Das erste Rendezvous mit ihrem niedlichen Freund hat Franziska Tanneberger im Jahr 2000, in Belarus. Er ist klein, gestreift, und er liebt Moore: der Seggenrohrsänger. Die Liebe zum Moor teilen beide, nur ist der kleine Vogel zu diesem Zeitpunkt schon vom Aussterben bedroht, wie auch sein ganzes Habitat. Tanneberger wiederum ist noch Studentin in Greifswald, ihre Liebe zum Moor ist noch jung. Aber sie wurzelt tief.
So tief, dass sie später über den Seggenrohrsänger und seine Heimat promovieren wird. Sie wird bei verschiedenen Naturschutzprojekten arbeiten und schließlich als Mitarbeiterin an der Uni Greifswald landen. 2015 übernimmt sie die Leitung des Greifswald-Moor-Centrum und wird zu einer der profiliertesten Streiterinnen für den Lebensraum Moor. Und in diesem Oktober soll sie, wie nun bekannt wurde, aus den Händen des Bundespräsidenten dafür den Deutschen Umweltpreis erhalten – für ihre „herausragende wissenschaftliche Arbeit über die Rolle der Moore beim Schutz von Klima und Biodiversität“, wie es bei der Deutschen Bundesstiftung Umwelt heißt. Diese vergibt den Preis.
Tannebergers Leidenschaft hat viel mit zwei früheren Preisträgern zu tun, den Greifswalder Moorforschern Michael Succow und Hans Joosten. Mit Succow etwa war sie einst in den riesigen Mooren Westsibiriens unterwegs. „Dort habe ich mich in Moore verliebt“, sagt sie. Dazu kam die Begegnung mit dem bedrohten Seggenrohrsänger. Fasziniert habe sie dieser Vogel. „Aber einfach nur zuzuschauen, wie eine Vogelart verschwindet, das war nicht meine Vorstellung.“
In Deutschland werden 90 Prozent der Moore landwirtschaftlich genutzt
Doch der Kampf für den Lebensraum Moor ist ein zähes Geschäft. In Deutschland etwa werden 90 Prozent der Moore für die Landwirtschaft genutzt. Sie wurden mühsam entwässert und dienen nun meist als Weide-, manchmal als Ackerland. Lange galt es als zivilisatorische Leistung, das Moorland so nutzbar gemacht zu haben. Dass damit auch ein Lebensraum und dessen Artenreichtum verschwanden, zählte weniger. Und schon gar nicht, dass dadurch aus einem Speicher für klimaschädliche Treibhausgase eine Quelle dafür wurde. Erst langsam setzen sich derlei Einsichten durch. Die Lage, sagt Tanneberger, habe sich hierzulande etwas gebessert. „Aber viel schlechter ging ja auch kaum noch.“
Tanneberger, 46, aufgewachsen im Ost-Berliner Stadtteil Pankow und Mutter von zwei Kindern, verfolgt keine romantische Idee vom Moor. Sie sucht nach dem Ausgleich der Interessen, auch ihre Habilitation im vorigen Jahr widmete sich dieser Frage. „Wildnis allein wird die Moore nicht retten“, sagt sie. „Wir müssen zeigen, wie eine landwirtschaftliche Nutzung auch auf nassen Böden möglich ist.“ Dem Artenreichtum im Moor könne es sogar dienen, wenn Wiesen dort regelmäßig geschnitten werden.
Bei Greifswald gibt es ein Tiny House ganz aus Moorpflanzen
Wie so eine Bewirtschaftung aussehen kann, erprobt ihr Moorzentrum nicht weit von Greifswald. Ein mobiles Tiny House entstand – mit Baustoffen, die aus Moorpflanzen gewonnen wurden. All das soll beweisen, was sich aus Mooren gewinnen lässt, ohne sie zu entwässern. Überhaupt sieht Tanneberger den Preis auch als Anerkennung für ihre Greifswalder Kolleginnen und Kollegen. „Das ist mir wichtig“, sagt sie. „Alle dort sind mit Leidenschaft und aus Überzeugung dabei.“
In Deutschland haben die Greifswalder mittlerweile schon eine Menge erreicht. Der Bund hat ein „Aktionsprogramm natürlicher Klimaschutz“ aufgelegt, es lenkt in den nächsten Jahren viele Hundert Millionen Euro auch in die Wiedervernässung von Mooren. Für den Seggenrohrsänger allerdings kommt die Hilfe zu spät, jedenfalls in Deutschland. Seit diesem Jahr gilt er hier offiziell als ausgestorben. Der Kampf für seinen Lebensraum aber gehe weiter, sagt Tanneberger, auch international. Weltweit gehe Jahr für Jahr noch Moorland verloren. „Da bleibt noch sehr, sehr viel zu tun.“