Ein aktueller Bericht zu zwei Tauchern, die am australischen Great Barrier Reef 19 Stunden lang NICHT von Haien gefressen wurden, macht vor allem eines deutlich: Die Schere zwischen unserer subjektiven Angst vor manchen Tieren und dem realen Risiko, das von diesen ausgeht, ist riesig.
Zwar "wimmeln" im Wasser vor der australischen Küste sicher mehr Haie als in manchen anderen Gewässern. Im Vergleich zur Nord- oder Ostsee begegnen Surfer und Schwimmer den Raubfischen deshalb natürlich auch häufiger. Aber man muss das schon in der richtigen Relation sehen: Weltweit gibt es jedes Jahr bis zu 80 Haiangriffe auf Menschen, von denen fünf bis 15 tödlich ausgehen.
Die Meldung, dass die zwei Taucher im gleichen Zeitraum keine Opfer von Seeschlangen geworden sind, hätte es vermutlich nicht in die internationalen Medien geschafft. Von diesen hochgiftigen Tieren aber gibt es ebenfalls etliche Arten am Great Barrier Reef - und nach Schlangenbissen sterben in Australien insgesamt jedes Jahr vier bis fünf Menschen. Damit ist die Gefahr, in Australien Opfer einer Schlange zu werden, nicht geringer als die, von einem Hai getötet zu werden.
Doch die großen Raubfische, insbesondere der Weiße Hai, haben einen ganz miesen Ruf. Und dafür gibt es vermutlich drei Ursachen. Zum einen sieht dieser Fisch mit seinen kalten Augen und dem riesigen Gebiss wirklich zum Fürchten aus, schleicht sich auch noch lautlos von unten an den Schwimmer heran oder löst mit seiner deutlich sichtbaren Rückenflosse Panik aus.
Zum Zweiten gibt es natürlich den Film "Der Weiße Hai".
Zum Dritten gibt es die Berichte, dass nach Schiffsuntergängen Haie die Überlebenden angegriffen hätten. So trieben nach dem Untergang des amerikanischen Kriegsschiffs U.S.S. Indianapolis 1945 etwa 900 Schiffbrüchige im Pazifik. Als nach vier Tagen endlich Rettung kam, hatten 316 überlebt, die von ständigen Haiangriffen berichteten.
Und zum Vierten weiß man inzwischen, dass gerade Surfer für manche Haie Ähnlichkeiten mit ihrer eigentlichen Beute aufweisen - mit Robben.
Bienen gefährlicher als Haie?
Eine gewisse Angst vor Haien zu haben, ist demnach berechtigt - für bestimmte Personen unter bestimmten Bedingungen. Aber betrachtet man die Häufigkeit, mit der Menschen ihnen zum Opfer fallen, dann sind die Tiere nicht die Killer, die wir in ihnen gerne sehen.
Tatsächlich stimmt die häufig aufgestellte Behauptung, dass mehr Menschen an Bienenstichen sterben als durch Haie. Allerdings tut man den Insekten Unrecht, wenn man sie als schlimmere Killer darstellt als die Meeresräuber. Bienen, Wespen und Hornissen stechen nur, wenn sie sich bedroht fühlen, und gefährdet sind vor allem Allergiker.
Erst ab 100 Stichen reicht die von Bienen injizierte Giftmenge aus, um einen gesunden Menschen in Lebensgefahr zu bringen. Und auch die Behauptung, drei Hornissenstiche töten einen Menschen, sieben ein Pferd, ist falsch. Hornissengift ist sogar noch weniger gefährlich als Bienengift. Lediglich wenn die Insekten im Mund- und Rachenraum zustechen, führt die Schwellung zur Lebensgefahr. Für Allergiker dagegen besteht wirklich Gefahr. Die Zahl der Todesopfer in dieser Risikogruppe geht weltweit jährlich in die Hunderte.
Ein anderes angsterregendes Tier ist der Tiger, der tatsächlich fünfmal häufiger Menschen tötet, als Haie es tun. Jedes Jahr sterben etwa 50 Personen in Indien, Bangladesch und Nepal durch die Raubkatzen. Und in Afrika soll die Zahl der Menschen, die von Löwen getötet werden ähnlich hoch sein. Doch auch das ist keine wirklich beeindruckende Zahl, wenn man sie ins Verhältnis mit anderen Todesursachen setzt.
Selbst Spinnen sind offenbar gefährlicher als Haie. Die Zahl der Opfer von Spinnenbissen liegt ähnlich hoch. Vor allem Wanderspinnen in Brasilien oder Witwenspinnen in Australien, Neuseeland, Nordamerika, aber auch Südeuropa und Nordafrika sind relativ gefährlich.
Gefährliche Riesen
Noch gefährlicher sind Nilpferde, die in Afrika sogar als gefährlichste Tierart überhaupt gelten. Die Hippos wirken zwar harmlos und behäbig, wenn sie mit ihren mehrere Tonnen schweren Körper ruhig im Wasser liegen. Doch sie sind leicht erregbar: Kommt ihnen zum Beispiel ein Boot zu nahe, können sie überraschend aggressiv und dank ihrer scharfen Eckzähne wirkungsvoll angreifen. Angeblich sterben jedes Jahr etwa 100 Menschen durch die Tiere.
Deshalb muss der Elefant als größerer Killer betrachtet werden, denn etwa 500 Menschen fallen den Dickhäutern jährlich zum Opfer. Diese Riesen, insbesondere die männlichen Tiere während der Brunftzeit, können sehr aufbrausend sein. Und wenn die bis zu fünf Tonnen schweren Tiere wütend werden, trampeln sie nieder, was ihnen unter die Füße kommt, schlagen mit dem Rüssel um sich und spießen sogar mit ihren Stoßzähnen auf.
Doch es gibt noch gefährlichere Tiere in freier Wildbahn. Krokodile und Alligatoren fallen zum Beispiel in Indien, Afrika, Australien, Süd- und Mittelamerika sowie in Florida immer wieder Menschen an. Mehrere hundert Tote jährlich gibt es dort, wo die Lebensräume des Homo sapiens und der Raubreptilien sich überschneiden. Manche Quellen gehen von mehr als 1000 menschlichen Opfern pro Jahr aus.
Erheblich kleiner, aber weitaus gefährlicher sind Skorpione, von denen unterschiedliche Arten vor allem in Mexiko und Brasilien sowie Nordafrika jährlich bis zu 5000 Todesopfer fordern. Das hängt vermutlich damit zusammen, dass die Tiere sich häufig dort verstecken, wo Menschen unweigerlich auf sie stoßen - etwa in Schuhen.
Doch wenn man die Opferzahlen betrachtet, so sind die mit Abstand gefährlichsten Killer die Giftschlangen: 50.000 bis 100.000 Menschen sterben jährlich. Gebissen werden die Opfer etwa in Asien auf den Reisfeldern von Kobras (Brillenschlangen), in Afrika in ihren Behausungen von Schwarzen Mambas oder auf Farmen in Nordamerika von Klapperschlangen.
Berücksichtigt man auch Bakterien, Viren und anderer Krankheitserreger als Killer, so stellen diese die Wirkung aller anderen Lebewesen natürlich weit in den Schatten. Allein die Einzeller der Gattung Plasmodium, die die Malaria verursachen, töten jährlich zwischen 1,5 und 2,7 Millionen Menschen.
Vor diesem Hintergrund bleibt die Angst der Taucher vor Australiens Küsten zwar nachvollziehbar, aber die Natur bietet erheblich gefährlichere Tiere als Haie - und seien sie auch noch so groß und weiß.