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Ökologie:Wer die Wissenschaft ignoriert, ist kein guter Freiheitskämpfer

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Natürlich kann man Tempolimit, CO₂-Steuer oder Fleischverzicht als Politiker doof finden. Aber dann ignoriert man die evidenzbasierte Forschung.

Kommentar von Felix Hütten

Es ist ein wirklich schmerzhaftes Verhältnis, das manche Politiker zum Freiheitsbegriff pflegen. Freiheit, was genau ist das eigentlich? Die Möglichkeit, oder gar das Recht, mit 190 Stundenkilometern auf der Autobahn zu rasen - auch, wenn man damit das Leben anderer Menschen gefährdet? Ist Freiheit das Recht, die Erde zu zerstören, weil niemand das Recht hat, dies zu verbieten?

Immer wieder spricht sich etwa Christian Linder, Chef der selbsternannten Freiheitspartei FDP, gegen allerlei mögliche Verbote aus (beim Fleischkonsum, Vielfliegen oder Autobahnrasen), die politische Konkurrenten angeblich oder tatsächlich fordern. Auch Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) hofft auf freiwillige Bemühungen der Lebensmittelindustrie, Zucker und Salz in ihren Produkten zu reduzieren. Für den eigenen politischen Erfolg mag es durchaus Sinn ergeben, Verbote als große Freiheitsbremsen zu verunglimpfen, die man sicher bei der politischen Konkurrenz bekommt - also bitte die nicht wählen!

Wer die Erkenntnisse der Wissenschaft ignoriert, kämpft nicht wirklich für Freiheit

Erschütternd an diesem auf das Ich und Jetzt und Hier reduzierten Freiheitsbegriff ist die Tatsache, dass dahinter eine fundamentale Ignoranz evidenzbasierter Forschung steckt. Man könnte, zugegeben etwas überspitzt, sogar von Wissenschaftsfeindlichkeit sprechen.

Beispiel Fleischkonsum: Es gibt keinerlei Zweifel daran, welche massiven Auswirkungen der globale Hunger nach Rinderfilets und Hühnerbrust auf die Umwelt hat. In zahlreichen Publikationen warnen Wissenschaftler vor den fatalen Folgen der Massentierhaltung für Böden, Insekten, Luft - ja letztlich für den Menschen.

Oder Beispiel Zucker: Seit vielen Jahren publizieren namhafte medizinische Fachzeitschriften Studien zu den gefährlichen Auswirkungen des übermäßigen Konsums von hochkalorischen Lebensmitteln. Es gibt keinen Zweifel: Zu viel Zucker kann krank machen!

Die Wissenschaft leistet sogar weitere Dienste für die Politik und untersucht die Wirkung konkreter Maßnahmen. Die Publikationen zeigen im Grunde alle: Freiwilligkeit bringt nicht viel. Egal, ob bei der Ernährung oder beim Klimaschutz, ein bisschen Zwang für Industrie oder Kunden muss leider sein.

Wer also Freiheit will, zum Beispiel in Form einer gesunden Erde, die auch noch für die eigenen Kinder Platz für ein gutes Leben bietet, sollte akzeptieren, dass manchmal nur strenge Regeln helfen. Dass eben manchmal die Einschränkung der persönlichen Freiheit eine globale und nachhaltige Freiheit bedeuten kann. Wer hingegen die Erkenntnisse der Wissenschaft ignoriert, kämpft nicht wirklich für Freiheit, sondern eher für seinen persönlichen, aber vorübergehenden Vorteil.

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Quelle:
SZ vom 15.06.2019
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