furcht vor der Seuchen:Angst und Bange

Pest, Sars, BSE, Schweinegrippe: Seit jeher her fürchten Menschen Epidemien - doch die Dramatik heutiger Krankheiten wird nach Meinung von Experten oftmals "grotesk übersteigert".

C. Frank

Es war schon immer so, seit Jahrhunderten, beim Ausbruch der Pest im Mittelalter genau wie beim Ausbruch der Schweinegrippe im 21. Jahrhundert: "Die Kunde über Seuchen breitet sich immer schneller aus als die Seuche selbst", sagt Cornelius Borck, Direktor am Lübecker Institut für Medizingeschichte.

Schon im Mittelalter hätten sich Städte auf bloßes Hörensagen hin von der Pest abgeschottet und so Schlimmeres verhindert. Im Zeitalter moderner Kommunikationsmedien, sagt Borck, "eilt die Diskussion der Wirklichkeit noch schneller voraus". Manchmal sogar so schnell, dass die Wirklichkeit oder Teile von ihr dabei auf der Strecke bleiben.

In den vergangenen Jahren haben sich Epidemien oft längst nicht als so katastrophal erwiesen wie sie zuvor ausgemalt wurden. "Die Dramatik wird teilweise in der Öffentlichkeit grotesk übersteigert", sagt Susanne Glasmacher vom Robert-Koch-Institut in Berlin. Das fing Ende der neunziger Jahre mit der "Rinderwahnsinn" genannten BSE-Epidemie an: "Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass der Verzehr von Rindfleisch unproblematisch ist, solange man kein Risikogewebe und kein Gehirn isst", sagt Glasmacher, "aber fast niemand wollte das wissenschaftliche Urteil hören, das Wort Rindfleisch löste regelrecht Panik aus".

Überheizte Diskussionen

Bis zum heutigen Tag ist in Deutschland kein einziger Fall bekannt, bei dem sich BSE - dann "Creuzfeldt-Jakob-Krankheit" genannt - auf den Menschen übertragen hat. Selbst die Kühe haben sich erholt: Nach Informationen des Friedrich-Löffler-Instituts mussten 2001 in Deutschland noch 125 Rinder mit BSE-Verdacht gekeult werden. In diesem Jahr waren es bislang zwei.

Als "noch so ein überheiztes Thema" beschreibt Glasmacher die durch das H5N1-Virus verursachte "Vogelgrippe". In der Fachwelt war die Krankheit schon lange ernsthaft diskutiert worden, bevor 2005 auf Rügen die ersten toten Schwäne gefunden wurden. Da erst geriet die Diskussion außer Kontrolle.

Immer wieder betonten Wissenschaftler, eine Übertragung des Virus auf den Menschen sei nur bei engstem Kontakt zum Vogel möglich - wie bei den drei Kindern in der Türkei, die mit den Köpfen toter Hühner spielten und später an der Vogelgrippe starben. Dennoch, und obwohl außer in der Türkei in ganz Europa bis zum heutigen Tag kein Mensch am H5N1-Virus gestorben ist, herrschte in Deutschland regelrechte Panik vor der Pandemie.

Inzwischen ist die Vogelgrippe allerdings sogar in der Tierwelt weitgehend eingedämmt: In diesem Jahr gab es laut Friedrich-Löffler-Institut nur einen einzigen möglichen Fall, in Bayern.

Eine andere Liga

Ebenfalls für Aufregung sorgte in den vergangenen Jahren die Lungenkrankheit Sars. Im Jahr 2003 hielt die Infektion einen Sommer lang die Welt in Atem. "Sars spielte schon in einer ganz anderen Liga als Vogelgrippe und BSE", sagt Susanne Glasmacher.

Den internationalen Fluglinien folgend breitete sich die Krankheit über den Globus aus. Laut Weltgesundheitsorganisation steckten sich mehr als 8000 Menschen in 29 Ländern an, 778 starben. Am härtesten traf es China mit mehr als 5000 Fällen und 349 Toten. In Deutschland gab es neun Erkrankte, alle hatten sich im Ausland infiziert, alle überlebten. Durch ihre Isolation und durch umfangreiche Schutzmaßnahmen gelang es, Sars in Deutschland schnell einzudämmen. "Da haben wir Glück gehabt, die Krankheit hatte das Potential, viel mehr Unheil anzurichten, denn im Gegensatz etwa zur Vogelgrippe ist sie von Mensch zu Mensch übertragbar", sagt Glasmacher.

Das Gleiche gilt für die Schweinegrippe - auch deshalb warnt das Robert-Koch-Institut so eindringlich vor der Krankheit. "Das Potential für eine schwere Welle ist da, weltweit sind schon mehr als 1000 Menschen gestorben", sagt Glasmacher. In Deutschland wurden bislang 16835 Infizierte gezählt, gestorben ist noch niemand an der Schweinegrippe.

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SZ vom 07.09.2009/segi/jb
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