Fremdenfeindlichkeit:"Die klassische Sündenbockfunktion"

"Je niedriger das Einkommen, desto höher die Vorurteile", weiß Beate Küpper aus eigenen Studien. "Allerdings geht es nicht um reale Konkurrenz, sondern vor allem um eine eingebildete: 'Die nehmen uns die Arbeitsplätze weg, die Wohnungen, die Frauen ...' Dabei gibt es diese Konkurrenz in der Realität so gut wie nicht."

Ich frage ich mich, wieso es dann vor allem Vertreter der Mittelschicht sind, die sich für die Thesen Thilo Sarrazins begeistern. Sollte seine Warnung vor der angeblichen Bedrohung Deutschlands durch die Muslime nicht eher die sozialen Randgruppen ansprechen, die Hartz-IV-Empfänger? Doch bevor ich meine Einwände aussprechen kann, klärt mich die Sozialpsychologin auf: "Gerade bei der Islamfeindlichkeit gab es von 2009 auf 2010 einen Anstieg bei jenen, denen es eigentlich gutgeht. Die haben während der Finanzkrise bemerkt, dass auch sie bedroht sein können."

Allerdings versuchen sie nun nicht, sich gegen die Banker zu wehren. Banker, dabei denkt man an die Ackermänner, Koppers und ihre Peanuts, an Menschen, die mit riesigen Geldmengen jonglieren, die an den Schalthebeln der Macht über die Normalsterblichen sitzen, schon weil sie mir meine Kredite kürzen können. Stattdessen suchen sich die verängstigten Bürger eine Gruppe, in die ein Bedrohungspotential projiziert werden kann. Dabei weiß jeder, dass Muslime nichts mit schrumpfenden Aktienpaketen zu tun haben.

Es geht darum, dass man sich gegen diese schwächere Gruppe tatsächlich wehren zu können glaubt. Sie erfüllt die klassische Sündenbockfunktion. "Und wenn eine Gruppe erst mal als bedrohlich wahrgenommen wird, werden wir anfällig dafür, ihr weitere schlechte Eigenschaften zuzuschreiben", sagt Pädagogin Lin-Klitzing. "Es ist also nicht einfach nur die Ethnie oder die Religion allein, die eine Rolle bei Konflikten spielen. Die entsprechenden Begleitumstände sind äußerst wichtig."

Lin-Klitzing weist mich auf einen weiteren bedeutsamen Faktor hin: "Vorurteile kann man für die eigenen Interessen ausnutzen. Sie lassen sich radikalisieren, bis Feindbilder entstehen."

Schließlich, fügt Beate Küpper hinzu, "geht es auch ganz stark um Macht". Mit den Muslimen zum Beispiel gebe es gegenwärtig eine Gruppe, der gegenüber sich auch der kleine Mann groß fühlen kann. "Menschen, die als fremd und anders, sogar als minderwertig dargestellt und wahrgenommen werden, denen gegenüber kann man sich überlegen, mächtiger, besser fühlen - auch wenn man selbst am untersten Ende der sozialen Leiter steht." Diese Tatsache, und die Angst, die sich schüren lässt, wissen Populisten zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen.

Teil des Problems ist, dass wir auch selbst das Bedürfnis verspüren, Gruppen zuzugehören. "Das gehört offenbar zu unserer menschlichen Identität", erklärt Lin-Klitzing. "Zu einer Gruppe zu gehören, deren Mitglieder Sie anerkennen, stärkt Ihr Selbstwertgefühl." Je nachdem, welche Identität, welches Bild von mir selbst und anderen ich also entwickle, schließe ich mich bestimmten Gruppen an.

Und gerade wenn Teile der Gesellschaft meine Eigenschaften und Vorlieben nicht teilen, sondern ablehnen und mich nicht als vollwertiges Mitglied akzeptieren, wächst die Tendenz verständlicherweise noch, mich mit ähnlichen Menschen zusammenzuschließen. Kein Wunder also, wenn manche Ausländer in Deutschland noch immer dazu neigen, unter sich zu bleiben.

Steigt aber mein Selbstwertgefühl, weil ich einer Gruppe angehöre, dann liegt es nahe, dass es weiter zunimmt, wenn ich meine Gruppe als anderen Gruppen überlegen betrachte. Überlegenheit, so hat mir Beate Küpper erklärt, gewinne ich auch dadurch, dass ich die anderen schlechtmache. Von hier ausgehend kann ich mir die weitere Eskalation gut vorstellen: Sind die Gruppen groß und werden die Eigenschaften der anderen als schlecht und gefährlich genug wahrgenommen, kann es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommen, zu Kriegen, Bürgerkriegen, Terroranschlägen.

Aber gibt es nicht noch eine tiefere Ebene, auf der sich erklären lässt, wieso wir zu Vorurteilen neigen, uns gerne zusammenrotten und uns von anderen abgrenzen? Wieso schon ein Kleidungsstück wie die Burka bei mir dieses Unbehagen hervorruft? Aus welchen Gründen hat der Trockennasenaffe Mensch aus der Ordnung der Primaten dieses Verhalten im evolutionären Prozess entwickelt, das so häufig in Leid und Gewalt mündet? Mit solchen Fragen beschäftigt sich die Soziobiologie. Ich wende mich deshalb an Eckart Voland.

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